Vokabellisten, Gedichte, Jahreszahlen zu historischen Ereignissen, chemische Formeln, Grammatikregeln das verlässliche Lernen und Abrufen von Unterrichtsinhalten ist Voraussetzung für Schul- und Ausbildungserfolg. Diese grundlegende Fähigkeit ist bei Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen wie z. B. der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) deutlich beeinträchtigt. Eltern und Lehrer stehen diesen Lernschwierigkeiten oft mit Unverständnis und Hilflosigkeit gegenüber. Betroffene Kinder und Jugendliche sind durch die sich wiederholenden Misserfolge, die trotz Übens nicht zu vermeiden sind, zunehmend entmutigt. Ihr Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit sinkt. Um Lernprobleme bei betroffenen Kindern und Jugendlichen gezielt zu verbessern, ist es wichtig, die verhaltensbedingten und zellulären Prozesse der Gedächtnisbildung sowie deren Modulation zu erforschen und zu verstehen.
Dr. Elke Edelmann, Institut für Physiologie, PD Dr. Kerstin Krauel, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sowie Dr. Jorge Ricardo Bergado Acosta, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, untersuchen deshalb in einem vom Center for Behavioral Brain Sciences (CBBS) geförderten NeuroNetzwerk, wie Lerninhalte durch die zeitlich nahe Präsentation von erfrischenden neuen Eindrücken besser gespeichert werden können. Dieser als „Behavioral Tagging“ bezeichnete Prozess wird als wichtiger Bestandteil bei vielen Lern- und Gedächtnisprozessen gesehen. Das Besondere: Die Verbesserung der Lernleistung durch Behavioral Tagging ist nicht von stärkerer Aufmerksamkeitszuwendung, Anstrengungsbereitschaft oder Motivation abhängig.
Ziel der Untersuchungen im NeuroNetzwerk ist es, den Behavioral-Tagging-Prozess mittels verschiedener Methoden, wie Elektrophysiologie, Pharmakologie oder Verhaltensexperimenten, und über verschiedene Ebenen und Spezies vergleichend zu untersuchen und zu optimieren. Dabei beschäftigen sich die Wissenschaftler schwerpunktmäßig mit der Rolle der Signalstoffe Dopamin und Noradrenalin. Diese Neuromodulatoren sind an der Verarbeitung von neuen Eindrücken im Gehirn beteiligt.
In einem parallelen zellulär-pharmakologischen Ansatz wird bei Mäusen getestet, ob die bei Aufmerksamkeitsstörungen eingesetzten Medikamente ähnlich wie neue Umgebungsreize oder die dabei freigesetzten Neurotransmitter positiv und verstärkend auf das Lernen wirken. Es ist anzunehmen, dass sich die optimalen Bedingungen für eine Verbesserung bzw. Erleichterung des Lernens durch Behavioral Tagging im Laufe der Individualentwicklung ändern. Deshalb untersucht das Team des NeuroNetzwerks die zugrundeliegenden Prozesse auch in frühen Entwicklungsphasen bei Mäusen. Mittelfristig sollen dann zuerst im Tiermodell und langfristig beim Menschen die Methoden des Behavioral Tagging optimiert werden.
Aus den Ergebnissen sollen einfach realisierbare Lern- und Unterrichtsstrategien abgeleitet werden, um die Lernleistung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne ADHS zu verbessern.
Die Ergebnisse könnten als Grundlage für eine neue Lernumgebung, beispielsweise eine mobile App, dienen, die dann als ein auf Behavioral Tagging basierendes Werkzeug zur Gedächtnisförderung für den Alltagsgebrauch verfügbar gemacht werden kann.