Viele Unternehmen haben ein unzureichendes Diversitätsverständnis und erkennen den Nutzen von Diversität für den wirtschaftlichen Erfolg nicht in vollem Maße. Das ergab der German Diversity Monitor 2020, den der Lehrstuhl Betriebswirtschaftslehre, Internationales Management, in Zusammenarbeit mit der Initiative BeyondGenderAgenda erarbeitete. Mit der wissenschaftlichen Leiterin der Studie, Professorin Dr. Susanne Schmidt, sprach Ines Perl über Diversitätsverständnis, Frauen in Vorstandspositionen und Empfehlungen an Klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) in Sachen Diversität.
Prof. Susanne Schmidt (c) Jana Dünnhaupt Uni Magdeburg
In Zusammenarbeit mit BeyondGenderAgenda haben Sie den Diversity Monitor zur Diversität in den Vorstandsetagen deutscher DAX-Unternehmen erstellt. Was sind die zentralen Ergebnisse?
Die erste zentrale Erkenntnis ist, dass Diversität oft missverstanden wird. Zum einen wird der Begriff Diversität sehr einseitig betrachtet und nur auf bestimmte Diversitätsdimensionen bezogen. Zum anderen wird der Nutzen von Diversität unterschätzt und oft nur als Maßnahme zur Personalentwicklung genutzt.
Diese zwei Missverständnisse können als Erklärungsansätze für eine zweite zentrale Erkenntnis der Studie dienen: Die Vorstandsebene der Dax-Unternehmen ist weitgehend homogen. Zum Beispiel haben in Bezug auf Gender-Diversität etwa zwei Drittel der Dax 30-, MDAX- und SDAX-Unternehmen kein weibliches Vorstandsmitglied. Die Aussichten sind nicht besser. Etwa die Hälfte der untersuchten Unternehmen haben sich seit 2015 (seit Einführung der Flexiquote) durchgängig eine Zielquote von 0 Prozent für den Frauenanteil in Vorständen gesetzt.
Als dritte zentrale Erkenntnis haben wir festgestellt, dass in den Unternehmen ein systematisches Datenmanagement für viele Diversitätskategorien fehlt. Dieses ist aber wichtig, um Transparenz zu schaffen und Budgets zur Förderung von Diversität gezielt einzusetzen.
Sie kommen zu dem Schluss, das Diversitätsverständnis in den Unternehmen sei unzureichend, da es bereits am Begriffsverständnis mangele. Was heißt das konkret?
Diversität bezeichnet Unterschiede aus verschiedensten Gründen. Es gibt eine Vielzahl von Diversitätskategorien: zum Beispiel Gender, kulturelle und soziale Herkunft, Alter, Menschen mit Behinderungen, LGBT+. Unsere Studie zeigt jedoch, dass Unternehmen sich bei Diversität stark auf Frauen und kulturelle Vielfalt konzentrieren. Durch den Fokus auf bestimmte Kategorien werden andere Kategorien vernachlässigt, wodurch ihre Perspektiven kein Gehör im Unternehmen finden. Diese unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen stiften aber den Mehrwert von Diversität, da sie zu mehr Innovationskraft führen und Entscheidungsprozesse im gesamten Unternehmen verbessern können. Solange Diversität nicht ganzheitlich gelebt wird, kann der wahre Nutzen von Diversität in den Unternehmen nicht realisiert werden.
Frauen in Vorstandsposition: Fehlanzeige. Ist das die einzige Schieflage?
Ihre Frage führt mich direkt wieder zum fehlenden Diversitätsverständnis als zentrale Erkenntnis. Oft wird Diversität mit Genderdiversität gleichgesetzt. Informationen zu anderen Diversitätskategorien werden in vielen Unternehmen nicht erhoben. Diversität ist jedoch mehr und benötigt Förderung in alle Diversitätskategorien, um das ganze Potenzial diverser Perspektiven zu entfalten. Um ein ganzheitliches Diversitätsverständis zu verankern, sind neben den Unternehmen auch andere Institutionen gefordert. Zum Beispiel können Universitäten einen Beitrag leisten, indem ein ganzheitliches Diversitätsverständnis gelehrt und gelebt wird.
Viele Unternehmen verbinden mit Diversität kaum Wirtschaftlichkeit. Worin sehen Sie die Ursachen?
Der Zusammenhang zwischen Diversität und Wirtschaftlichkeit wird in vielen Unternehmen nicht gemessen. Daher ist den Unternehmen eine Verbindung auch nicht bewusst. Außerdem fehlt ein systematisches Datenmanagement, um zu wissen wie divers das Unternehmen überhaupt ist. Als Konsequenz können die Unternehmen die Auswirkungen von Diversität auf die Wirtschaftlichkeit nicht erkennen.
Weiterhin ist Diversität allein kein Garant für Wirtschaftlichkeit. Diversität bietet vor allem dann einen wirtschaftlichen Mehrwert, wenn ein inklusives Arbeitsumfeld geschaffen wird. Das heißt, es gibt eine gegenseitige gelebte Wertschätzung für diverse Perspektiven, Erfahrungen und Einstellungen. Solch ein Arbeitsumfeld entsteht nicht automatisch, sondern muss durch die Unternehmensleitung gefördert werden. Die Entwicklung eines solchen Arbeitsumfeldes ist herausfordernd, da Vorurteile abgebaut und individuelle Einstellungen hinterfragt werden müssen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Unternehmen die Herausforderungen nicht als solche wahrnehmen. Hier kann die Forschung unterstützen. Wir wissen bereits, dass gezielte Maßnahmen bei der Entwicklung eines inklusiven Arbeitsumfelds wirken.
Welche wirtschaftlichen Erfolge konkret können durch mehr Vielfalt erreicht werden?
Diversität wird in vielen betrachteten Unternehmen als Personalmaßnahme eingesetzt. Aber Diversität kann mehr, zum Beispiel die Innovationskraft steigern und damit einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil schaffen. Auch kann die Qualität von Entscheidungen insgesamt verbessert werden.
Voraussetzung ist jedoch, dass die unterschiedlichen Perspektiven in die Innovations- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Das ist nur möglich, wenn ein inklusives Arbeitsumfeld geschaffen wurde, das heißt, unterschiedliche Perspektiven und Einstellungen gehört, geschätzt und gefördert werden. Diversität und ein inklusives Arbeitsumfeld sind untrennbar miteinander verbunden.
Die Universität hat seit 2018 ein Gleichstellungskonzept. Ist sie damit gut aufgestellt?
Durch die Verabschiedung des Gleichstellungskonzepts hat die OVGU ein wichtiges Signal gesendet. Nun muss dieses Konzept mit Leben gefüllt und umgesetzt werden. Daran arbeitet unser Gleichstellungsbüro und die zahlreichen Gleichstellungsbeauftragten an der Universität, sodass die OVGU dort einen guten Start hat.
Diversität geht jedoch noch weiter als Gleichstellung der Geschlechter. In Zukunft sollte die Universität die Einbindung der weiteren Diversitätskategorien in den universitären Alltag fördern. Bei der kulturellen Vielfalt sind wir durch unseren hohen Anteil an internationalen Studierenden bereits gut aufgestellt. Aber auch die Diversitätskategorien Alter, soziale Herkunft, LGBT+ und Menschen mit Behinderungen dürfen nicht aus dem Blick verloren werden.
Sachsen-Anhalts Unternehmenslandschaft ist ja doch eher von KMUs denn von DAX-notierten Großkonzernen geprägt. Was würden sie den KMUs im Land empfehlen, damit sie es als potenzielle Arbeitgeber auch für unsere Absolventinnen und Absolventen in Sachen Diversität richtiger machen als die Großen?
Studien zeigen, dass Wertschätzung für Diversität ein Kriterium bei der Arbeitgeberwahl sein kann. Aus diesem Grund werben viele Unternehmen mit entsprechenden Rekrutierungsmaßnahmen für sich. Unsere Studienergebnisse zeigen aber, dass in vielen Unternehmen, die Diversität erhöhen möchten, keine gezielte Ansprache von potentiellen Mitarbeitenden erfolgt. Hier könnten KMUs, die eine Erhöhung der Diversität im Unternehmen anstreben, mit gezielten Ansprachen und konkreten Maßnahmen auf sich aufmerksam machen.
Entscheidend ist auch, ob Diversität im Unternehmensalltag gelebt und ein inklusives Arbeitsumfeld geschaffen wird. Falls das nicht der Fall ist, verpufft das Bekenntnis zu Diversität und talentierte Mitarbeitende verlassen das Unternehmen wieder. Daher ist eine klare Empfehlung, Budget für Maßnahmen zur Förderung von Diversität bereitzustellen und dieses gezielt einzusetzen. Dies wird leider auch in vielen großen Unternehmen vernachlässigt. Um Budgets gezielt einsetzen zu können, bedarf es eines systematischen Datenmanagements, damit Transparenz über den aktuellen Stand von Diversität und einem inklusiven Arbeitsumfeld im Unternehmen geschaffen werden kann.
Wie wird es weitergehen mit dem German Diversity Monitor?
Mit dem German Diversity Monitor 2020 wurde der Status Quo in deutschen Unternehmen erstmals erhoben. Der German Diversity Monitor soll nun jährlich veröffentlicht werden, sodass Veränderungen über die Zeit sichtbar gemacht werden können. Dadurch kann spezifischer abgeleitet werden, was zu tun ist, um Diversität und ein inklusives Arbeitsumfeld nachhaltig in den Unternehmen zu verankern. Für 2021 wird die Betrachtung von sozialer Herkunft als zusätzliche Diversitätskategorie integriert.
Frau Professorin Schmidt, vielen Dank für das Gespräch.