Es war das erste Mal seit ihrer Gründung, dass die Uni Magdeburg auf einen Basisbetrieb zurückgefahren wurde, dass Gebäude und Campus fast menschenleer waren, Mensa und Unibibliothek verschlossen bzw. nur eingeschränkt geöffnet hatten. Doch wie ist die Uni mit ihren Angehörigen durch das ungewöhnliche Sommersemester gekommen, was hat sich verändert, und: was bleibt? Katharina Vorwerk hat den Rektor, Prof. Jens Strackeljan, nach seiner persönlichen Sicht auf die Herausforderungen, aber auch nach den Chancen, die sich aus der Coronakrise für die OVGU ergeben, gefragt.
Corona – was so freundlich klingt, hat unseren Alltag schlagartig verändert. Wie empfanden Sie die vergangenen Monate?
Wir alle waren plötzlich in einer Situation, für die wir auf keinen vertrauten Erfahrungsschatz zurückgreifen konnten. Die täglich zu treffenden Entscheidungen, mit denen man konfrontiert wurde, waren Neuland. Gerade zu Beginn der Pandemie war unser Alltag mit mehr Überlegung, mehr Abwägung verbunden und letztlich auch anstrengender.
Was hatte sich denn konkret im Alltag des Uni-Rektors verändert?
Mein Arbeitstag ist geprägt durch unzählige Termine und Gespräche mit Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen, den Ministerien, in Gremien auf Landes- und Bundesebene – all das gab es plötzlich nicht mehr. Auch ein Großteil der täglichen 100 bis 150 E-Mails fielen weg. Mit den Videokonferenzen stellte ich fest, dass es unglaublich anstrengend ist, zehn Stunden am Tag online präsent zu sein. Und ich war mehr zuhause, denn die vielen Abendveranstaltungen fielen weg. Familie Strackeljan hat jetzt einen neugestalteten Garten, der dreizehn Jahre brachlag. Unsere Abiturientin konnte öfter um väterlichen Rat fragen und wir sind als Familie zusammengerückt. Das ist der Teil, den ich trotz äußerer Unsicherheiten, extrem genossen habe.
Prof. Strackeljan mit Katharina Vorwerk beim Interview im Hörsaal (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Die Umstellung auf ein digitales Semester erfolgte schnell. Gab es Entscheidungen, um die im Rektorat gerungen wurde?
Ja, das Aufrechterhalten des Basisbetriebs, zum Beispiel. Aber der Status war wichtig, um die Arbeit an Forschungsprojekten nicht unterbrechen zu müssen. Wir mussten abwägen, jedes Risiko zu vermeiden oder eine gewisse Öffnung zuzulassen. Darüber gab es durchaus unterschiedliche Auffassungen.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit den Fakultäten beschreiben?
Die Fakultäten sind autonom, der Rektor ist eher ein Primus inter Pares. In Krisen braucht es aber auch schnelle Entscheidungen der Leitung. Ich bin damit sehr dosiert umgegangen, aber solche Durchgriffe hat es gegeben. Es gab aber mit den Dekanen einen regelmäßigen Austausch und so haben wir uns auch die Legitimation geholt.
In den letzten Monaten liefen auch die Verhandlungen mit dem Land über die Zielvereinbarungen und das neue Hochschulgesetz. Waren diese Gespräche durch Corona belastet?
Sie waren spürbar von Corona geprägt, nicht zuletzt durch die zeitliche Verschiebung. Die Verhandlungen waren ja ohnehin nicht einfach, aber ein vertrauensvolles „Miteinander“ von Ministerien und Hochschulen konnten wir unter den vorherrschenden Bedingungen schlichtweg nicht leben. Das muss auch wieder ein bisschen aufgebaut werden.
Der Pandemieplan forderte die Bildung eines Krisenstabs. Wie lief die Zusammenarbeit?
Das Spektrum der Mitglieder war unglaublich breit und mit Prof. Kaasch hatten wir glücklicherweise einen Mikrobiologen und Mediziner dabei, das war sehr hilfreich für uns in der Einschätzung vieler Fragen von der Arbeitssicherheit bis zur Prüfungsorganisation.
Viele sind nun aus dem Homeoffice zurück. Wie werden wir künftig mit dem mobilen Arbeiten umgehen?
Corona hat sicher Etliches beschleunigt. Wir haben die Vereinbarungen für mobile Arbeit vollständig neugestaltet und wir werden deutlich flexiblere Möglichkeiten mobiler Arbeit bieten. Ich glaube, ohne Corona hätten wir uns dieses Thema in den letzten zwei Monaten nicht so ernsthaft vorgenommen.
Welche Folgen hatte Corona für Forschungsprojekte?
Wir sind mit einem extrem wichtigen Sonderforschungsbereich gerade noch durch die Bewilligung gekommen. Trotz Abstandhaltens gab es eine klassische Begutachtung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bei dem Sonderforschungsbereich in den Neurowissenschaften wurde nur noch schriftlich begutachtet. Das ist schade, weil es eigentlich wunderbar möglich gewesen wäre, den Spirit dieses jungen Teams rüberzubringen, das gelingt durch gedrucktes Papier eher nicht. Alles in allem werden wir wohl 2020, was die Drittmittel angeht, einen Rückgang erleben.
Sie sprachen oft über Ihre Sorgen, die internationalen Studierenden betreffend. Was hat sie da am meisten beschäftigt?
Tatsächlich die Frage, wie wir für diejenigen, deren Traum es war, in Deutschland zu studieren, trotz Corona die Möglichkeiten schaffen können. Wir haben, zum Beispiel, gesagt: Wenn eine Zulassung wegen eines fehlenden Visums nicht wahrgenommen werden kann, dann verschieben wir halt den Studienbeginn. Wir haben Studierende, die nie hier waren, immatrikuliert. Ein Vorgang, den ich mir vor zwei Jahren überhaupt nicht hätte vorstellen können. Das wird sicher auch nicht der Regelfall werden, aber wir haben gesehen: Es geht deutlich mehr, als wir uns in der Vergangenheit vorgestellt haben.
Mitten in der Krise hat die Uni den Nothilfefonds „GUERICKE hilft!“ ins Leben gerufen. Hat Sie die große Resonanz überrascht?
Zunächst einmal sehr gefreut! Wir hatten 50.000 Euro als Spendenziel definiert und waren uns nicht sicher, ob das nicht viel zu hoch gegriffen ist. Der Erfolg zeigte dann, dass wir ein Gefühl dafür haben, wie diese Uni tickt und wir haben auch gesehen, dass wir etwas in dieser Größenordnung brauchen. Die weit über 1000 Anfragen von Studierenden zeigten ja, wie groß die Not war und sicher in Teilen noch ist.
Wenn wir wagen, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Hat Corona die Uni Magdeburg verändert?
Ja, vor allem in der Lehre. Wir haben jetzt praktisch durchgehend digitale Varianten und ich kann mir zukünftig Hybridmodelle vorstellen, durch die wir künftig Studierende aus dem Ausland viel einfacher einbinden können. Viele internationale Masterprogramme sind ja so aufgebaut, dass die Studierenden ein bis zwei Semester in Magdeburg verbringen. Jetzt können sie auch schon im ersten Semester an ihrer Heimat-Uni an unseren Vorlesungen teilhaben, da hat dieses Sommersemester uns einen unglaublichen Schub bereitet.
In der Kaffeebar der Uni Magdeburg (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Thema Dienstreisen. Wir merkten: Man muss nicht immer den Ort oder gar Kontinent wechseln, um etwas zu besprechen.
Ja, da hat sicher auch mental ein Wandel stattgefunden. Aber erstaunlicherweise empfinde ich diese neue Art der Video-Kommunikation gar nicht so sehr bei Dienstreisen als hilfreich, sondern auch innerhalb der Uni. Es ist viel normaler geworden, mal kurz das Baudezernat dazu zu schalten, statt wie bisher umständlich Termine zu suchen. Das wäre sicher auch früher schon möglich gewesen, aber es war nicht eingeübt.
Wir sitzen hier im leeren Hörsaal 1, wann wird der Präsenzbetrieb wieder losgehen?
Ich bin nicht sicher, ob wir tatsächlich ab Herbst schon wieder ein normales Semester haben werden, allein in diesen Hörsaal passen 500 Studierende. Wenn die Abstandsregelungen noch Bestand haben, wird das schwierig. Wichtig wäre, uns schnell Klarheit zu verschaffen darüber, welches Studienformat wir dann anbieten und bewerben in den nächsten Wochen.
Wir sitzen also vor großen Herausforderungen. Anstatt vom Land Unterstützung zu bekommen, müssen die Hochschulen einen Corona-Konsolidierungsbeitrag von 6 Millionen Euro leisten.
Ich halte diese Entscheidung für falsch, aber wir haben uns dem nicht entziehen können. Dabei sind die Aufwendungen durch die Digitalisierung der Lehre immens. Da schmerzt unser Anteil von gut zwei Millionen Euro schon erheblich. Ich habe aber die Hoffnung, dass diese Entscheidung, die ja erst eine Zahlung ab 2022 vorsieht, von einer neuen Landesregierung überdacht wird, wenn man sieht, welch großen Beitrag wir in der Nach-Corona-Zeit zur Wiederbelebung des Landes geleistet haben.
Apropos Nach-Corona-Zeit: Was treibt Sie um, wenn sie an die kommenden Wochen denken?
Ich mache mir vor allem Gedanken, wie wir künftig mehr strategisch in Richtung Zukunftsfähigkeit agieren. Die Uni Magdeburg ist Teil eines globalisierten Wissenschaftssystems, wir müssen herausfinden, was das konkret für uns bedeutet. Für einen offenen Diskurs darüber brauchen wir aber das zurück, was uns ausmacht: ein lebendiger Ort für Veranstaltungen, Ideen und Diskussionen zu sein. Aber auch ganz konkrete Entscheidungen stehen an: Wie wollen wir unseren Akademischen Festakt gestalten, wie die Immatrikulationswoche? Trotz vieler. Ungewissheiten der nächsten Monate stehen wir als OVGU vor der schwierigen Aufgabe, gemeinsam für die Zukunft wichtige Entscheidungen zu treffen.
Prof. Strackeljan, vielen Dank für das Gespräch!