Über die klassischen Impfreaktionen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Kopf- und Muskelschmerzen oder Schüttelfrost wissen die meisten Bescheid. Doch was genau passiert nach einer Impfung eigentlich in unserem Körper? Wie bereitet sie das Immunsystem auf den echten Virus vor? Und wie lange schützt eine Impfung? Diese Fragen beantwortet Immunologin Prof. Monika Brunner-Weinzierl von der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg im Interview.
Was passiert bei einer Impfung ganz grob im Körper? Wie und warum reagiert unser Immunsystem auf Impfstoffe?
Im Körper wird alles Fremde vom Immunsystem erkannt und wenn es als gefährlich eingeschätzt wird, abgewehrt und unschädlich gemacht. Impfstoffe bestehen aus einem für den Menschen harmlosen Teil des Virus. Das Immunsystem erkennt diesen Teil dennoch als körperfremden und gefährlichen Eindringling an und löst damit eine Reaktion des Immunsystems aus. Diese Immunantwort wird durch eine zweimalige oder in dem Fall des neuesten Impfstoffkandidaten von der Firma Johnson&Johnson auch durch eine einmalige Impfung als Gedächtnis angelegt und sollte der Virus tatsächlich auftauchen, kann er ohne große Verzögerung sofort abgewehrt werden.
Dabei geht es vor allem darum, zu verhindern, dass das Virus sich mit Hilfe unserer Zellen vermehren kann. Unser Immunsystem verfügt dabei über verschiedene Strategien, die Viren abzuwehren. Die erste Möglichkeit ist, dass das Virus gar nicht erst in unsere Zellen eindringen kann. Hierzu sind die sogenannten neutralisierenden Antikörper gedacht. Sie setzen sich auf dem Virus fest, packen ihn ein, auch dort, wo er andocken möchte. So kann er keinen Kontakt mehr mit Körperzellen bekommen. Sind die Antikörper gleich in großer Menge da, wird der Virus bereits bevor er unsere Zellen „befallen“ kann abgewehrt. Durch eine Impfung werden sehr viele dieser neutralisierenden Antikörper hergestellt. Obwohl hier eine massive Abwehrreaktion stattfinden würde, merken wir nichts davon.
Als zweite Möglichkeit der Virus-Abwehr kommen die T-Zellen, auch Gedächtniszellen genannt, ins Spiel. Nehmen wir an, der Virus hat es geschafft und sitzt bereits in einer unserer Zellen und beginnt diese für seine Vermehrung auszubeuten. Dann sind es zunächst die Fresszellen, die die Eindringlinge erkennen, aufnehmen, zerkleinern und Bruchstücke (Antigene) davon auf ihrer Zelloberfläche den B- und T-Zellen präsentieren. Damit werden unterschiedliche Typen T-Zellen aktiviert. Einige von ihnen, die T-Killerzellen, können infizierte Zellen dann direkt zerstören. Nach dieser sogenannten spezifischen Immunreaktion bleiben Gedächtniszellen zurück, die die spezifischen Merkmale des Krankheitserregers abspeichern. Kommt es irgendwann zu einem erneuten Kontakt mit diesem Erreger, ist das Immunsystem bestens vorbereitet. Es kann sofort die passenden Antikörper bilden, die Immunreaktion starten und die Infektion abwehren. Man sagt, der Körper hat eine Immunität gegen den Erreger aufgebaut.
Die natürliche Auseinandersetzung des Immunsystems mit Krankheitserregern ist wichtig für ein starkes Immunsystem. Was ist dran, an dieser Behauptung und ist die Sorge um ein zu stark entlastetes Immunsystem durch Impfungen berechtigt?
Das Immunsystem wird täglich mit hunderten Krankheitserregern wie Bakterien, Pilzen oder Viren konfrontiert, die wir abwehren, ohne es zu bemerken. Die verfügbaren Schutzimpfungen richten sich lediglich gegen rund ein Dutzend besonders häufig auftretender oder gefährlicher Erreger. Dabei hilft die Impfung, dass gezielt gegen einen bestimmten Krankheitserreger vorgegangen wird, bevor dieser Schaden im Körper anrichten kann. Insofern ist die Impfung für das Abwehrsystem ebenso eine Stimulation und trainiert das Immunsystem.
Seit der Zulassung der ersten Impfstoffe wird jetzt in vielen Ländern gegen das Corona-Virus geimpft. Welche unterschiedlichen Impfreaktionen können bei den verschiedenen Impfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus vorkommen und wie lange dauern diese in der Regel an?
Impfreaktionen sind in den meisten Fällen sehr kurzweilig. Von einigen Impfungen kennt man unmittelbares Auftreten von Spannungen an der Einstichstelle. Meist verschwinden alle unangenehmen Begleiterscheinungen nach zwei Tagen wieder, spätestens nach vier Tagen. Bei Impfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus tritt bei weniger als 1 Prozent der Geimpften nach 8 Tagen ein sogenannter „Impf-Arm“ auf. Der Oberarm wird rot und schwillt an. Das ist sehr ungewöhnlich, kann aber gut behandelt werden bzw. klingt einfach wieder ab. Einige weitere Nebenwirkungen treten zum Beispiel auch bei Grippeimpfungen auf: Leichtes Fieber, Frösteln, Schwitzen, Abgeschlagenheit, Halsschmerzen sowie Kopf- und Gliederschmerzen. Spätestens nach 4 Tagen sollten sie aber wieder abgeklungen sein.
Gibt es bei den Reaktionen alters- und geschlechterspezifische Unterschiede?
Bei einer Impfstudie über mRNA-Impfstoffe wurde gezeigt, dass nach 8 Tagen der Impfung Reaktionen, wie Schwellungen am Arm und Rötungen auftreten können. Es waren zwar nach der ersten Impfung unter 0,8 Prozent und bei der zweiten 0,2 Prozent der Personen davon betroffen. Allerdings waren es jedoch fast ausschließlich Frauen. Das ist nicht verwunderlich, denn das Immunsystem von Frauen reagiert grundsätzlich wesentlich stärker, als das von Männern, was man bei Impfungen immer gut beobachten kann.
Sind starke Nebenwirkungen ein Zeichen dafür, dass eine Impfung gut funktioniert?
Die Impfungen gegen das SARS-CoV-2 Virus sind so angelegt, dass das Immunsystem den Impfstoff als körperfremd ansieht und bekämpft. Das kann dann, wie erwähnt, auch zu Begleiterscheinungen führen. Reaktionen zeigen grundsätzlich, dass der Impfstoff erkannt wird. Allerdings muss es nicht zu spürbaren Impfreaktionen kommen, auch bei Personen ohne diese Begleiterscheinungen läuft das Immunsystem an. Das ist oft bei Älteren der Fall.
Warum sind die Impfreaktionen zumindest bei den mRNA-Impfstoffen nach der zweiten Dosis oft schwerer als nach der ersten?
Hierüber kann man nur spekulieren, ganz genau wissen wir nicht, warum das so ist. Bei mRNA- Impfstoffen wird dem Immunsystem gezeigt, dass fremde Strukturen in Zellen eingedrungen sind. Es wird hierbei eine zelluläre Immunantwort eingeleitet, dann erst die Antikörperantwort. Wahrscheinlich führt dieser Unterschied zu den stärkeren Impfreaktionen. Was man aber weiß, ist, dass insbesondere Jüngere Impfreaktionen bekommen. Das wird darauf zurückgeführt, dass das Immunsystem von Jüngeren insgesamt stärker und von älteren Personen weniger stark reagiert.
Nach einer Impfung mit dem Impfstoff der Firma Astrazeneca und des US-Herstellers Johnson&Johnson wurden in Deutschland und anderen Ländern sehr selten Thrombosen mit begleitender Thrombozytopenie, zum Teil auch mit Blutungen beobachtet – ein ungewollter Abwehrmechanismus des Körpers?
Es gibt tatsächlich gute Hinweise darauf, dass vermutlich eine besondere Immunreaktion für diese speziellen Nebenwirkungen verantwortlich ist. Eine Studie zeigt, dass die Betroffenen spezielle Antikörper gebildet haben und dadurch Blutplättchen aktiviert worden. Das führte dann zu weitreichenden Verkettungen und unerwünschten Entzündungsreaktionen.
Frau mit Gesichtsmaske wird geimpft (Foto: Shutterstock / Halfpoint)
Immer mehr Menschen berichten nach einer durchgemachten COVID-19-Infektion von Erschöpfung und Schmerzen als Spätfolge. Was steckt hinter diesem sogenannten Long-COVID-Phänomen?
Als Long-COVID bezeichnet man das Auftreten von Symptomen noch Wochen und Monate nach einer Infektion. Betroffene verspüren vor allem Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Es kann aber auch Schlafstörungen oder anhaltenden Geruchs- und Geschmacksverlust bedeuten oder sogar eine Depression. Genaue Zahlen gibt es dazu noch nicht. Erste Hochrechnungen gehen aber von 10 bis 20 Prozent der Betroffenen nach einem milden Verlauf und von 50 bis 60 Prozent nach intensivmedizinischer Behandlung aus. Durch eine Impfung kann das sehr wahrscheinlich vermieden werden.
Die Impfung gegen das Corona-Virus soll der Ausweg aus der Corona-Pandemie sein und die sogenannte Herdenimmunität bringen. Was genau versteht man darunter und wo stehen wir derzeit?
Als Herdenimmunität bezeichnet man den Schutz einer gesamten Gruppe gegen eine ansteckende Krankheit, obwohl nicht alle immun sind. Wenn ein hoher Anteil der Bevölkerung immun ist, wird die Ausbreitungsmöglichkeit des Virus unterbunden und dann können sich auch diejenigen, die nicht immun sind, nicht anstecken. Derzeit gibt es Hochrechnungen, dass 75 Prozent der Erwachsenen geimpft oder genesen sein müssen, damit wir eine Herdenimmunität erreichen. Dieser Anteil ist so hoch, da Kinder derzeit nicht geimpft werden, aber natürlich auch mitzählen. Davon sind wir derzeit noch weit entfernt. Was in die Überlegung nicht einfließt, ist, dass sich der Virus verändern kann und es wie bei der Grippe sein könnte, dass wir uns immer wieder impfen lassen müssen. Eine Herdenimmunität wäre dann nicht erreichbar. Denkbar wäre dann, dass sich das Virus auf Kinder spezialisiert, wenn diese nicht geimpft sind. Bei einer Mutation könnte er aber auch harmloser werden, so dass es sich bei einer Infektion nur noch um eine Erkältung handelt.
Kann man schon sagen, wie lange die Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus schützt – auch vor dem Hintergrund immer neuer Virusvarianten? Wird es Ihrer Ansicht nach, wie bei der Grippeschutzimpfung, nötig sein, sich jährlich impfen zu lassen?
Wie lange die Impfungen wirken, kann man noch nicht mit Gewissheit sagen. Allerdings geht man bei zwei Impfungen davon aus, dass sich ein Gedächtnis gebildet hat, den Virus abzuwehren und dass dadurch im Grunde jederzeit eine Abwehr gegen das Virus reaktiviert werden kann. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes treten nach einer Impfung so gut wie keine schweren Verläufe von COVID-19-Erkranungen mehr auf, auch nicht bei den Mutationen. Und genau das will man ja erreichen. Möglicherweise kommt eine wiederkehrende Impfung auf uns zu. Allerdings haben wir sehr unterschiedliche Abwehrmechanismen zur Verfügung und wenn einer nicht mehr greift, z.B. die Antikörper, haben wir noch T-Zellen, die dann sehr schnell passendere Antikörper sozusagen in Auftrag geben können, um die neue Variante unschädlich zu machen.
Sind Menschen, die eine COVID-19-Erkrankungen durchgemacht haben, automatisch immun gegen das Virus und auch nicht mehr ansteckend?
Eine Virusinfektion bewirkt eine Immunabwehr. In den meisten Fällen entsteht dadurch ein gewisser Schutz gegen Neuinfektion oder zumindest gegen einen schweren Verlauf. Fälle von Reinfektionen zeigen, dass sie wesentlich kürzer einen Virusnachweis zeigen. Schon allein die verkürzte Zeit der Viruslast, würde die Ansteckung von Kontaktpersonen reduzieren.
Was ist für Menschen mit einem geschwächtem Immunsystem oder auch Allergikern zu beachten? Können sie sich trotzdem impfen lassen? Für wen sind Impfungen tabu?
Bisher gibt es kaum Einschränkungen jemanden zu impfen. Es gibt lediglich Vorerkrankungen, bei denen die Geimpften danach etwas länger beim Arzt verweilen sollten. Allergikern wird beispielsweise empfohlen, 30 Minuten nach der Impfung unter Beobachtung zu bleiben, um bei einer allergischen Reaktion sofort ein Medikament verabreichen zu können. Impfen ist immer eine Abwägung von Nutzen und Gewinn. Aber ich kenne keinen Fall, bei dem der Nutzen nicht größer gewesen wäre, als an COVID-19 zu erkranken. Denn gerade Personen mit Vorerkrankungen haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit, als andere.
Die ersten Pharmakonzerne arbeiten bereits an Impfstoffen für Kinder. Worauf ist bei der Impfung von Kindern besonders zu achten? Die werden doch eigentlich auch nicht gegen Grippe geimpft, oder?
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Grippe-Impfung nur für Risikogruppen, weil diese ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Grippe-Erkrankung haben. Dazu zählen auch Kinder, aber nur mit bestimmten Vorerkrankungen, wie zum Beispiel Diabetes oder Asthma. Grundsätzlich gibt es kaum eine Phase im Leben, in der so viele Impfungen verabreicht werden, wie in der Kindheit. Aber ja, bei Kindern muss man besonders vorsichtig sein, da man die Langzeitfolgen nur aus den Erfahrungen anderer Impfungen abschätzen kann. Vermutlich wäre eine Impfung gegen COVID-19 gut verträglich. Es ist jedoch so, dass man ein sogenanntes Immungedächtnis anlegt, eventuell sogar für ein ganzes Leben und deshalb ist eine genaue Nutzen-Risiko-Abwägung bei Kindern sehr wichtig. Dennoch sind bereits viele Begleiterscheinungen bei Kindern bekannt, die sie durch eine Corona-Virus-Infektion bekommen könnten. Und wenn die Älteren nicht mehr infiziert werden können, wird sich das Virus möglicherweise mit Mutationen auf Kinder einstellen. Das kann womöglich bedeuten, dass es infektiöser für sie wird.
Ab dem 7. Juni soll laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Impf-Priorisierung aufgehoben werden. Was halten Sie davon?
Ich würde den Impfstoff, wie bereits begonnen, vor allem über die Hausärzte verimpfen lassen. Hausärzte sind in der Regel schnell und unkompliziert zu erreichen und das Impfen gehört zu ihrem Kerngeschäft. Sie sind die ersten Ansprechpartner für ihre Patientinnen und Patienten und sollten entscheiden, wer geimpft wird. Das bedeutet meiner Meinung nach auch, dass man die Priorisierung aufheben könnte. Wir kämen viel schneller voran und würden mit den Impfbegeisterten die Besorgten vielleicht besser mitnehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!