Gamechanger, Zeitenwende, eine Investition, die alles verändere! Die Euphorie war gewaltig, nachdem der Weltkonzern Intel ankündigte, sich in Magdeburg anzusiedeln. Wohl zu Recht, denn mit dem Zuschlag für die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts eröffnen sich enorme Chancen: für Europa, für das Land, aber vor allem für die Stadt. Die Universität werde sich verändern, davon ist ihr Rektor überzeugt. Werden wir jetzt also Intel-Uni? Katharina Vorwerk hat mit Prof. Jens Strackeljan über langfristige Chancen, aber auch kurzfristige Herausforderungen für die Uni Magdeburg gesprochen.
Prof. Strackeljan, Intel kommt nach Magdeburg, sicher mit großen Erwartungen im Gepäck. Auch an unsere Uni?
Ja, die Erwartungen an uns sind groß, aber sie sind auch realistisch. Sie bestehen vor allem darin, dass die Universität Magdeburg tatsächlich die Menschen, die künftig in dieser Giga-Factory sowie bei deren Zulieferern arbeiten sollen, in die Region ziehen und adäquat ausbilden kann. Wir werden rund um den Bereich, der allgemeinhin als Human Resources verstanden wird, als ein wichtiger Partner verstanden. Darüber hinaus sehen wir aber auch vielfältige Möglichkeiten in der Forschung.
Es geht also um eine passgenaue Ausbildung und Verfügbarkeit von Talenten. Kann die Uni diese Erwartungen erfüllen?
Ja, weil wir durch unser Profil grundsätzlich bereits ein breites Spektrum an anschlussfähigen Studienprogrammen haben: in der Naturwissenschaft, in der Verfahrenstechnik, der Informationstechnik, der Elektrotechnik oder der Automatisierungstechnik. Nicht zuletzt werden auch die Wirtschaftswissenschaft und die Humanwissenschaften Impulse liefern und einen wichtigen Beitrag leisten. Und bei Studiengängen, die noch fehlen, werden wir relativ schnell Angebote schaffen können.
Sie sprachen davon, dass im Wintersemester 23/24 die ersten Studierenden in einen maßgeschneiderten Studiengang immatrikuliert werden sollten. Schaffen wir das?
Die Kolleginnen und Kollegen aus der Physik berichten, dass sie einen solchen Studiengang schon vor einigen Jahren gemeinsam mit der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik konzipiert haben. Er war seinerzeit schon fast in den Gremien, aber das Problem war, dass die Absolventinnen und Absolventen mit dieser Qualifikation in einer Region ohne Halbleiterindustrie keinen Job gefunden hätten. Und da dieser Studiengang wirklich nicht billig wird, hatten wir Abstand davon genommen. Jetzt sind bei dem im Kern guten Entwurf dieses interdisziplinären Studienangebotes sicher noch Anpassungen notwendig und wir müssen schauen, wer ihn trägt, aber das sind Dinge, die wir gemeinschaftlich klären können.
Wir haben jetzt vor allem eine Aufgabe: Wir müssen relativ schnell starten. Wenn wir im Wintersemester 23/24 immatrikulieren wollen, dann brauchen wir zeitnah auch die ersten Personalentscheidungen in diesem Zusammenhang. Wir können da nicht warten, bis das Werk steht. Das wiederum führt uns zu der spannenden Frage: Wie gestalten wir die Akquise? Wie tragen wir diesen Studiengang so nach außen, dass sich Personen, die beispielsweise in einem Bachelor irgendwo in Europa oder Asien studieren, davon erfahren und im Oktober 2023 zu uns kommen? Wie können wir vielleicht in einer Übergangsphase schon mit 30, 40 Studierenden ohne eine vollständige Infrastruktur starten? Um diese Herausforderungen anzugehen, müssen alle Akteure eng zusammenarbeiten. Erste Gespräche mit verschiedenen Fakultäten zeigen uns aber, dass wir das gemeinsam sehr gut hinbekommen.
Ist die Ansiedlung auch eine Chance für die OVGU beim Ausbau Dualer Studienprogramme?
Duale Studienprogramme sind für Intel sehr interessant. Bisher sind ja längere Praxisphasen eher selten in den Curriculi verankert. Intensiver bereits im Studium mit dem Unternehmen verbunden zu sein, hilft, Knowhow aufzubauen und erleichtert den Berufseinstieg. Nur wenige Universitäten in Deutschland haben Duale Angebote. Wir kooperieren in der Ingenieurinformatik in einem Dualen Modell sehr eng mit VW.
Rechnen Sie mit einer generellen Erhöhung der Studierendenzahlen?
Die Sogwirkung, die sich aus der Ansiedlung für die Uni, die Stadt und die Region entfalten wird, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht abschätzen. Aber 10 Prozent Zuwachs bei den Studierendenzahlen wäre aus meiner Sicht realistisch, das ist eine Größenordnung, die passt. Das geht natürlich nicht allein mit einem Studiengang, der zu den Halbleitern oder der Mikrosystemtechnik passt, das muss dann schon mehr sein. Aber auch die Zahl der Internationalen könnte sich erhöhen. Ich halte das Niveau von ungefähr 4000 internationalen Studierenden - völlig unabhängig von Intel - als Zielmarke für adäquat.
Durch die Ansiedlung von Intel in Magdeburg werden mehr internationale Studierende an der Uni Magdeburg ein Studium beginnen (Foto: Hannah Theile / Uni Magdeburg)
Seit 1994 gibt es an der Uni in der Physik den Schwerpunkt Halbleiter; auf dem Campus stehen seit vielen Jahren zwei Reinräume. Infrastrukturen, die uns bereits anschlussfähig an die Halbleiterindustrie machen?
Diese Infrastrukturen sind in der Physik auf einem Stand, der es punktuell erlaubt, in Deutschland Spitzenforschung zu betreiben. Und das tun die Kolleginnen und Kollegen auch. Vor einem Jahr wurde durch eine Berufung auch noch einmal sehr intensiv in die Ausstattung des Bereiches investiert. Unsere Infrastruktur bildet also eine solide Basis unserer Überlegungen darüber, wie Lehre und Ausbildung künftig gestaltet werden können. Aber eines ist auch klar: Die vorhandene Technik muss ertüchtigt werden. Reinräume sind im Betrieb sehr kostenintensiv, wir müssen sie also heute ganz anders konzipieren, als vor 20 Jahren. Also: die Basis ist da, aber sie benötigt Anpassungen und darum müssen wir investieren.
Die Uni kann diese Investitionen sicher nicht aus Bordmitteln stemmen. Gibt es bereits konkrete finanzielle Zusagen seitens des Landes, des Bundes oder der EU?
Es gibt die Zusage, dass für die erforderlichen Investitionen eine Unterstützung kommen soll, vor allem natürlich in die Infrastruktur, also in Hardware, aber auch in kluge Köpfe. Bevor wir aber an Investitionen denken, müssen wir innerhalb der Universität, mit dem Land und gemeinsam mit Intel über konkrete Bedarfe und Ziele sprechen, diese dimensionieren und zeitlich einordnen. Darum sind die erforderlichen Mittel im Moment noch nicht exakt zu beziffern. Sicher ist aber: Das braucht schon einen zweistelligen Millionenbetrag. Dafür werden wir verschiedene Geldtöpfe benötigen. Aber auch Intel und andere Unternehmen können wir durchaus mit in die Pflicht nehmen. Wir haben ja Formate, wie zum Beispiel Stiftungsprofessuren, bei denen man sich engagieren kann.
Können Sie sich Kooperationen mit anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorstellen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Die ganzen Vorhaben können wir nur in enger Zusammenarbeit mit den anderen Hochschulen des Landes sowie den außeruniversitären Einrichtungen stemmen. Wir haben ja durchaus Hochschulen im Land, die anschlussfähige Studienprogramme bieten. Das Ganze wird also kein Alleingang der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg werden. Da braucht es ein starkes Netzwerk und das ist auch gut so!
Zurück auf den Uni-Campus: Welche Stärken kann die Uni Magdeburg einbringen bei dieser gemeinschaftlichen Aufgabe, welche internen Probleme müssen wir überwinden?
Wir müssen vor allem die Dimension dieser Chance klar erkennen, die sich da ergibt. Entsprechend groß ist natürlich auch die Aufgabe. Die erfordert ein strukturenübergreifendes und interdisziplinäres Agieren. Aber das können wir und das würde ich erst einmal als Stärke definieren. Im Kern ist also die Agilität der Uni vorhanden.
Unsere Schwäche liegt ab und an eher im punktuellen Verharren im Klein-Klein von Fakultätsstrukturen. Wir wissen seit etlichen Jahren, dass diese nicht unbedingt mehr dazu taugen, Zukunftsfragen zu beantworten. Uns muss klar sein, dass wir jetzt nicht – bildlich gesprochen – an Vorgärtenzäunen scheitern dürfen. Das wäre weder dem Land, noch Intel oder sonst irgendjemandem zu vermitteln. Darin sehe ich unsere große Herausforderung.
Diese aktuelle Herausforderung wäre aber auch Anlass, notwendige Transformationsprozesse zu beschleunigen und zusammen die Welt neu zu denken?
Dieser Leitspruch der Uni Magdeburg gilt natürlich vor allem universitätsintern, aber wir können ihn jetzt problemlos ausweiten auf die Zusammenarbeit mit der Stadt und der Region. Und da müssen wir jetzt auch einmal beweisen, dass das, was in den Berichterstattungen der letzten Wochen stand, nämlich, dass die Forschungslandschaft, die Hochschulen, die Uni ein wichtiger Bestandteil, ein Kriterium bei der Standortentscheidung wäre, auch tatsächlich gilt.
Welche Rolle kann die OVGU künftig über die angesprochene Fachkräftesicherung hinaus an Transferleistungen für Intel spielen?
Beim Thema Weiterbildung können wir uns gut vorstellen, künftig gemeinsam mit Intel neue Wege zu gehen. Die hochautomatisierte Produktion unter Reinraumbedingungen macht eine traditionelle Qualifikation schwierig. Insofern braucht es da auf jeden Fall Einrichtungen vor Ort, die eine passgenaue Weiterbildung unterstützt und die Zielstellungen der Qualifikationen definiert. Die Bundesagentur für Arbeit ist da ein wichtiger Akteur. Auch bei der generellen Fachkräftegewinnung könnten wir ein wichtiger Partner sein. Wir sollten dazu beitragen, Lösungen für die Bereitstellung von Fachkräften anzubieten, zum Beispiel durch die Qualifikation von Quereinsteigern. Da haben wir ja bereits Erfahrungen aus unseren Seiteneinsteigerprogrammen für das Lehramt.
Magdeburg ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel für das Gestalten von Transformationsprozessen. Die Stadt des Schwermaschinenbaus wandelt sich – wenn auch nicht ohne Verwerfungen und Brüche – in eine Silicon Junction. Und wenn wir uns ein so renommiertes Unternehmen wie etwa FAM anschauen, arbeiten dort sehr gut ausgebildete Fachleute, aber eben in einer völlig andere Branche und selbstverständlich sind hier Qualifizierungen möglich.
Neben ihrer Arbeit können sich Lehrkräfte an der Uni Magdeburg im Seiteneinsteigerprogramm zu Physik- oder Mathelehrerinnen und -lehrern für Sekundarschulen qualifizieren. (Foto: Hannah Theile / Uni Magdeburg)
In der Presse war in den vergangenen Tagen zu lesen, dass Intel mehr Diversität an der Universität Magdeburg wolle. Wo müssen wir besser werden?
Die Erkenntnis, dass augenblicklich in den sogenannten MINT-Fächern Studierende und in der Folge auch Absolventinnen und Absolventen fehlen, führt zwangsläufig auch auf den Aspekt der niedrigen Quote der Frauen in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. Da haben wir durchaus Luft nach oben, was die Diversität betrifft. Auch bei unseren internationalen Studierenden können wir in puncto Vielfalt der Herkunftsregionen noch einiges tun. Ein Anteil von knapp 70 Prozent Studierender aus dem asiatischen Bereich führt uns zu der Überlegung, vor allem auch innerhalb der EU stärker präsent zu sein. Wir sollten die europäische Dimension aufgreifen, die sich durch die Ansiedlung ergibt. Also, das Thema Diversität ist für die Uni vielschichtig und wichtig, allerdings auch ganz unabhängig von Intel.
Sie sind als Rektor der Uni Magdeburg derzeit auch Präsident der Landesrektorenkonferenz Sachsen-Anhalts: Was bedeutet die Ansiedlung für die Hochschulen des Landes insgesamt?
Wir haben ja durchaus Hochschulen, die sehr international aufgestellt sind. Da verbessert sich für die Absolventinnen und Absolventen aus aller Welt die Lage, nach einem vom Land finanzierten Studium auch hier zu bleiben. Ganz einfach dadurch, weil Jobmöglichkeiten vorhanden sind. Wir sollten als Hochschulnetzwerk gemeinsam und profilübergreifend eine Diskussion über gemeinsame Weiterbildungsformate oder Studiengänge beginnen. Die anderen Hochschulen sind also beim Thema Intel ganz klar mit im Boot.
Das alles klingt nach enormen Kraftanstrengungen. Sie äußerten vor einigen Tagen in einem dpa-Interview „Respekt vor der Aufgabe“. Warum?
Respekt vor allem vor dem Hintergrund, dass uns bei der Gestaltung und Bewältigung vor uns liegender Aufgaben unser klassischer Instrumentenkoffer vermutlich nur bedingt weiterhelfen wird. Für eine sinnhafte Kooperation aller Stakeholder müssen neue Prozesse erarbeitet werden. Wir müssen gemeinsam klar definieren, wo wir etwas beitragen wollen und können, was die für uns von außen vorgesehenen Rollen sind und uns stetig synchronisieren. Wir müssen transparent und gemeinschaftlich agieren und uns zusammen in eine veränderte Zukunft aufmachen. Da finde ich den Begriff Respekt dann auch ganz passend.
Was sind die nächsten konkreten Schritte?
Wir warten jetzt die Strukturbildung im Land ab, das ist die Verabredung, aber diese wird schnell abgeschlossen sein. Dann werden wir jetzt relativ schnell mit Intel ins Gespräch kommen müssen, um Zeitabläufe, Erwartungshorizonte und die nächsten Schritte festzulegen. Uniintern werden wir zeitnah eine „Projektgruppe Intel“ zusammenstellen. Die ersten Gespräche, die ich innerhalb der Universität geführt habe, waren sehr ermutigend. Wir sind in der Position, Intel Lösungen anzubieten. Ich rechne mit dem Beginn unserer gemeinsamen Arbeit in den Fakultäten zu Beginn des zweiten Quartals.
Werden wir dann in fünf Jahren Intel-Uni sein?
Natürlich wird die Ansiedlung die Universität und auch die Stadt verändern. Das werden wir spüren und davon werden wir vor allem auch in vielen Bereichen profitieren. „Intel-Uni“ hieße aber im Kern, dass man sich in den wesentlichen Leistungsparametern an dem Unternehmen ausrichtet. Intel ist großartig, aber wir werden uns nicht von einem Unternehmen abhängig machen. Ich hatte in den bisherigen Gesprächen mit dem Unternehmen den Eindruck, Intel weiß, wie eine Uni funktioniert und was Autonomie bedeutet.
Um also die Frage zu beantworten: Wir werden keine Intel-Uni. Wir tragen den Namen Otto von Guerickes und identifizieren uns mit den Eigenschaften, die ihn ausgezeichnet haben: Neugierde, Diplomatie, Kreativität und großes bürgerschaftliches Engagement. Ich glaube, mit diesem Spirit werden wir den kommenden Herausforderungen erfolgreich entgegentreten können.