Stellen Sie sich vor, Sie möchten an Ihrem Geburtstag um 9 Uhr morgens mit einem warm duftenden Croissant und frisch gebrühtem Kaffee in einem kleinen, gemütlichen Pariser Café am Frühstückstisch sitzen. Auf der Seine schippern ein paar Ruderboote, neben Ihnen erklingt „Les Champs-Elysees“ auf einem Akkordeon. Sie kennen Ihr Ziel und die grobe Richtung, in die Sie müssen. Einen konkreten Fahrplan haben Sie aber nicht. Wann müssen Sie losfahren? Wo müssen Sie abbiegen? Gibt es Baustellen? Wie viel Sprit werden Sie verbrauchen? Fragen, die Sie vor Ihrer Reise klären.
Das Ziel des Pariser Klimaabkommens steht ebenfalls fest: Die Erde soll sich nicht mehr als 1,5 Grad erwärmen. Für uns als Uni heißt das, wir müssen klimaneutral werden; und das bis spätestens 2035, denn dann will auch die Stadt Magdeburg das Klima nicht mehr negativ beeinflussen. Doch wie können wir dieses Ziel erreichen? Wann müssen wir welche Schritte gehen? Und was sind unsere größten Baustellen? Eine neu gegründete Senatskommission ist dabei, diese Fragen für die Reise „klimaneutrale Uni“ zu beantworten – oder, um im Bilde zu bleiben: für unsere Staus und Sperrungen in Sachen Klimaneutralität alternative Wege zu finden.
Die 12 Studierenden, Mitarbeitenden aus dem wissenschaftlichen und wissenschaftsunterstützenden Bereich sowie Professorinnen und Professoren haben dafür eine Geschäftsordnung für eine noch zu gründende Klimakommission auf Senatsebene vorbereitet. „Das war ein großer Batzen Arbeit. Wir müssen nicht nur Personen und erste Maßnahmen benennen sowie eine Treibhausgasbilanz erstellen“, gibt die Leiterin des Nachhaltigkeitsbüros Dr. Silke Rühmland zu bedenken. „Wir müssen genau überlegen, wie so eine Kommission formal und bezogen auf ihre Struktur ausgestaltet sein soll, damit sie arbeitsfähig ist.“
Silke Rühmland (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Anstoß für diese große und wichtige Aufgabe gaben unter anderem die Students for Climate Justice. In einem Positionspapier forderten sie den Senat auf, dass unsere Universität zwingend klimaneutral werden muss. „Unzählige wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass wir jetzt handeln müssen, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen“, erklärt Tim Faasch von der studentischen Initiative. „Einige Unis haben es bereits geschafft oder sind auf einem guten Weg. An der OVGU gibt es gute Ansätze; die sind aber nicht konkret genug.“ Unsere Nachhaltigkeitsstrategie sei ein gutes Beispiel. Bisher stehe darin nämlich nur, dass wir etwas verändern wollen; aber nicht was, wie und zu wann genau. „Wir sollten es schaffen, schon bis 2030 unseren ökologischen Fußabdruck auf plus minus null zu verkleinern. Im Kontext des Masterplans der Stadt wäre es ein gutes Zeichen, wenn wir als Ort der Innovation und Bildung eine Vorreiterrolle übernehmen und es bereits fünf Jahre vor dem Ziel der Stadt geschafft haben.“
Vor der Umsetzung braucht es eine Analyse
Die Studierenden stellen aber nicht nur Forderungen, sie packen auch mit an. Sie sind Teil der Senatskommission und wollen sich später auch stark in der Klimakommission einbringen. Ideen haben sie bereits viele. Um jedoch zu wissen, welche die wirksamsten sind und wie diese umgesetzt werden können, fehle eine Bilanzierung, so Helena Horn von der studentischen Initiative Students for Climate Justice. „Wir müssen unbedingt unsere Treibhausgasemissionen erfassen – also wie viel Energie verbrauchen wir in welchen Bereichen, wie häufig und auf welchem Weg kommen die Studierenden und Mitarbeitenden zur Uni, welche Verkehrsmittel werden für Dienstreisen genutzt, wie wird in der Beschaffung von Büromaterial auf Nachhaltigkeit geachtet“, zählt Helena Horn einen Bruchteil der Dinge auf, die analysiert werden müssen. „Darauf aufbauend können wir dann schlussfolgern, bis wann wir welche Maßnahmen umsetzen müssen, um unser Ziel zu erreichen.“
Helena Horn (Foto: Hannah Theile / Uni Magdeburg)
Auf unserer Reise zur klimaneutralen Uni ist unser erster Schritt also eine ausführliche Recherche. Denn bevor Sie die Koffer für Ihren Urlaub packen und losfahren, werden Sie sicher schauen, wie das Wetter vor Ort ist, welche Sehenswürdigkeiten es gibt und was der Eintritt kostet. Übertragen auf die Uni heißt das: Bevor konkrete Maßnahmen und verbindliche Reduktionsziele eines Klimaschutzplans umgesetzt werden können, muss die Senatskommission nun erst die erforderlichen Daten erfassen. Und da kommt unser Energiemanager Christian Wiemann ins Spiel. Er kennt wie kein anderer den Status Quo, weiß, wie viel Energie wir wofür verbrauchen, welche Gebäude und technischen Anlagen in welchem Zustand sind. Seine Vision: „Ich möchte, dass die Energieverbräuche und CO2-Emissionen so transparent wie möglich auf unserer Homepage zur Verfügung stehen. Bisher gibt es nur für den Stromverbrauch interaktive Grafiken, da die Technik für andere Energiemedien noch aufgeschaltet werden muss.“
Die Erfassung sei wichtig, um die einzelnen Jahre vergleichen und die getroffenen Maßnahmen prüfen und anpassen zu können. So haben wir 2019 zum Beispiel bei Wasser und Abwasser rund 33 Millionen Liter weniger verbraucht als noch 2010 – was der Umwelt und dem Geldbeutel der Uni gut tut. Auch unser Stromverbrauch ist um etwa 700 000 kWh zurückgegangen, weil unter anderem technische Anlagen optimiert und erneuert wurden. „Dennoch haben wir 300 000 Euro mehr bezahlt durch Strompreiserhöhungen in den zurückliegenden Jahren“, erklärt Christian Wiemann. „Und ab 2022 nutzen wir zu 100 Prozent Ökostrom. Was das für die Kosten bedeutet, wird sich zeigen. Wir werden aber definitiv deutlich weniger CO2 ausstoßen.“
Mit klügeren Anschaffungen nachhaltiger handeln
Und genau das wird das oberste Ziel der Klimakommission sein: Unsere CO2-Emissionen Schritt für Schritt zu minimieren und dann die unvermeidbaren Emissionen zu kompensieren. Auch die Beschaffung spielt dabei eine wichtige Rolle. Das beginnt bei einfachen Dingen für den Bürobedarf wie Stifte, Papier und Möbel, bei denen genau geschaut werden muss, wie nachhaltig diese sind. „Das heißt nicht, dass das offensichtlich nachhaltige Produkt wirklich die beste Lösung ist“, gibt Silke Rühmland zu bedenken und nennt als Beispiel eine Computermaus aus Holz oder Plastik. „Nachhaltiger erscheint natürlich erstmal die aus Holz. Aber vielleicht wurde die Plastik-Maus aus recyceltem Kunststoff hergestellt oder hat einen längeren Lebenszyklus und kann danach vielleicht sogar in ihre Komponenten zerlegt und wieder recycelt werden.“
Auch die Anschaffung neuer technischer Anlagen spielt eine entscheidende Rolle und wird durch Christian Wiemann nun viel genauer unter die Lupe genommen. Oft passen Bedarf und installierte Technik nämlich nicht zusammen: „Einige Kältemaschinen laufen auf nur 40 Prozent ihrer eigentlichen Leistung“, erklärt er. „Bei permanent reduziertem Betrieb sind sie störanfälliger. Technische Anlagen, die in ihrem Leistungsbereich arbeiten sind viel langlebiger.“ Da der Campus zunehmend wächst und vor allem neue Laborgebäude entstehen, deren Energiebedarf besonders hoch ist, ist die Bedarfsanalyse mit den Nutzerinnen und Nutzern der Gebäude vorab immens wichtig – also eine Abstimmung, was wirklich benötigt wird.
Christian Wiemann (Foto: Hannah Theile / Uni Magdeburg)
„Wir müssen aber nicht nur Anlagen und Gebäude energetisch sanieren, sondern auch öffentliche Verkehrsmittel und die Nutzung von Fahrrädern attraktiver machen. Im Gespräch sind zum Beispiel sichere Fahrradständer oder Elektro-Räder für die Dienstwege“, nennt Silke Rühmland erste Möglichkeiten. „Wenn wir das geschafft haben, können wir uns dem PKW-Verkehr auf dem Campus widmen.“ Da das ein besonders sensibles Thema sei und viele unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigt werden müssen, soll sich die Hochschulöffentlichkeit mit ihren Vorschlägen beteiligen. So wird sich die Kommission nicht nur aus allen Statusgruppen zusammensetzen, sondern es wird auch regelmäßige Ideenpitches zu unterschiedlichen Themen geben, in denen Studierende und Mitarbeitende Maßnahmen vorschlagen und mitgestalten können. Und wie wichtig es ist, dass verschiedene Sichtweisen eingebracht werden, wird bereits am Beispiel der Dienstfahrräder deutlich. Wo werden sie gelagert, dass sie für alle gut zu erreichen sind? Wie werden sie gebucht? Wie werden sie in Stand gehalten? Können wir mit einem Dienstleister zusammenarbeiten? Fragen, die sich Christian Wiemann stellt, denn: „Anschaffen alleine reicht nicht. Wir müssen auch die Fragen drum herum klären. Und je mehr dazu gestellt werden, umso besser funktionieren unsere Maßnahmen am Ende.“
Alle sollen sich einbringen
Im Engagement für Nachhaltigkeit solle es bei der Klimakommission aber nicht um die Konsumkritik gehen, also der Frage, was jede und jeder Einzelne für den Klimaschutz leisten kann. „Da gibt es sicherlich einige Sachen. Und natürlich wäre es toll, wenn alle nur noch mit dem Fahrrad oder den Öffis zur Uni kämen“, erklärt Tim Faasch. „Wir wollen uns jetzt darauf konzentrieren, was die Uni für ihre Mitglieder tun kann, damit diese nachhaltiger handeln können. Da sind wir auf die Ideen der Leute angewiesen, die uns sagen können, woran es bei ihnen noch hapert; weswegen es für sie zum Beispiel noch wichtig ist, das Auto zu nutzen oder warum sie noch das Fleischgericht in der Mensa wählen und wie die Uni die nachhaltigen Optionen für sie attraktiver machen kann.“
Tim Faasch (Foto: Hannah Theile / Uni Magdeburg)
Doch ist das alles realistisch? Können wir das Ziel der Studierenden wirklich schon 2030 erreichen? Für Helena Horn liegt die Betonung eindeutig auf WIR: „Beteiligung spielt eine entscheidende Rolle. Der Prozess soll nicht hinter geschlossenen Türen stattfinden. Wir möchten die Hochschulöffentlichkeit von Anfang an aktiv einbeziehen und mit ihnen gemeinsam die passenden Schritte gehen“, ruft die Studentin der Umweltpsychologie zum Mitmachen auf. Interessierte Menschen können sich jederzeit bei den Students for Climate Justice melden. Die studentische Initiative will einen Verteiler aufbauen, über den die Angehörigen der Uni für konkrete Aufgaben angefragt werden bzw. in mobilen Arbeitsgruppen mitwirken können. In der nächsten Sitzung am 21. April 2022 sollen dann die ersten AGs gegründet werden, die sich mit bestimmten Themen intensiver beschäftigen, wie bspw. der Treibhausgasbilanzierung, der Mobilität, Gebäudesanierung oder Transparenz. „Ja, die Jahreszahl 2030 ist ein großes Ziel. Aber wir glauben fest daran, dass wir das schaffen können. Sonst hätten wir es nicht gefordert. Die Leuphana-Universität Lüneburg hat es in 7 Jahren geschafft. Wir haben noch 8. Wenn wirklich der Wille da ist, können wir es schaffen.“
Und wie kommen Sie jetzt am nachhaltigsten nach Paris? Natürlich mit dem Zug!