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Prof. Dr. med. Hagen Thieme (Foto: Sarah Kossmann / UMMD)
12.12.2022 aus 
Studium + Lehre
Vom Mechaniker zum Augenarzt

Medizin studieren – diesen Wunsch haben viele nach der Schule. Auch Prof. Dr. med. Hagen Thieme hatte ihn. Dafür braucht man in der Regel aber ein sehr gutes Abitur, sonst stehen die Chancen eher schlecht. Hagen Thieme hatte nach eigenen Angaben kein gutes Abiturergebnis. Dennoch ist er heute Augenarzt und leitet die Universitätsaugenklinik in Magdeburg. Nach dem Abitur hat Thieme seinen Zivildienst angetreten und mit einer Ausbildung als Rettungssanitäter abgeschlossen. Danach stand für ihn fest, dass er Medizin studieren möchte. „Mein Vater war Elektrotechniker und fand das gar nicht gut. Er meinte, ich müsste etwas Handwerkliches machen. Meine Schwester ist Landwirtin und mein Bruder arbeitet in der Industrie am Band. Ich war also eher der Außenseiter mit meinem Wunsch, Medizin zu studieren“, erzählt er. Aber sein Abiturdurchschnitt reichte nicht aus, um einen Medizinstudienplatz zu bekommen.

Mit einem kleinen Auto, zwei Koffern und nur ein paar hundert Mark im Gepäck ging Thieme schließlich nach England, um dort mit 23 Jahren zunächst eine Ausbildung als Fluggerätemechaniker in einem kleinen Museum in London zu beginnen. „Mich interessierte schon immer das kleine feine Basteln und wie genau mechanische Dinge funktionieren. Ich wollte einfach etwas mit den Händen machen. Das ist es auch in der Chirurgie, was mich heute noch antreibt.“

In England war er ein absoluter Underdog, wie er selbst sagt. „Dort habe ich gelernt, mich durchzubeißen und an einem unbekannten Ort Fuß zu fassen.“ Geholfen hat ihm dabei sein damaliger Lehrmeister. Von ihm habe er nicht nur das technische Verständnis gelernt. „Er hat mir vertraut und mich auch mal machen lassen. Er war mein großes Vorbild und hat mir Teamarbeit und die pure Freude an der Arbeit vermittelt. Auch seinen englischen Humor habe ich mir erhalten“, erzählt er schmunzelnd.

Prof. Hagen Thieme in jungen Jahren als Mechaniker an einem Flugzeug (c) privatProf. Hagen Thieme in jungen Jahren als Mechaniker an einem Flugzeug (Foto: privat)

1988 folgte für den Hannoveraner schließlich die ersehnte Zusage für das Medizinstudium an der Freien Universität Berlin. Thieme hätte zu diesem Zeitpunkt nie daran gedacht, dass ihn seine Zeit in England zwei Jahre später schließlich zu seiner Doktorarbeit und zu seinem heutigen Fachgebiet Augenheilkunde führen würde: „Mein Doktorvater, der Physiologe und Augenarzt Prof. Dr. Michael Wiederholt, hat mich nur aufgrund dieses Bruchs in meiner Vita in seine Arbeitsgruppe aufgenommen. Er suchte immer gezielt nach Leuten, die auch mal über den Tellerrand geblickt haben.“ Eine Devise, die auch Thieme für sich und sein Team, in dem ganz unterschiedliche Fachrichtungen und Nationalitäten vertreten sind, übernommen hat. „Man muss den Trampelpfad auch mal verlassen, um erfolgreich zu sein. Und dabei ist es wichtig, bei Widerständen und Misserfolgen nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen.“

Für die intensive Forschungszeit mit Wiederholt ist Thieme seinem Doktorvater rückblickend sehr dankbar. Mit seiner Unterstützung und einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) hatte er die Chance, an der Harvard Medical School in Boston, USA, zu forschen. Wegbereitend als Mentor während der Facharzt-Ausbildung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin war zudem der renommierte Berliner Augenarzt Prof. Dr. med. Friedrich Hoffmann. Ihm verdanke Thieme sein chirurgisches Geschick.

In diesem Jahr ist Thieme bereits seit 10 Jahren Klinikdirektor in Magdeburg. Rückblickend erzählt er: „Als ich 2012 berufen wurde, habe ich gedacht, jetzt hast du es geschafft, aber ich hatte es überhaupt nicht geschafft.“ Denn Personal zu halten und neues zu gewinnen, sei nach wie vor die größte Herausforderung für ihn, vor allem auch in Krisenzeiten. „Jeden Tag aufs Neue stelle ich mich dieser Aufgabe, auch wenn ich weiß, dass das ein Marathonlauf ist.“

Seine Leidenschaft für Motoren hält übrigens bis heute an. Wenn es seine Zeit zulässt, restauriert der 58-Jährige alte englische Motorräder.

Autor:in: Friederike Süssig-Jeschor
Quelle: uni:report Sommersemester 2022