Wie würden Sie erklären, was hinter dem sperrigen Wort „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ steht? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat es mit einem Video versucht und dafür die Figur „Hanna“ ins Leben gerufen. In den Sozialen Medien ging das Video viral. Aber nicht wie vom BMBF gewünscht. Mit dem Argument, es solle „nicht eine Generation alle Stellen verstopfen“, da Innovation nur durch Fluktuation zustande komme, begründete das Ministerium befristete Verträge in der Wissenschaft. Was folgte, war ein Sturm der Entrüstung. Unter dem Hashtag „IchbinHanna“ twitterten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen über ihre Arbeitsbedingungen. Denn wer sich für die Wissenschaft entscheidet, nimmt einen langen Weg mit vielen kurzen Verträgen und noch mehr Unsicherheit auf sich.
Eine, die den Weg geschafft hat, ist Prof. Dr. Dunja Bruder. Seit über 15 Jahren erforscht die Immunologin die Antworten unseres Immunsystems auf Influenza-Viren und Pneumokokken. Dass sie heute W2-Professorin ist und seit 2011 einen unbefristeten Vertrag hat, ist die absolute Ausnahme. „Bei mir ist es gut gelaufen, ich hatte aber auch eine Menge Glück“, weiß die Wissenschaftlerin. Bereits ihr erster Postdoc-Vertrag war eine auf 2 Jahre befristete Haushaltsstelle. In der Zeit konnte sie erfolgreich Drittmittelanträge stellen und hatte dadurch immer Anschlussverträge. Würde sie also alles wieder genauso machen? „Eher nicht. Mit dem Wissen von heute wäre ich nicht mehr so mutig“, gesteht sie. „Es gehört sehr viel Idealismus dazu und der Glaube, dass sich alles fügen wird. In den letzten Jahren habe ich aber oft genug gesehen, dass sehr viel schief gehen kann.“
Prof. Dunja Bruder (Foto: Christian Morawe / UMMD)
Denn die Norm sieht anders aus. Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen haben sechs Jahre, um sich für eine Festanstellung oder Professur zu qualifizieren. In dieser Zeit hangeln sie sich von einer Befristung zur nächsten – oft sogar nur mit Verträgen über wenige Monate. Und nach den Qualifizierungsjahren ist eine Weiterbeschäftigung nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich. „Oft bleiben nur Drittmittelverträge, die maximal der Projektlaufzeit entsprechen“, fasst Prof. Bruder die Misere zusammen. „Aus meiner Sicht ist das völlig absurd. So viele hervorragend qualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen werden so aus dem System gedrängt.“ Durch die kurzen Arbeitsverträge und dem damit verbundenen teils häufigen Wechsel der Arbeitsgruppen könne der Nachwuchs keine längerfristig angelegten Projekte beginnen, in denen er eine Kernexpertise aufbauen und ausreichend Publikationen veröffentlichen könnte. Hinzu käme, dass die meisten gar keine Professur anstrebten. „Viele wollen einfach forschen und dieser Berufswunsch wird durch die Regelung komplett verbaut. Darum sollte es auch andere Qualifizierungsziele geben.“
Für Doktoranden sei es noch in Ordnung, wenn die Promotion über einen befristeten Vertrag laufe. Auch junge Postdocs nach der Promotion könnten aus ihrer Sicht für zwei oder drei Jahre befristet werden. „Aber idealer Weise ohne Stückelverträge, also durchfinanziert über die gleiche Stelle für die gesamte Laufzeit“, plädiert die Immunologin. Erst so könnten sie sich auf den Standort, die Projekte und die Arbeitsgruppe einlassen. Und auch die Innovationskraft würde – wie vom BMBF befürchtet – nicht ausbleiben. „Durch mehr Sicherheit wagen sie sich an neue, auch risikobehaftete Ideen heran, durch die wirkliche Innovationen entstehen können“, argumentiert Dunja Bruder. Aber nicht nur für die Einzelpersonen sei mehr Kontinuität wichtig. Auch für die Arbeitsgruppen wäre es eine enorme Erleichterung. So bleibe Fachwissen erhalten, das für alle Projekte wichtig sei und in der Ausbildung an Masterstudierende oder Doktoranden weitergegeben werden könne.
Unter welchen Bedingungen sie Mitarbeitende entfristen könnte, dafür gebe es keine definierte Vorgehensweise. „Es wäre ein Traum, wenn es transparente Entfristungsregeln gäbe“, so Prof. Bruder. „Also ganz klare Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ich als Arbeitsgruppenleiterin meine Mitarbeitenden dahingehend beraten und den Prozess begleiten kann. Aktuell kann ich ihnen gar nicht genau sagen, was sie machen sollen, um überhaupt die Chance auf eine unbefristete Stelle zu haben. Wenn es vor Einstellung schon eine Art Checkliste gäbe, könnten die Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen drauf hinarbeiten.“ Dass die Universitäten unflexibel reagieren, kann die Wissenschaftlerin verstehen. Die Unis würden sich auch nur an sehr starre gesetzliche Vorgaben halten und hätten Angst, Formfehler zu machen. Es gäbe aber einen Spielraum für Entfristungen, der viel zu selten genutzt werde.
Als Führungskraft sind die befristeten Verträge auch für Prof. Bruder eine echte Herausforderung. (Foto: Christian Morawe / UMMD)
Neben der beruflichen Herausforderung, die die über viele Jahre hinweg andauernden befristeten Arbeitsverträge mit sich bringen, ist auch das Privatleben unsicher. Sich an einem Ort einen Lebensmittelpunkt aufbauen, eine Familie gründen, ein Haus finanzieren. All das ist nicht so einfach möglich. „Ich habe einen Partner, der immer eine feste Stelle hatte, sodass ich nicht ins Bodenlose gefallen wäre“, erinnert sich Prof. Bruder. „Aber auch das ist ja nicht bei allen so. Es kann im schlimmsten Fall sogar sein, dass man nicht mal Anspruch auf Arbeitslosen- oder Elterngeld hat.“ Die Kampagne des Bundesministeriums habe bei Prof. Bruder darum nur Kopfschütteln ausgelöst. „Die Aussage, dass Stellen verstopft werden, ist der Inbegriff der Respektlosigkeit gegenüber hervorragend qualifizierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen“, sprudelt es aus ihr heraus. „Es macht mich sprachlos und wütend, dass sie als Belastung für das System gesehen werden, wenn sie den Anspruch erheben, eine unbefristete Stelle haben zu wollen.“ Auch, dass Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen immer unterstellt werde, den Spaß an der Forschung und die Neugier zu verlieren, wenn sie einen festen Vertrag hätten, könne sie nicht nachvollziehen. Wenn etwas die Leidenschaft bremse, sei es die Unsicherheit, weil man die ganze Zeit auf dem Absprung sei. „Diese Situation ist einfach nicht förderlich für Kreativität. Durch eine Entfristung sind die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen abgesichert und gehen viel freier an die Forschung heran. Und genau das kann Innovationen beflügeln.“