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Prof. Petra Schwer hält ein dreidimensionales Modell in den Händen (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
23.03.2022 aus 
Forschung + Transfer
Mit Dreiecken das Wetter vorhersagen

Ein Dreieck auf einem Blatt Papier – so beginnt die Forschung von Mathematik-Professorin Petra Schwer. Mit farbigen Stiften zeichnet sie weitere Dreiecke auf das Gitterpapier und lässt ein Muster entstehen, das genau definierten Regeln folgt. Die Forscherin spiegelt, dreht und verschiebt ihr Startdreieck entlang unterschiedlicher Achsen und Drehpunkte und erzeugt so eine symmetrische Struktur. Die 41-Jährige, die seit 2018 an der Otto-von-Guericke-Universität forscht und hier den Lehrstuhl für Geometrie innehat, widmet sich in ihrer Arbeit mathematischen Gruppen, um mehr über die Grundlagen von Symmetrien herauszufinden.

„Ich mache Grundlagenforschung“, betont die Wissenschaftlerin. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben üblicherweise keinen direkten Nutzen. Trotzdem entdeckte sie kürzlich gemeinsam mit dem Klimawissenschaftler Aiko Voigt, dass Methoden aus ihrem Forschungsgebiet für eine ganz konkrete Fragestellung der Klimawissenschaft sehr hilfreich sein können. Es geht dabei um Wettermodelle, die die Wolkenbildung simulieren. Wie ein Gitter legen sich diese Modelle über die gesamte Erdkugel und ermöglichen Vorhersagen für jedes einzelne Segment. Bisher sind diese Modelle recht grob in der Auflösung, sodass einzelne Gewitterzellen oder kleinere Wolkengebiete kaum abgebildet werden können und damit schlecht vorhersagbar sind. In den Klimamodellen der nächsten Generation soll die räumliche Auflösung wesentlich höher sein und damit genauere Vorhersagen auch lokaler Wetterphänomene ermöglichen.

An dieser Stelle kommen Petra Schwer und ihre Dreiecke ins Spiel. „Das deutsche Wettermodell ICON basiert nicht wie andere Modelle auf Quadraten, sondern auf Dreiecken“, erklärt sie. Fast drei Millionen dieser dreieckigen Gitterzellen umspannen die Erdkugel und werden vom Deutschen Wetterdienst zur globalen Wettervorhersage genutzt. „Das Problem der Klimaforschenden ist, dass es bisher keine Rechentools auf Dreieckbasis gibt, die genau ermitteln können, wo eine Wolke aufhört und die nächste anfängt“, beschreibt Petra Schwer das Dilemma. Ein solches Rechentool entwickelte sie kürzlich mithilfe einer mathematischen Technik aus ihrem Forschungsgebiet: „Diese Methode macht aus Dreiecksgittern dreidimensionale Würfel“, erklärt die Forscherin. „Danach können die bereits etablierten Methoden zur Wolkenberechnung einfach angewendet werden.“

Prof. Schwer hält ein dreidimensionales Modell in die Kamera (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgMit dreidimensionalen Modellen kann die Mathematikerin die Wolkenbildung berechnen (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Natürlich freut es die Mathematikerin, wenn sie sieht, wie die Ergebnisse ihrer Arbeit angewendet werden können. „In solchen Kooperationen, in denen man gemeinsam mit dem jeweiligen Know-how an großen Fragen arbeitet, liegt viel Potenzial“, ist sie überzeugt. In ihrem Forschungsalltag ist ein solches Projekt dennoch die Ausnahme. „Das Wissen, das wir heute in der Mathematik generieren, wird vielleicht in 100 Jahren tatsächlich einmal angewendet. Das, was heute beispielsweise in den Handys steckt, ist solch alte Mathematik“, betont sie. „Aber ohne diese Grundlagen würde es nicht funktionieren.“

Ein langer Weg bis zur Erkenntnis

Wenn sich die Wissenschaftlerin Buntstifte und Papier zur Hand nimmt, um ein Muster aus Dreiecken und ihren Spiegelungen zu kreieren, beginnt ihr Kopf sofort die mathematischen Beziehungen zu analysieren. „Ich kann stundenlang auf das Gitterpapier und die dort entstandenen Muster schauen und versuchen, Strukturen zu erkennen“, erklärt sie. Sogar im Alltag – wenn sie etwa mit dem Fahrrad an einem Gebäude vorbeifährt, dessen Fassade ein Muster aus Dreiecken ziert – erinnert sie das an ihre Forschungsfragen. Warum sieht das Muster so aus, wie es aussieht? Welche Spiegelungen, Drehungen oder Verschiebungen liegen ihm zugrunde? Was geschieht, wenn sich die Achsen der Spiegelungen verändern oder die Reihenfolge der Spiegelungen vertauscht wird? Wie viele Symmetrien gibt es für ein bestimmtes Objekt und wie genau wirken sie auf das Objekt? Wie viele Möglichkeiten gibt es, eine Ebene mit identischen Kopien von Dreiecken zu füllen? Es sind Forschungsfragen wie diese, die die Mathematikerin umtreiben.

Übersetzt Petra Schwer ihre auf dem Gitterpapier gezeichneten Muster aus Dreiecken in die mathematische Sprache, wird es für den Laien schnell unübersichtlich. „Das sind die Berechnungen zu den Bildern“, sagt die Forscherin und deutet auf eine komplizierte Abfolge von Gleichungen. „Das ist dann nicht mehr so hübsch, außer man weiß, woher es kommt“, sagt sie und lacht. Das Ziel ihrer Arbeit, die sich an der Schnittstelle von Geometrie und Algebra bewegt, ist aber genau das: Die Strukturen der Muster und ihre Zusammenhänge werden mathematisch in einer Formel beschrieben. Der mathematische Beweis, der die Beziehungen erklärt, ist dann der krönende Abschluss der Arbeit.

Das Bearbeiten einer solchen Forschungsfrage dauert üblicherweise mehrere Jahre. „Das ist wahrscheinlich länger als in den meisten anderen Disziplinen“, sagt Petra Schwer. Manchmal kann es vorkommen, dass der eingeschlagene Weg sich als falsch herausstellt oder sich ein Fehler eingeschlichen hat, der erst spät entdeckt wird. „Dann hat man bergeweise Altpapier produziert und muss noch einmal von vorn anfangen“, beschreibt sie die Herausforderungen und Schwierigkeiten auf ihrem Forschungsgebiet. Aber davon lässt sich die Mathematikerin nicht abschrecken. Denn in ihrer wissenschaftlichen Karriere hat sie gelernt, dass auch im Scheitern Erkenntnisse liegen. „Wenn man sieht, was nicht funktioniert, kann einen das trotzdem vorwärtsbringen. Man lernt immer etwas und kommt manchmal erst durch Fehler auf die richtige Idee.“

Prof. Petra Schwer vor einer Tafel mit geometrischen Formen (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgProf. Petra Schwer (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Mathematik faszinierte sie schon in der Schule – wie auch viele andere Fächer. „Ich hatte aber das Glück, einen Lehrer zu haben, der mit uns schon ein bisschen Hochschulmathematik gemacht hat“, erinnert sie sich an die Schlüsselmomente, die schließlich zum Mathe-Studium führten. In der Mathe-AG in der zehnten und elften Klassenstufe konnte Petra Schwer so schon ein wenig kennenlernen, was Forschung in der Mathematik bedeutet. „Wir haben Spielwiesen bekommen, auf denen wir uns ausprobieren durften“, erinnert sie sich.

Eine solche Spielwiese für alle an Mathematikfragen Interessierten, Schülerinnen und Schüler der Oberstufe, Lehrkräfte und Studierenden hat sie im vergangenen Jahr gemeinsam mit ihrem Kollegen Thomas Kahle ins Leben gerufen: Der Podcast „Pi ist genau 3“ bereitet alle zwei Wochen ein mathematisches Thema allgemeinverständlich auf. „Es geht um mathematische Konzepte und Objekte, um Forschungsfragen aus unserem Arbeitsalltag, aber auch darum, wie man Mathematik am besten lernt oder warum die Kaffeepause für unseren Austausch so wichtig ist“, erklärt Petra Schwer. „Miteinander zu reden, ist enorm wichtig“, betont sie. Denn so könnten neue Ideen und Ansätze entstehen. „Im stillen Kämmerlein für sich allein sitzt man nur sehr selten.“ Mit ihrem Projekt wollen die beiden Forschenden auch das Image der Mathematik ein wenig geraderücken: „Wenn ich einige Menschen dafür begeistern und ihnen zeigen kann, dass Mathematik alles andere als steif, angestaubt und lebensfern ist, dann wäre schon viel gewonnen“, sagt die Wissenschaftlerin.

Ein erfolgreiches Studium und eine ebenso erfolgreiche Promotion, Forschungsaufenthalte im Ausland, eine Stelle als Juniorprofessorin und schließlich die erste Tenure-Track-Professur in Sachsen-Anhalt an der OVGU – Petra Schwers Karriereweg scheint geradlinig und ohne größere Hürden zu gelingen. Dennoch war sie sich nicht immer sicher, ob sie tatsächlich in der Wissenschaft zuhause ist. „Als Postdoc gab es eine Phase, in der ich aufhören wollte“, erzählt sie. Das ständige Wechseln der Arbeitsplätze und das Hangeln von einem Projekt zum nächsten, die befristeten Verträge, unsicheren Zukunftsaussichten und die Frage, wie man das alles mit einer Familie in Einklang bringen soll, nagten an der Begeisterung für die Forschung und ihrer Liebe für die Logik, Struktur und Ästhetik der Mathematik. Zehn Monate lang kehrte sie der Wissenschaft den Rücken zu und arbeitete beim Energieversorger RWE. Die Zeit dort möchte sie nicht missen. „Gerade in der Arbeits- und Teamstruktur habe ich sehr viel gelernt.“ Dennoch zog es sie zurück an die Universität. „Ich habe die Forschung zu sehr vermisst und am Ende hat meine Neugier gesiegt.“

Auch in den kommenden Jahren wird ihr diese Neugier als Triebkraft nicht ausgehen. „Die Mathematik ist wie eine Landschaft, die wir nach und nach erobern“, sagt Petra Schwer. „Hinter dem Horizont gibt es noch so viel zu entdecken und mit jeder beantworteten Frage kommen fünf neue dazu.“

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