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Portrait Prof. Alexander Spencer (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
11.03.2022 aus 
Forschung + Transfer
Warum führen Menschen Krieg?

Die Geschehnisse in der Ukraine machen uns deutlich, dass auch in der heutigen Zeit ein einst friedliches Miteinander in einem verheerenden Krieg enden kann. Denn auch nach Tausenden von Kriegen hat es die Menschheit nur bedingt geschafft, friedlich zusammenzuleben – in vielen Teilen der Welt gibt es Konflikte und Unruhen. Doch warum ist das so? Warum greifen Bevölkerungen in einer vermeintlich aufgeklärten Welt noch immer zu Waffen? Und wie kann verhindert werden, dass der Unmut über Unstimmigkeiten in Gewalt endet? Der Friedens- und Konfliktforscher Prof. Alexander Spencer untersucht genau das in seiner Forschung. In der neuen Ausgabe von „Wissen, wann du willst“ spricht er über den Erfolg von Friedensbündnissen, wie durch Sprache Feindbilder geschaffen werden, welche Rolle Medien dabei spielen und dass Frieden immer Kompromisse auf beiden Seiten erfordert.

Heute zu Gast

Prof. Alexander Spencer ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen an der Fakultät für Humanwissenschaften der Uni Magdeburg und Leiter des Master-Studiengangs Peace and Conflict Studies. Nach seinem Studium im Bereich Politik und Internationale Beziehungen hat er sich auf die Terrorismus- und Konfliktforschung spezialisiert und analysiert unter anderem, welche Bedeutung Sprache und Erzählungen bei der Entwicklung von Konflikten haben.

 

Der Podcast zum Nachlesen

Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

Ina Götze: Die Anmoderation dieses Podcasts fällt mir diesmal tatsächlich besonders schwer, denn heute geht es um die bedrückenden Geschehnisse in der Ukraine. Man könnte meinen, dass die Menschen sich eigentlich vertragen nach tausenden von Kriegen. Aber das tun sie leider nicht. Auf der ganzen Welt gibt es Konflikte und Kriege, wie aktuell zwischen der Ukraine und Russland. Wie diese entstehen und welche politischen Lösungen es gibt, das erforscht Professor Alexander Spencer. Heute ist er bei uns zu Gast und spricht mit uns über seine Forschung und natürlich auch die aktuelle Lage in der Ukraine. Herzlich willkommen!

Prof. Spencer: Vielen Dank!

Ina Götze: Bevor wir starten, unser Podcast ersetzt natürlich keine aktuelle Berichterstattung und soll das auch nicht sein, denn die Lage entwickelt sich ja sehr dynamisch. Wir wollen heute versuchen zu verstehen, warum es Kriege überhaupt gibt und wie Frieden einkehren kann. Zur Transparenz, da wir uns natürlich auch auf aktuelle Geschehnisse beziehen, wir zeichnen diesen Podcast am 9. März um 13 Uhr auf.

In meiner Anmoderation habe ich bewusst von „der Lage in der Ukraine“ gesprochen, denn momentan gibt es ja so ziemlich viele Bezeichnungen dafür, was da gerade passiert: Konflikt, Krieg, Angriffskrieg, Invasion. Was davon ist wirklich richtig?

Prof. Spencer: Ich glaube, man kann schon vom Krieg sprechen, in dem Sinne. Letztendlich so eine Definition von Krieg natürlich immer so ein bisschen schwierig, aber es gibt, glaube ich, so drei Elemente, die ganz zentral sind für den Krieg. Einmal, es muss um irgendwas Politisches gehen. Also Politik ist zentral für einen Krieg. Das zweite ist auch, dass es über eine gewisse Zeit gehen muss. Es gibt so ein Element, wo man sagt Krieg ist eigentlich die Zeitspanne, in der wir uns einig sind, dass wir uns mit Gewalt verhalten können. Das Dritte, jenseits dieser Zeitspanne ist nur ein Gefecht. Natürlich gibt es auch keine Definition „das muss über 25 Tage sein“, sondern es ist ein Zeitrahmen. Außerdem brauchen wir auch eine bestimmte Intensität. Es gibt da unterschiedliche Definitionen. Eine der Definitionen aus einem ziemlich alten Projekt, das heißt „The Correlance of War Project“ aus den 60er Jahren, das versucht hat, unterschiedliche Erklärungen für Variablen für den Ausbruch von Krieg zu finden. Die definieren Krieg mit tausend Toten im Gefecht pro Jahr. Und natürlich ist die Zahl ziemlich willkürlich genommen. Aber ich glaube, die Grundidee dahinter ist natürlich, dass man eine bestimmte Intensität braucht, ob es jetzt tausend sind oder achthundert sind, ist dann auch nicht so zentral, aber das glaube ich, dass wir über Intensität schon sprechen müssen, um legitimer Weise von einem Krieg zu sprechen. Ich denke, in diesem Fall ist das durchaus angebracht, hier auch von einem Krieg zu sprechen.

Ina Götze: Oft greifen ja externe Akteure dann in diese Konflikte und Kriege zwischen zwei Ländern ein, versuchen zu schlichten oder unterstützen eben eine Seite auch, so wie aktuell. Wie hilfreich ist das? Braucht es diese Unterstützung, damit es nicht noch schlimmer wird? Oder macht es die Sache vielleicht auch einfach schlimmer?

Prof. Spencer: Das kommt immer darauf an, was man unter Unterstützung versteht. Welche Art der Unterstützung man hier anspricht. Letztendlich ist das auch immer auf der anderen Seite fraglich, was wir als Erfolg werten. Was natürlich kurzfristig vielleicht als Erfolg gewertet werden kann, kann langfristig dann doch irgendwie auch wieder ein Misserfolg und ein Fehler sein und dann wieder noch länger in die Zukunft hinein, dann doch wieder eine gute Idee gewesen zu sein. Und das variiert über Zeit hinweg. Also ist es ganz, ganz schwer zu sagen, ob solche Interventionen dann auch von Erfolg gekrönt sein werden oder nicht. Je nachdem auch, was man als Intervention betitelt. Natürlich militärische Intervention ist, glaube ich, das krasseste Beispiel, was jetzt hier in dem Fall von der Ukraine natürlich sehr, sehr schnell, sehr große negative Konsequenzen haben könnte. Und das ist, glaube ich, auch etwas, wo sich viele Leute einig sind, dass ein militärisches Eingreifen von Seiten der NATO in der Ukraine keine gute Idee wäre, weil es ja potenziell zur weiteren Eskalation oder würde ziemlich sicher zur weiteren Eskalation führen. Und dann würde uns vielleicht der Dritte Weltkrieg ins Haus stehen. Das das will hier keiner.

Ina Götze: Das wäre also eine Maßnahme, die wäre definitiv nicht hilfreich und würde die ganze Sache schlimmer machen. Was die NATO macht und was auch die EU macht, sie ergreifen wirtschaftliche Sanktionen. Das ist eben ein Mittel, was sie einsetzen können. Und auch viele Unternehmen schließen sich dem mehr oder weniger ja an gerade. Sind solche Maßnahmen erfolgreich? Also reicht so ein Druck aus, um auf einen Machthaber Einfluss zu nehmen oder vielleicht auch auf dessen Bevölkerung, dass sie sich gegen ihn auflehnen?

Prof. Spencer: Letztendlich Sanktionen alleine, glaube ich, werden nicht zum Erfolg führen. Jedoch was Sanktionen letztendlich machen, sie erhöhen die Kosten eines solchen Konflikts - für Putin, in dem Fall. Also das ist etwas, wo letztendlich auch Druck aufgebaut wird, auch gegenüber der lokalen Bevölkerung, also in Russland. Und die Möglichkeit eben Druck auf Putin auch auszuüben. Wird das dann zum Umdenken führen? Ich bezweifle es, jedenfalls nicht kurzfristig, aber es ist durchaus eine Möglichkeit, die Kosten zu erhöhen, die Putin eben zahlen muss für diesen Krieg in der Ukraine.

Ina Götze: Dass der Krieg dann unter Umständen nicht ganz so lange dauert oder nicht lange dauern kann, oder?

Prof. Spencer: Genau, also sehr viel mehr Ressourcen müssen investiert werden, also nicht nur militärisches Material, sondern der Krieg hat ja auch andere Kosten auf die russische Wirtschaft. Und das sind alles Möglichkeiten, diese Kosten zu erhöhen.

Ina Götze: Nun gibt es sehr unterschiedliche Szenarien, wie der Krieg ausgehen könnte. Eines ist, dass Russland die Ukraine leider komplett einnehmen wird. Wie will er das Land halten? Die Ukrainer werden ja trotzdem gegen ihn sein, werden ihnen nicht akzeptieren. Wird es dann jahrelange Kämpfe geben?

Prof. Spencer: Ich glaube es ist einfach nicht möglich, ein Land von der Größe mit der Bevölkerungszahl mit den Truppen, die Russland zur Verfügung hat, zu halten. Das wird nicht funktionieren. Dementsprechend glaube ich auch nicht, dass es das Ziel von Putin ist. Ich glaube, wenn, dann wäre es noch mal ein größerer Fehler als die Fehler, die jetzt schon passiert sind. Aber ich glaube, das Halten wird nicht eine Option sein.

Ina Götze: Das finde ich jetzt interessant und stimmt mich fast ein bisschen optimistisch. Ist das jetzt angebracht oder wäre das jetzt naiv?

Prof. Spencer: Naja, letztendlich kann immer noch viel schiefgehen. So ist es nicht und mal ganz ehrlich, keiner kann in Putins Kopf gucken, was Putin vorhat. Letztendlich spekulieren wir. Jedoch allein die Tatsache, dass die Truppenzahlen, die vor Ort sind, werden nicht ausreichen, um das Land vollständig zu besetzen. Wird nicht funktionieren, besonders in einer Situation, wo die Bevölkerung sehr feindselig ist gegenüber den russischen Truppen.

Ina Götze: Und sich wehrt. Nun ist es ja aber auch so, dass sich Ukrainer und Russen ja eigentlich sehr nahestehen, viele haben Verwandte, Bekannte, Freunde in dem jeweiligen anderen Land. Wie schafft es so ein Machthaber, die gegeneinander aufzubringen? Also das russische Soldaten auf unter Umständen eben auch ihre ukrainischen Freunde schießen?

Prof. Spencer: Das hat sehr viel mit jahrelanger Indoktrination durch russische Staatsmedien zu tun, die immer wieder ein bestimmtes Narrativ erzählen. Das haben wir auch schon bei anderen Interventionen und anderen Kriegen gesehen, zum Beispiel Georgien. Das betont wird, dass russische Bürger bedroht werden, dass es zu einem Genozid kommt in dem anderen Land, man deswegen intervenieren muss, um diese Bürger zu schützen.

Ina Götze: Das scheint so ein Dauerbrenner zu sein.

Prof. Spencer: Genau, das ist das Standard-Narrativ, was immer wieder gefahren wird und auch sehr stark betont wird. Aber wir dürfen auch nicht vergessen: Die russische Bevölkerung ist nicht doof. In dem Sinne, dass es durchaus auch einen großen Teil der Bevölkerung gibt, die nicht unbedingt dem Staatsfernsehen nur Glauben schenken. Es gibt auch durchaus Teile, die sehr wohl sich davon sehr stark beeinflussen lassen, aber insbesondere die jüngere Generation, die sich mehr mit sozialen Medien irgendwie informiert und austauscht. Man sieht es ja auch. Es gibt durchaus auch Proteste der lokalen Bevölkerung in Russland und auch Verhaftungen. Die sind sich sehr bewusst, was sie machen und welche Risiken sie da eingehen und machen es trotzdem. Das heißt jetzt nicht, dass sie Putin stürzen werden, das nicht. Aber es gibt durchaus erste Anzeichen davon. Auch durch Familienangehörige von russischen Soldaten, die sich lauthals bei ihren Gouverneuren und bei lokalen Politikern beschweren, warum ihre Kinder denn da hingeschickt werden und was das soll. Es gibt durchaus Kritik, die aber letztendlich immer wieder versucht wird, irgendwie klein zu halten, zu unterdrücken. Und das glaube ich, funktioniert nur so lange, besonders wenn das Narrativ, was erzählt wird, immer weniger mit der Realität scheinbar konform ist. Also man merkt, die Opferzahlen der russischen Truppen werden immer größer. Dann wird es halt schwierig, dieses Narrativ der erfolgreichen militärische Operation, wie es genannt wird, irgendwie aufrechtzuerhalten. Ich denke, insgesamt, was wir hier sehen, ist ein Konflikt von unterschiedlichen Erzählungen. Auf der einen Seite eben Putin, der sich sehr stark noch auf eher klassische Medien, wie das Fernsehen konzentriert. Und auf der anderen Seite aber eben Selenskyj, der sehr stark mit sozialen Medien arbeitet. Und man merkt auch, dass er Schauspieler ist, weil er weiß, wie Medien funktionieren und wie er eine gute Geschichte erzählen kann. Also auch eine Geschichte über die Leute, die die Leute emotional greift, sie mitreißt. Also eher dieses romantische „der Zivilistensoldat, der eben gegen einen ungerechten, sehr viel stärkeren Staat, eben Russland angreift“. Und man sieht auch, wie zum Beispiel die Bilder genutzt werden, die durch ukrainischen Behörden und insbesondere einen Präsidenten und dann auch dieses Zitat Russian Warship: Go fuck yourself. Darf ich das sagen? Weiß ich nicht.

Ina Götze: Wir piepen jetzt hier nichts raus. (lacht)

Prof. Spencer: Und das allein, dieses Narrativ, dieser Underdog, der sich gegen den Stärkeren wehrt. Die sind sehr gut darin, das zu präsentieren. Im Gegensatz dazu die Monologe von Putin im Fernsehen, erscheinen wie aus der Zeit gefallen. Die erscheinen... teilweise das Narrativ, was aufgebaut wird von einem Neonazi-Regime in der Ukraine, das auch noch drogensüchtig ist. Wo man sich denkt: Puh, das ist schon irgendwie eine steile Geschichte, wo ich mir denke, ob das wirklich so gut fängt.

Ina Götze: (lacht) Das kann sich nicht mal Hollywood ausdenken.

Prof. Spencer: Natürlich bei einem Teil der Bevölkerung wird das sicherlich noch funktionieren, aber in anderen... es ist glaube ich einfach ein Schritt zu weit. Es gibt auch unterschiedliche Theorien, was eine gute Geschichte ausmacht. Und ich denke, dass das Selenskyj irgendwie sehr viel besser drauf hat, als diese Selbstdarstellung oder die Darstellung, warum der Kampf auf Seiten der Ukraine eben gerechtfertigt ist.

Ina Götze: Den Tag habe ich tatsächlich auf Instagram einen schönen Kommentar gelesen, beziehungsweise einen Tweet. Ein ehemaliger Schauspieler, der jetzt Präsident ist und im Prinzip sein Land mit Händen verteidigt. Dann Anonymus, die im Prinzip sich damit einmischen, dann Putin. Die Aufzählung dieser Akteure, die da gerade zusammenkommen und das hätte sich nicht mal Hollywood... da wäre nie jemand auf die Idee gekommen, dieses Skript tatsächlich zu schreiben. Und das passiert gerade. Es ist tatsächlich verrückt, muss man sagen. Jetzt ist es für mich so ein bisschen eine ganz klassische Pattsituation. Die Ukrainer wollen verständlicherweise ihr Land ja nicht aufgeben. Putin kann aber auch nicht so richtig einen Schritt zurück machen, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren. Ein bisschen Hoffnung macht es ja, dass die Ukraine jetzt neue Verhandlungen anstrebt und sagt: Okay, wir würden dann auf den Nato-Beitritt unter anderem verzichten. Gibt es vielleicht doch eine diplomatische Lösung oder wie könnte der Weg zum Frieden dort aussehen?

Prof. Spencer: Das große Problem ist, dass Putin sich letztendlich in eine Situation gebracht hat, wie Sie ja schon gesagt haben, aus der er von alleine fast gar nicht mehr rauskommt. Militärische Besetzung der Ukraine ist so gut wie unmöglich, jedenfalls mit den Truppenzahlen, die sie haben. Dann einfach den Rückzug der russischen Truppen. Nein, das wird er auch nicht machen, weil das würde ihm innenpolitisch sehr schaden. Mit seinem Ruf als starker Mann. Gender spielt ja auch eine ganz, ganz wichtige Rolle, also Genderdarstellungen. Deswegen ist es sehr, sehr schwer hier irgendwie sich zu überlegen: Welche Optionen gibt es da? Letztendlich wird es an der Ukraine liegen und zum Beispiel manche Forderung, die ja auch Putin stellt, der Rückzug der NATO-Staaten aus Osteuropa.

Also zum Beispiel das Baltikum, die NATO verlässt Polen... Also genau die Staaten sehen ja jetzt: Gut, dass wir in der NATO sind. Wir sehen, dass diese Bedrohungsängste, die ja existiert haben, durchaus berechtigt sind. Das finde ich immer sehr, sehr interessant. Wir sehen ja dieses klassische Sicherheitsdilemma, was hier durchaus an manchen Theorien immer wieder betont wird. Wo sich eben eine Seite bedroht fühlt, eine bestimmte Aktion macht, zum Beispiel einer Allianz beizutreten, die andere Seite dieses als Bedrohung interpretiert, sich wieder irgendwie aufrüstet und dann sich diese Situation eben aufschaukelt und potenziell eskalieren kann.

Ina Götze: Die Ironie, wollte ich gerade sagen, ist ja nämlich, dass sich Putin ja im Prinzip von der NATO bedroht fühlt. Derjenige, der aber wirklich bedrohlich ist, ist irgendwie er. Zumindest jetzt gerade in unseren Augen. Man kann nicht in die Zukunft blicken und sagen: Hätte die NATO vielleicht nicht doch irgendwann irgendwas gegen ihn gestartet, das weiß man nicht. Ist unwahrscheinlicher sicherlich als das, was er gerade tut, aber...

Prof. Spencer: Auch da wieder: Man muss sich anschauen, die NATO hätte ja gar nicht die Kapazitäten für eine Invasion Russlands... Die Bedrohung, die Putin durch die NATO sieht, ist nicht die Bedrohung des russischen Staats vor Invasion oder so, sondern eher die Bedrohung oder den Verlust von Einfluss in der Sphäre um Russland herum. Ich glaube, das ist eher das, was er als bedroht sieht. Nicht so sehr glaube ich die Integrität Russlands. Da spielen letztendlich auch Nuklearwaffen als Abschreckung noch mal eine zentrale Rolle. Keiner denkt darüber nach, dass NATO-Truppen in Russland einfallen können, das ist kein Szenario, was irgendwie auf dem Tisch liegt.

Ina Götze: Zum Glück! Durch die Globalisierung verbinden sich ja jetzt... also nicht jetzt, sondern grundsätzlich, verbinden sich immer mehr Länder, weil es ihnen ja auch wirtschaftliche Vorteile bringt, zusammenzuarbeiten. Ist die Globalisierung vielleicht damit so eine kleine Garantie auf Frieden, beziehungsweise die Abhängigkeit, die sich daraus ergibt?

Prof. Spencer: Das hatte man immer gedacht, dass das so super wäre. Und das war ja auch immer so eins der Argumente auch für Nord Stream 2, das natürlich durch gegenseitigen Handel man gegenseitige Abhängigkeiten schafft. Also Deutschland abhängig von russischem Gas, aber eben Russland auch abhängig von den finanziellen Mitteln aus Deutschland. Aber scheinbar ist diese theoretische Herangehensweise jetzt nicht besonders hilfreich, in diesem Fall. Ich glaube, das hat aber grundlegend etwas mit der Struktur des politischen Systems in Russland zu tun. Normalerweise, die Grundargumentation, dass durch wirtschaftliche Beziehungen, also man hat seinen Firmensitz in anderen Ländern, man tauscht sich aus, Leute fahren in die Filialen vor Ort und es gibt Austausch zwischen russischen und deutschen Personen. Und dadurch lernt man sich kennen, lernt man sich vertrauen. Vielleicht mag man sich sogar, geht Bier trinken. Auf der persönliche Ebene funktioniert das sehr wohl, dass man merkt: Okay, wir haben die gleichen Interessen. Also daher ist es sehr viel schwieriger, Feindbilder aufzubauen, weil man weiß, der ist gar nicht so, wie hier beschrieben wird aus der persönliche Erfahrung. Wenn wir aber dann in einem System... wenn es in einem System passiert, wo diese Individuen keine großen Einfluss mehr auf die Politik haben, da ist es dann wieder möglich. Demokratisch wird es durchaus sehr viel schwieriger, das zu tun, weil die Person kann wählen und sagen: Nee, nee, aber das stimmt ja gar nicht. Die haben eine Möglichkeit zu widersprechen. Aber eben in einer Diktatur, und ich werde sie jetzt einfach mal so nennen, ist das eben nicht möglich. Und dadurch ist diese Möglichkeit eben sehr viel weniger, Einfluss auf das Verhalten des Staates zu nehmen. Und in Russland, da merkt man auch wieder, dass die Struktur des Staates sehr, sehr wichtig ist, um auch das Verhalten zu erklären. Also in einem Land, in der die Opposition keine Macht hat, oder es fast keine Opposition mehr gibt, ist es letztendlich sehr viel schwieriger, diese Checks and Balances, dass die existieren, dass sie auch greifen können, dass sie verhindern können, dass bestimmte Sachen gemacht werden. Während es in Demokratien einen klaren Ablauf gibt. Es ist ein Nachteil von Demokratien, dass sie sehr langsam sind, aber gleichzeitig auch der Vorteil, weil diese Langsamkeit auch bestimmtes Vertrauen in Demokratien schafft. Wir wissen, Frankreich kann nicht in Deutschland einfallen, weil das natürlich aus unterschiedlichen Identitätsgründen, aber gleichzeitig ist es einfach bürokratisch gar nicht machbar, nicht so schnell. Und deswegen ist diese Struktur, die existiert, durchaus hilfreich auch zu verstehen, warum Staaten sich verhalten, wie sie sich verhalten und eben im Falle von Putin, wo es wirklich sehr, sehr zentral um ihn herum konzentriert ist, sind einzelne Entscheidungen von einzelnen Personen dann sehr, sehr ausschlaggebend.

Ina Götze: Die westlichen Länder zeigen sich ja gerade sehr geeint in ihrem Verhalten. Und jetzt wollen auch Georgien und Moldau gerne in die EU aufgenommen werden. Ist die EU ein Vorbild für ein friedliches Miteinander und könnte sich dieser Spirit vielleicht doch ausbreiten? Also davor, wo Putin wahrscheinlich auch Angst hat, aber kann das überschwappen?

Prof. Spencer: Die EU ist jetzt nicht fehlerfrei. Also ich glaube, wir streiten uns schon genug in der EU. Und das ist auch, glaube ich, nicht unbedingt der Sinn der EU. Ein Sinn der EU ist, dass diese Streitigkeiten nicht gewalttätig werden und das ist glaube ich auch der Sinn von Institutionen insgesamt auf der internationalen Ebene. Sinn ist, dass sie Kommunikationskanäle sind. Sie sind Möglichkeiten zu sprechen miteinander, auch in ganz, ganz anderen Bereichen, um eben mögliche Probleme rechtzeitig zu adressieren, zu diskutieren und zu überlegen, wie kann man damit umgehen. Und letztlich ist das ein essentieller Teil davon, was die EU macht. Das ist ein Netzwerk von Kommunikationskanälen. Das hilft natürlich aber nicht, dass es keinen Konflikt gibt. Aber dass dieser Konflikt letztendlich nicht gewalttätig wird, weil es eben andere Lösungsmechanismen für Konflikte gibt. Dann wird man halt verklagt, zum Beispiel. Also es gibt institutionell Wege, Konflikte dann auch zu lösen. Und das ist, glaube ich, ein essenzieller Punkt, der ein bisschen erklären kann, warum eben auch die EU als ein Friedensprojekt auch verstanden werden kann und sollte.

Ina Götze: Jetzt stellt Putin ja, wir haben es vorhin schon angedeutet, oder wir haben schon erzählt, ziemlich viele Forderungen, um den Krieg zu beenden. Was davon jetzt genau, wie in welcher Form umgesetzt werden kann und ihm zugesagt werden kann, das wird die Zukunft zeigen. Lebt der Frieden davon, dass wir leider Gottes mit solchen Unruhestiftern Kompromisse schließen müssen?

Prof. Spencer: Ich glaube, Frieden ist immer verbunden mit Kompromissen. In der EU ist das genauso. Wir sehen ja auch, es sind ja nicht nur Deutschlands Interessen, die sich durchsetzen können, sondern das ist immer irgendwie ein bisschen Give-and-Take, eine Art des Kompromisses. Und das ist, glaube ich, so ungerecht und so frustrierend das erscheinen mag, eben Kompromisse mit Akteuren zu schließen, die ungerechte Dinge tun, die Gewalt androhen oder eben auch Gewalt anwenden, es ist, glaube ich, in dieser Situation einer der wenigen Möglichkeiten, um noch irgendwie oder um zu weniger Gewalt zu führen.

Die Frage ist: Wo gibt es Möglichkeiten für Kompromisse? Ich glaube auch viele der Forderungen von Putin sind rein rhetorischer Natur. Die sind nicht wirklich ernst gemeint in dem Sinne, dass Putin ganz genau weiß, dass das nie passieren wird. Also zum Beispiel der Rückzug der NATO, aus den baltischen Staaten, aus Polen und anderen. Das wird nicht wirklich passieren. Anderes, wo durchaus noch eine Möglichkeit existiert, ist eben die Neutralität der Ukraine, also dass die Ukraine nicht der NATO beitritt. Natürlich wurde das angedeutet, dass die Ukraine der NATO beitreten kann, aber es war nie konkret. Das war nie so: Morgen ist die Ukraine Teil der NATO. Das war nicht so. Da glaube ich, gibt es durchaus Spielraum. Das ist aber eine Entscheidung, die die Ukraine und ihre ukrainische Regierung treffen müssen. Da kann der Westen auch nicht wirklich viel... Das ist nicht die Entscheidung des Westens, sondern das muss, muss die Ukraine entscheiden.

Ina Götze: Eine Konsequenz für Deutschland ist es, wieder aufzurüsten. Jetzt wurde jahrzehntelang abgerüstet als Zeichen für Frieden und dass das nicht notwendig ist. Führt es unter Umständen wieder zu mehr militärischen Auseinandersetzungen?

Prof. Spencer: Es gibt da so zwei unterschiedliche Ansätze. Die einen würden sagen, dass militärische Aufrüstung dazu führt, dass wir uns gegenseitig abschrecken. Das größere militärische Macht den Preis erhöht für einen Konflikt und dadurch, die Leute sich das genau überlegen, ob das denn wert wäre. Auf der anderen Seite ist natürlich militärische Aufrüstung auch immer eine Gefahr der Eskalation. Dass wir genau diese Spirale, diesen Rüstungswettlauf, den wir ja auch schon während des Kalten Krieges gesehen haben, dass der weiter eskaliert und mit mehr militärischem Material und mehr, mal ganz banal gesagt, mehr Flugzeugen in der Luft, kann es auch immer zu Fehlern kommen und immer zu nicht intendierten Konsequenzen durch Fehler, die passieren, durch Individuen. Dadurch ist es ein bisschen ein zweischneidiges Schwert.

Ina Götze: Wir hoffen, dass es tatsächlich nur der Abschreckung dienen wird. (lacht) Bei uns bin ich aber auch sehr optimistisch.

Prof. Spencer: Auch da ist halt die Frage: Würde die Bundeswehr wirklich abschrecken oder sind es nicht doch andere, zum Beispiel die NATO-Mitgliedschaft, die abschreckt oder eben auch nicht? Das ist natürlich immer so ein bisschen kontrovers. Oder sind es nicht auch Nuklearwaffen, die abschrecken würde? Es ist highly problematic, also durchaus sehr, sehr kontrovers zu diskutieren. Und immer wieder auch wurde betont, zum Beispiel bei neorealistischen Theorien, die sagen, dass diese Nuklearwaffen durchaus friedensstiftend sind, weil sie letztendlich zu gegenseitiger Abschreckung führen. Gleichzeitig gibt es durchaus die Möglichkeit von Fehlern und wenn diese Fehler dann katastrophale Ergebnisse als Resultate erzielen, ist es natürlich auch nicht wirklich eine gute Idee. Aber das ist so ein bisschen der Konflikt, der existiert. Diese Argumente für und gegen Nuklearwaffen und natürlich wäre es in einer idealen Welt, wo keine Nuklearwaffen existieren, das ist so das Ziel. Aber in der gegenwärtigen Situation haben wir immer das Problem, wenn eine Seite Nuklearwaffen hat, wie kann man die andere Seite überzeugen, dass sie die aufgibt? Oder wie kann Vertrauen geschaffen werden in gegenseitiger Abrüstung? Das wird versucht durch Verträge, zum Beispiel, indem man bestimmte Maßnahmen festschreibt und sich einigt darüber, dass bestimmte Waffen eben abgeschafft werden oder sehr reduziert werden und so weiter. Aber auch da gibt es immer die Möglichkeit, diese Abkommen zu verlassen.

Ina Götze: Ist ein bisschen wie im Wilden Westen. Man steht sich gegenüber und irgendwie müssten beide gleichzeitig die Waffe runternehmen, damit der andere Vertrauen hat, dass nicht geschossen wird. Jetzt ist es ja schon so, dass man auf dem Schulhof mit den ersten Konflikten in Verbindung steht. (lacht) Also selbst Kinder streiten sich, prügeln sich. Warum ist das so? Warum kann sich die Menschheit nicht einfach vertragen?

Prof. Spencer: Da gibt es unterschiedliche Theorien, was letztendlich zu einem Konflikt führt, also auf der internationalen Ebene. Und vielleicht hilft es auch so ein bisschen für den Kindergarten. Und das sind letztendlich, ich würde sagen drei, vier, fünf unterschiedliche Ansätze. Die einen würden sagen, es geht um Macht. Dass Konflikte entstehen, weil wir bestimmte Macht erlangen wollen oder Machtpositionen verteidigen wollen, kann man auch im Kindergarten sehen. Gleichzeitig, andere würden sagen: Na ja, es hat eigentlich eher was mit der Anwesenheit oder Abwesenheit von Institutionen zu tun. Also das EU-Beispiel, also mit weniger institutionellen Verflechtungen kommt es leichter zu Konflikten oder zu Krieg, weil es eben weniger Möglichkeiten gibt von Kommunikation, von Kompromissfinden und so weiter. Das wäre so ein zweiter Ansatz. Ein dritter wäre: Na ja, es hängt sehr viel mit wirtschaftlichen Interessen von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zusammen innerhalb des Staates. Und andere würden dann wieder betonen: Naja, ne ne, es geht eigentlich um Werte und Normen, also welche Identitäten auch existieren, was als richtig erachtet wird, also eine normative Einstellung und dann letztendlich auch Ansätze, die sehr stark auf Selbst- und Fremdzuschreibung von Identitäten und Feindbildern letztendlich zugespitzt sind. Also wo Diskurse bestimmte Identitäten konstruieren, Russland als Feind oder der Westen als Feind oder bestimmte charakteristische Merkmale zugeschrieben werden, die eben genau kriegerische oder Gewalt erst möglich machen, indem zum Beispiel bestimmte Akteure entmenschlicht werden. Und dadurch es sehr viel leichter ist, Gewalt anzuwenden, wenn ihnen bestimmte Eigenschaften zum Beispiel abgesprochen werden: drogensüchtige Neonazis. Also als ein Beispiel, wie es versucht wird, Akteure zu delegitimieren. Also auf diesen unterschiedlichen theoretischen Erklärungsansätze kann man eben Konflikte untersuchen, um zu sehen, inwieweit helfen die uns hier in diesem Fall ganz konkret den Konflikt zu verstehen.

Ina Götze: Und haben sich die Gründe, warum Konflikte entstehen oder warum es auch Kriege gibt, im Laufe der Geschichte verändert? Oder streiten die Menschen tatsächlich immer noch wegen der gleichen Gründe?

Prof. Spencer: Ja, also wie gesagt, ich denke wirklich, dass sind so die Hauptgründe, die ich genannt hatte. Also noch mal runtergebrochen: Machtinteressen und Identitäten. Das sind so die drei Kernelemente, die immer wieder auftauchen, wenn wir uns Konflikte anschauen.

Ina Götze: Die Menschheit wird es also nicht überwinden, also zumindest in den Identitäten zu sagen: Mir ist ja eigentlich egal, was in anderen Ländern ist und wie die sich identifizieren, solange es in meinem eigenen Land eben funktioniert.

Prof. Spencer: Ja, es ist halt immer das Problem, so abgeschottet ist die Welt nicht. Das heißt, es gibt so viele Verbindungen zu anderen Staaten. Deswegen ist es immer sehr, sehr schwer zu argumentieren: Na ja, wir machen das halt hier so und ihr macht das da drüben anders, ist okay. Das ist eben sehr schwierig, weil es so viele Verbindungen gibt durch Handel, durch Kommunikation, dadurch dass wir viel mehr reisen.

Ina Götze: Sich auch so mischt, alles.

Prof. Spencer: Genau.

Ina Götze: Veränderungen sind ja aber auch was Gutes. Sollte man Herrn Putin vielleicht auch mal sagen. Es ist ok, dass sich mal etwas nach 40 Jahren ändert. Man sagt ja immer, dass Bestattungsunternehmen leider immer etwas zu tun haben werden, weil leider immer Menschen sterben. So ein bisschen gilt das für Ihre Forschung ja auch, weil es wird wahrscheinlich leider immer Kriege geben. Beunruhigt Sie das?

Prof. Spencer: Ich glaube es wäre schön, wenn ich irgendwann arbeitslos wäre. Vielleicht nach der Rente dann, dann ist okay. Ich denke, dass es immer Konflikte geben wird. Und die Friedens- und Konfliktforschung beschäftigt sich ja nicht nur mit gewalttätigen Konflikten, also mit physischen, gewalttätigen Konflikten, sondern eben auch mit anderen Konflikten, wo es eben auch um Aspekte von struktureller Gewalt geht, Rassismus zum Beispiel. Obwohl jetzt nicht physische Gewalt immer gleich die erste Option ist, sondern wohl eher das Problem struktureller Natur ist. Und auch das ist, glaube ich, ein Aspekt der uns interessiert, das zu erforschen. Also ich würde Ihnen schon zustimmen, das ist, glaube ich, jetzt nicht absehbar, dass wir irgendwie alle in Frieden leben werden. Wobei wir natürlich immer unser Friedensverständnis auch ein bisschen thematisieren müssen: Was verstehen wir denn überhaupt unter Frieden? Und da gibt es auch da so zwei unterschiedliche, sehr grobe Verständnisse. Eine, die das Konzept von einem negativen Frieden betonen. Und negativer Frieden bedeutet hier einfach die Abwesenheit von Gewalt. Also wir bringen uns nicht gegenseitig um, aber alle anderen Sachen, so wie strukturelle Gewalt, Rassismus, Sexismus, die wären noch da. Positiver Frieden im Gegensatz dazu ist eher so diese Idee von einem harmonischen Miteinander, was aber eher dann auch dieses Utopische so ein bisschen beinhaltet, wo wir vielleicht nie hinkommen werden, aber immer irgendwie so als Ziel so ein schönes Ideal ist. Und ich glaube, macht jedenfalls für mich am meisten Sinn, Frieden als eine Art Spektrum zu verstehen. Nicht so sehr als Endzustand. Frieden und gut ist, sondern irgendwie einfach etwas, was sich auch immer wieder ändert.

Ina Götze: Und glauben Sie, dass zumindest negativer Frieden weltweit möglich wäre? Dass es zumindest keine Gewalt gibt?

Prof. Spencer: Sieht ja jetzt nicht so gut aus. Aber ich denke das sehen wir ja durchaus, dass Konflikte, also dass irgendwann die Gewalt auch endet. Also kein Konflikt ist unendlich lang. Irgendwann enden Konflikte. Das ist, glaube ich, immer auch so ein bisschen beruhigend zu wissen, dass Krieg immer auch irgendwann aufhört. Das wird auch weiter so sein. Ob es dann auch global so ist, dass Gewalt so geächtet wird, das bezweifle ich in der näheren Zukunft.

Ina Götze: Wie sind Sie denn selber zu Ihrem Forschungsgebiet gekommen? Also warum Friedens- und Konfliktforschung? Warum nicht BWL, keine Ahnung, Quantenphysik, warum Friedens- und Konfliktforschung?

Prof. Spencer: Mich hat schon immer letztendlich auch diese Absurdität des Krieges interessiert. In dem Sinne, dass wir uns eigentlich fast alle immer einig sind, dass Krieg eigentlich eine schlechte Sache ist, aber trotzdem passiert es. Und genau diese Frage: Warum passiert das eigentlich immer noch? Und wie können wir das erklären und verstehen? Und dann eben auch, was bedeutet das für Politik und wie kann man das dann weniger oft passieren lassen? Also um so ein bisschen die Erwartungshaltung, so ein bisschen herunterzuschrauben, dass ist etwas, was mich immer sehr interessiert. Ich habe auch mit der Terrorismusforschung angefangen und das hat damit zu tun, ich habe in Spanien Erasmus gemacht in den 90er Jahren und da wurde eben einer meiner Professoren von ETA getötet.

Das hat mich sehr bewegt und auch dann die Frage: Warum passiert das? Warum passiert das in der Demokratie? Als Franco damals noch ... da konnte ich das irgendwie plausibilisieren, warum das passiert. In der Demokratie fand ich es dann sehr schwer und dann hat mich das sehr interessiert, um zu untersuchen, warum es eben zu Terrorismus kommt und dadurch dann eben auch zu anderen Konflikten.

Ina Götze: Wer in Ihre Fußstapfen treten möchte, der kann bei uns Friedens- und Konfliktforschung studieren. Was lernen die Studierenden?

Prof. Spencer: Die lernen Konflikte zu analysieren, zu untersuchen aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven. Da helfen uns diese Theorien oder diese Verständnisse, diesen Konflikt zu verstehen und dann eben mögliche Lösungsansätze zu überlegen. Welche Optionen gibt es überhaupt, um mit Konflikten umzugehen? Welche Rolle spielen Mediationen zum Beispiel. Wir analysieren ganz konkrete Konflikte, um zu sehen, was passiert da genau? Was sind die Ursachen dafür? Und eben das ganz Wichtige ist eben: Perspektiven einnehmen. Auch mal versuchen, eine neue Brille aufzusetzen und mal den Konflikt durch diese Brille zu sehen und die eigene Meinung mal wegzulassen, um zu sehen, inwieweit kann ich diese Brille auch mal wechseln. Das machen wir sehr, sehr häufig, dass Leute Perspektiven einnehmen müssen und zum Beispiel ein bestimmtes Argument verteidigen müssen, auch wenn sie vielleicht selber gar nicht daran glauben, um zu sehen, wie das ist, wenn wir uns diese Brillen aufsetzen. Und eben kritisches Denken, Reflexion. Es ist, glaube ich, etwas, das ganz, ganz zentral ist. Also über zum Beispiel normale Medienberichterstattung: Was bedeutet das, wenn das so beschrieben ist? Auch die Rolle von Sprache zum Beispiel. Also insgesamt würde ich sagen, unsere Forschungsrichtung, es geht eher in diese kritische Forschung, die sich sehr stark für die diskursive Konstruktion von Aspekten, Feindbilder, Konstruktion interessiert, um zu sehen, welche Rolle, Sprache und Diskurse, Narrative spielen für die Konstruktion von Akteuren und eben dann auch, welche Konsequenzen das hat für unsere Auseinandersetzung und Umgang miteinander.

Ina Götze: Man muss extrem offen sein, aber stelle ich mir sehr hilfreich vor und führt mich eigentlich auch schon zum Abschluss dieses Podcasts, zu einer letzten, vielleicht auch eher privaten Frage. Ich stelle mir tatsächlich vor, dass Sie ein sehr, sehr friedliebender Mensch sind. Wie gehen Sie persönlich mit Konflikten um?

Prof. Spencer: Weiß nicht, ob ich so friedfertig bin, müsste man meine Kinder fragen und meine Familie. Ich denke Sprechen, Kommunikation! Sachen ansprechen, sobald irgendwas stört oder irgendwas seltsam ist. Kommunikation ist der zentrale Aspekt, mit dem man... viel, viel ansprechen, mit dem man viel erstmal abfangen kann. Ob man sich dann einig ist, ist nochmal eine andere Frage. Aber Kommunikation ist glaube ich der erste gute Schritt.

Ina Götze: Das hört sich gut an. Vielen, vielen Dank, dass Sie hier waren. Ich hätte Sie natürlich lieber zu einem friedlicheren Thema interviewt, muss ich gestehen, aber es war dennoch sehr, sehr lehrreich und ein Hauch von Optimismus, nehme ich jetzt mit aus dem Podcast.

Prof. Spencer: Das ist schön.

Ina Götze: Ich hoffe Sie da draußen an den Lautsprechern oder Kopfhörern auch und bleiben Sie gesund, bleiben Sie optimistisch und schalten Sie auch beim nächsten Mal wieder ein. Vielen Dank!

Prof. Spencer: Vielen Dank!

 

Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.