
„Wissenschaftler zu sein, bedeutet für mich die Freiheit, neue Ideen in die unterschiedlichsten Richtungen denken zu dürfen und ergebnisoffen zu forschen. Von dieser Freiheit müssen wir aktiv Gebrauch machen und das wird mit in Magdeburg ermöglicht“, sagt Prof. Dr.-Ing. Kai Sundmacher über seine Tätigkeit an der Universität und dem Max-Planck-Institut in Magdeburg. An kreativer wissenschaftlicher Arbeit in der anwendungsorientierten Grundlagenforschung habe er besonders viel Freude. Sein Chemielehrer und ein missglücktes Experiment zur Zuckerspaltung brachten den Sprecher der Exzellenzcluster-Initiative „Smart Process Systems for a Green Carbon-based Chemical Production in a Sustainable Society“ (SmartProSys) in die Wissenschaft. Mit seinen Mitschülern wollte Kai Sundmacher den Ursachen des misslungenen Experiments auf den Grund gehen. Sein Chemielehrer sagte nur: „Macht mal!“ Und sie machten, probierten, experimentierten, so lange und gut, dass sie beim Nachwuchswettbewerb „Jugend forscht“ antreten konnten und einen 1. Preis im Bundeswettbewerb erhielten. Hinzu kam sein „Verfahrenstechnik-Gen“, wie er selbst scherzhaft über seine Begeisterung für chemische Technologien sagt, denn schon sein Urgroßvater, Großvater und Vater waren in der chemischen Industrie beschäftigt. „Ich glaube, das gilt auch heute noch, dass man gute Vorbilder braucht. Als Hochschullehrer versuche ich so auch die Studierenden zu motivieren“, bekräftigt Prof. Sundmacher.
Doch nicht nur die Chemie hatte es ihm angetan, auch ökonomische und historische Fragestellungen interessierten ihn. Für ihn stand nach dem Abi jedoch fest, dass sein Studium irgendetwas mit den Ingenieurwissenschaften zu tun haben sollte, denn dort konnte er gut sein Interesse an Technik und Naturwissenschaften mit einem weiteren Steckenpferd, der Mathematik, verbinden. Nach dem Vordiplom im Fach Maschinenbau wechselte Kai Sundmacher in die Verfahrenstechnik. An der Technischen Universität Clausthal wurd der zum Dr.-Ing. promoviert und er habilitierte sich auch dort. 1999 wurde er auf den Lehrstuhl für Systemverfahrenstechnik der Universität Magdeburg berufen. Seit 2001 ist er Direktor und wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.
Die ungewöhnliche Breite seiner Interessen spiegelt sich auch in seiner Forschung wider. So hat er nicht nur zahlreiche Arbeiten zur chemischen und thermischen Verfahrenstechnik, sondern auch zur elektrochemischen Prozesstechnik und zur synthetischen Biotechnologie vorgelegt. Ihm mache es viel Spaß, als Generalist unterwegs zu sein, deshalb sind es immer mehr die systemtheoretischen Ansätze zur Beschreibung komplexer Produktionsnetzwerke, die der Wissenschaftler in den zurückliegenden Jahren zum Schwerpunkt seiner Arbeit machte. Das lässt ihn gerade im aktuellen Forschungscluster SmartProSys zum interdisziplinären Grenzgänger werden, bringt es doch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Verfahrenstechnik, Chemie, Mathematik, Informatik, Logistik, Politikwissenschaften und Psychologie zusammen. „Unser Forschungsvorhaben packt eine große Herausforderung der Zukunft für die Gesellschaft im Allgemeinen und für die chemische Industrie im Besonderen an: Die Transformation von energieintensiven, linearen Prozessketten auf Basis fossiler Rohstoffe und Energieträger hin zu nachhaltigen, vollständig geschlossenen, energiesparenden Kreisläufen unter Nutzung von Biomasse aus Rest- und Abfallstoffen, recycelten Kunststoffen und erneuerbaren Energien“, fasst Professor Sundmacher zusammen. „Die Chemie-Branche ist weltweit zu rund zehn Prozent an den globalen CO2-Emissionen beteiligt. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen diese Emissionen auf null reduziert werden. Wir wollen die Grundlagen einer dafür notwendigen neuen Generation von Prozesstechnologien erforschen.“ Eine zentrale Forschungsfrage sei dabei, wie sich Plastikmüll und biogene Rest- und Abfallstoffe systematisch und effizient in wertvolle Moleküle für neue Produkte umwandeln ließen, so der Verfahrenstechniker weiter. „Es geht dabei nicht um die Dekarbonisierung, denn all diese Stoffe enthalten ja wertvollen Kohlenstoff.“ Dieser dürfe künftig jedoch nicht mehr aus fossilen Quellen wie Erdöl oder Erdgas stammen, sondern müsse aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden: etwa aus Biomasse, aus dem Recycling von Abfällen oder aus der Nutzung von CO2, das als Abgas bei der Produktion in Industrieanlagen oder bei der Müllverbrennung entsteht. „Das sind die Kohlenstoffquellen der Zukunft! Wir müssen diese Abfallströme, die wir Menschen selbst generieren so reorganisieren, dass wir sie zum allergrößten Teil als Rohstoffströme wieder nutzen können.“
Und wer globale Fragestellungen von gesellschaftlicher Bedeutung, wie beispielsweise die Kreislaufwirtschaft, bearbeiten möchte, müsse über die technischen Details hinweg auch die ökonomischen Prozesse und die Akzeptanz in der Gesellschaft im Blick haben. Diese Zusammenarbeit über die Fachgebietsgrenzen hinweg mache ihm sehr viel Spaß, erzählt der Verfahrenstechniker. Und sie stelle ihn vor noch eine ganz neue Herausforderung: eine gemeinsame Wissenschaftssprache zu finden, für Themen, an die die Forschenden aus den verschiedenen Disziplinen mit sehr unterschiedlichen Denkweisen und verschiedenartigen Methoden gemeinsam herangehen. Da ist Kai Sundmacher aber ganz zuversichtlich, sie zu finden - so bereits geschehen in einer gemeinsamen Veröffentlichung mit Kolleg*innen aus den Politikwissenschaften. Dieser Brückenschlag zu anderen Fachgebieten, das Zusammenbringen von Theorie und Experiment und die skalenübergreifende Betrachtungsweise vom einzelnen Molekül bis hin zum Gesamtsystem begleitet seine Forschungsarbeit, die einst im Chemieunterricht begann.