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Wahlzettel mit einem Stift drauf
15.02.2025 aus 
Forschung + Transfer
5 Fragen und Antworten zur Bundestagswahl 2025

Die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag wird als vorgezogene Neuwahl am 23. Februar 2025 stattfinden. Die Parteien kämpfen im Moment um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger – in TV-Duellen, beim Straßenwahlkampf und in den sozialen Medien. Ebenfalls in den Medien findet man außerdem die Hochrechnungen, wie die Parteien abschneiden werden – in Familien und Freundeskreisen wird darüber gesprochen, wen man wählen sollte, ob man überhaupt wählen sollte. Redakteurin Isabell Meißner hat mit dem Politikwissenschaftler Prof. Michael Böcher darüber gesprochen, warum wählen wichtig ist, ob der Wahl-O-Mat wirklich eine Hilfe ist und ob das viel beschworene taktische Wählen wirklich sinnvoll ist.

Warum ist es wichtig wählen zu gehen?

In der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik ist das Parlament das einzige Verfassungsorgan, das direkt vom Volk gewählt wird. Laut Artikel 20 des Grundgesetzes soll alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen. Mit der Wahl können die Bürgerinnen und Bürger über die Zusammensetzung des Bundestages entscheiden und darüber befinden, wer ihre Interessen in Berlin vertritt. Dabei entscheiden die Wahlberechtigten mit ihrer Erststimme darüber, welche Wahlkreiskandidaten in den Bundestag kommen, das können bis zu 299 Abgeordnete sein, und mit ihrer Zweitstimme über das Mehrheitsverhältnis der im Bundestag vertretenen Parteien. Da der Deutsche Bundestag wichtige Gesetze beschließt und auch den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin wählt, ist es wichtig wählen zu gehen, und damit über die Mehrheitsverhältnisse und die Ausrichtung der Politik in den nächsten vier Jahren mitzubestimmen. Eine Wahl sorgt also für die Repräsentation der politischen Präferenzen der Wählerinnen und Wähler im Parlament, und legitimiert ihre politischen Vertreter/innen demokratisch. Durch die Regelmäßigkeit der Wahl sorgen Wahlen auch für die Machtkontrolle, da Wählerinnen und Wähler somit mittelbar in der Lage sind, Regierungen wieder abzuwählen und die Oppositionsparteien zu stärken. Bei der Wahlentscheidung ist es aber auch wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass gleiche, freie und geheime Wahlen ein Privileg sind. In vielen Ländern gibt es keine freien und geheimen Wahlen und das Recht zu wählen musste historisch betrachtet erst erkämpft werden. Es wurde auch auf größere Bevölkerungskreise ausgedehnt: so dürfen Frauen in Deutschland erst seit 1918 mit Beginn der „Weimarer Republik“ wählen.

Warum ist Nicht-Wählen keine Lösung?

Nicht-Wählen ist keine Lösung, weil man dann die Entscheidung über die Zusammensetzung des Parlamentes anderen überlässt und nicht die eigenen politischen Präferenzen artikuliert. Die eigene Stimme fällt komplett unter den Tisch und man hat keinerlei Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlamentes. Andere entscheiden dann über die Zusammensetzung des Parlamentes. Zudem sorgt eine steigende Anzahl an Nicht-Wählenden dafür, dass extremistischen Strömungen mehr Einfluss bekommen und diese das Wahlsystem und die demokratische Legitimation der Abgeordneten und der Regierung in Frage stellen und für ihre politischen Ziele nutzen möchten. Sie können dann die Unzufriedenen mobilisieren und für ihre Ziele nutzen. Wenn Wählerinnen und Wähler ihre Unzufriedenheit mit der Politik ausdrücken möchten und keine Alternative unter den antretenden Parteien wählen möchten, können sie auch einen ungültigen Stimmzettel abgeben (also z.B. gar kein Kreuz setzen). Dann wird ihre Stimme zwar nicht bei der Ermittlung des Wahlergebnisses berücksichtigt, sie findet jedoch Eingang bei der Feststellung der Wahlbeteiligung. Viele ungültige Stimmzettel können dann als Indikator einer gewissen Unzufriedenheit mit dem politischen Angebot der Parteien gelten.

Allerdings haben auch die politischen Parteien Einfluss auf die Anzahl der Nichtwähler – viele Bürgerinnen und Bürger haben ein Gefühl der Entfremdung von der Politik, weil sie denken, dass die Politik ihre im Alltag zu erlebenden Probleme nicht löst. Dazu kommen die ermüdenden Wahlkämpfe, die auch immer mehr polarisierend stattfinden. Aus meiner Sicht müssen politische Parteien demonstrieren, dass sie in der Lage sind, überzeugende politische Antworten auf die aktuellen Probleme der Bürgerinnen und Bürger zu geben. Stimmt der politische Output und kann dieser klar auf bestimmte politische Entscheidungen zurückgeführt werden, gehen Wählerinnen und Wähler auch gerne zur Wahl.

Portrait Prof. Dr. Böcher auf dem Campus der Uni Magdeburg (c) Jana Dünnhaupt
Prof. Dr. Michael Böcher, Politikwissenschaftler an der Uni Magdeburg (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Inwiefern schützt man die Demokratie, wenn man wählen geht?

Man schützt die Demokratie, wie oben ausgeführt, weil man mit dem Wahlakt direkt die Abgeordneten des Parlamentes, mittelbar die Bundesregierung und letztendlich insgesamt unser politisches System legitimiert. Nicht zu wählen, stärkt extremistische Bewegungen, denen die Demokratie in der Bundesrepublik ein Dorn im Auge ist. Das heißt aber nicht, dass es in der Bundesrepublik keine Debatte darüber geben kann, inwieweit die Demokratie und unser politisches System auch Reformen vertragen. Die bereits angesprochene Entfremdung zwischen Bürgern und Politik sowie die Kurzfristigkeit der Wahlzyklen, die eher Kurzfristinteressen denn Langfristerfordernissen dient, führten hier schon zu einigen Diskussionen: so werden hier eine Ausweitung direktdemokratischer Elemente oder die Einrichtung von „Bürgerräten“ als ergänzende Elemente der repräsentativen Demokratie schon lange diskutiert. Beispiele wie Klimaschutz oder auch langfristige Infrastrukturprojekte wie die Generalsanierung der Deutschen Bahn zeigen, dass oft kurzfristige politische Erwägungen oder knappe Haushalte eine vorausschauende, langfristorientierte Politik erschweren, weil diese Entscheidungen kurzfristig zu Wählerstimmenverlusten führen können oder eigentlich notwendige Reformen auf die lange Bank geschoben werden.

Letztendlich geht es um das politikwissenschaftliche Thema der „Responsivität“, also inwieweit die gewählten Abgeordneten wirklich die Ziele und Interessen der Bürgerinnen und Bürger in einer Gesellschaft, die sich in den letzten Jahren immer mehr ausdifferenziert hat, in entsprechende politische Entscheidungen transformieren.

Ist der Wahl-O-Mat wirklich hilfreich und verlässlich?

Der Wahl-O-Mat ist ein Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung, das es seit 2002 gibt. Aus meiner Sicht stellt er eine gute Möglichkeit dar, sich über die zentralen Programmaussagen der zur Wahl antretenden Parteien hinsichtlich wichtiger politischer Themen zu informieren und mit der eigenen Präferenz zu vergleichen. Insbesondere, da Wählerinnen und Wähler kaum alle Wahlprogramme in Gänze durcharbeiten, ist der Wahl-O-Mat ein nützliches Instrument. So kann man durch die Bewertung von aktuell 38 zentralen Thesen und einer anschließenden Gewichtung feststellen, mit welcher Partei man selbst die meiste politische Überschneidung aufweist.

Diskutiert werden jedoch auch Schwächen: so sind die zu bewertenden Thesen sehr verkürzt und man kann sie nur mit einer dreistufigen Skalierung bewerten („stimme zu“, „neutral“ „stimme nicht zu“). Auch ist es nicht völlig klar, ob man das komplexe Programmangebot der zur Wahl antretenden Parteien in 38 Thesen abbilden kann. Zudem kann man bestimmte Themen anschließend nur zweifach gewichten, wenn man zum Beispiel ein Thema hat, das für einen selbst das allerwichtigste ist und andere Themen überschattet, ist es schwer, dies entsprechend zu kennzeichnen. Zudem basieren die Einschätzungen zu den jeweiligen Haltungen der Parteien auf die verschiedenen Themen auf den offiziellen Wahlprogrammen – wenn Parteien wie extremistische Parteien ihre wirklichen Absichten verschleiern, oder Parteien gar nicht beabsichtigen, bestimmte Programmpunkte in die Tat umzusetzen, kann das der Wahl-O-Mat nicht abbilden.

Meine Empfehlung lautet: der Wahl-O-Mat ist ein gutes Instrument, um die eigenen Präferenzen mit denen der zur Wahl antretenden Parteien abzugleichen. Aber erst die Kombination aus Wahl-O-Mat, dem aufmerksamen Verfolgen der verschiedenen Medien, in denen die Parteien auftreten, Wahrnehmen von Wahlkampfveranstaltungen, an denen man den Kandidatinnen und Kandidaten auch Fragen stellen kann, und nicht zuletzt Diskussionen im Freundes- und Familienkreis, führen zu einer informierten Wahlentscheidung.

Was bringt taktisches Wählen?

Taktisches Wählen bedeutet, dass man seine Stimme nicht der eigentlich präferierten Partei gibt, sondern einer anderen – eben aus taktischen Gründen. Das kann zum Beispiel sein, wenn man einer anderen Partei helfen möchte, die 5%-Hürde auf jeden Fall zu überwinden, damit bestimmte Koalitionen zustande kommen können. Früher haben z.B. Anhänger der CDU dann die FDP gewählt, um die von ihnen präferierte Koalition wahrscheinlicher zu machen. Ein aktuelles Beispiel ist die Landtagswahl in Brandenburg 2024, bei der viele Wählerinnen und Wähler die SPD gewählt haben, um zu verhindern, dass die AfD die Mehrheit bekommt.

Zudem bestand früher eine Taktik darin, die Erststimme einem Kandidaten zu geben, der aussichtsreich ist, das Direktmandat zu holen, wenn man eigentlich einer kleineren Partei anhängt, die keine Aussicht hatte, Wahlkreise direkt zu gewinnen.

Diese Form der taktischen Wahl ist heute mit dem geänderten Wahlrecht so jedoch nicht mehr möglich, da durch den Wegfall der Überhangmandate zur Verkleinerung des Bundestages nicht mehr alle mit der Erststimme gewählten Direktkandidaten garantiert auch in den Bundestag einziehen. Zudem ist die Koalitionsbildung durch die Zunahme an Fraktionen in den Parlamenten schwieriger: es ist dadurch auch schwieriger, taktisch zu wählen, weil man schlicht und ergreifend schwieriger abschätzen kann, welche Koalitionen am Ende entstehen und inwieweit eine vermeintliche taktische Wahl darauf Einfluss hat.

Vielen Dank für das Gespräch!