Während ein Großteil der Uni-Angehörigen in den letzten zwei Jahren monatsweise fast ausschließlich im Homeoffice waren, hat das Team um Jan Wilhelm weiter auf dem Campus gearbeitet. Für den Leiter des Dezernats Zentrale Dienste war die menschleere Uni gespenstisch. Zugleich eröffnete ihm die Stille einen ganz neuen Blick auf den Campus und seine Vielfalt. In einem Gastbeitrag schreibt er über die Zeit und wie sie seine Sicht auf die Uni verändert hat.
Während der Kontaktbeschränkungen hat Jan Wilhelm weiterhin auf dem menschleeren Campus gearbeitet und diesen von einer ganz neuen Seite entdeckt. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Wie in einem Katastrophenfilm
Es gab Monate in den letzten zweieinhalb Jahren, in denen der Uni-Campus ungewohnt ruhig war. Ein Bild, wie es sonst nur derjenige kennt, der sich auch mal in den zumeist kalten Tagen „zwischen den Jahren“ während angeordneter Betriebsruhe auf den Campus verirrt. Die überwiegende Anzahl der Universitätsangehörigen fand sich in der „Online- Lehre“ bzw. beim „Online- Studium“ oder im verordneten „Homeoffice“ wieder. Praktisch überhaupt nicht auf diese Situation vorbereitet, versuchten alle das Beste daraus zu machen.
In dem von mir geleiteten Dezernat Zentrale Dienste sind jedoch unter anderem auch etliche Bereiche der Kernverwaltung verortet, die ihre Leistungen notwendiger Weise nur auf dem Campus erbringen können, so dass auch ich bis auf wenige Tage zumeist im Büro anwesend war. Somit blieb mir ein zuweilen wirklich trostloser Anblick über viele Wochen und Monate hinweg nicht erspart. Die förmlich „erstarrte Situation“ war eigenartig, wenn man über Jahre hinweg das ansonsten rege Treiben auf dem Campus ohne nennenswerte Unterbrechungen kennt, sobald man aus dem Gebäude tritt oder aus dem Fenster schaut. Lange Zeit war fast nichts zu erleben von der gewohnten universitären Vielfalt an Studierenden, Lehrenden, Mitarbeitenden, Gästen und Besuchern, die sonst so einprägsam den Eindruck eines lebendigen Campus ausmachen.
Parkplätze ohne Autos, verwaiste Fahrradständer, abgeschlossene Gebäude, menschenleere Wiesen und Aufenthaltsbereiche trotz schönsten Sonnenscheins und selbst um die Mittagszeit fehlender Straßenlärm und kein Stimmengewirr, vermittelten zuweilen einen Anflug eigentümlicher Gefühle von Endzeitstimmung, wie man es vielleicht aus einschlägigen Katastrophenfilmen nach dem großen GAU in Erinnerung hat. Jeder, der notwendigerweise auf dem Universitätsgelände weiterhin tätig war, hoffte, dass sich dieser Zustand bald wieder ändern würde, so, wie wohl die meisten Uniangehörigen nach einigen Wochen von zu Hause aus auch gern wieder in ihre gewohnte Arbeitsumgebung eingetaucht wären. Aber die verordneten, menschliche Kontakte vermeidenden Maßnahmen, zogen sich mehrfach von Woche zu Woche in die Länge.
Gebäude so vielfältig wie die Uni-Angehörigen
Die menschliche Natur versucht bekanntermaßen, Fehlendes zu kompensieren, so auch die gewohnte Vielfalt zu ersetzen. In die menschliche Leere des universitären Raums rückte das übrige Sichtbare nunmehr viel intensiver ins Blickfeld und brachte Gedankenkreise in Gang, für die bislang kaum Platz war. Was ist das hier eigentlich für eine Umgebung, dieses Campus genannte Gelände, wo plötzlich Stille eingekehrt war? Seit wann ist es so, wie man es selber nur kennt? Die Vielfalt dessen, was zuvor eher als Kulisse hinter den Menschen im Alltag kaum noch auffiel, trat nun viel deutlicher in Erscheinung. Es ist sogar existent, wenn kein einziger Universitätsangehöriger anwesend ist. Die Gebäude, die wir ansonsten nutzen, die Wege, die wir beschreiten, die technischen Anlagen die weiter funktionieren und Bäume, Sträucher und grüne oder blühende Außenanlagen, an denen sich Menschen normaler Weise gern erfreuen.
Die Gedanken wandern zu zeitlichen und historischen Bezügen: Die Uni Magdeburg ist zwar eine recht junge Universität – aber trotzdem wurden ihre Gebäude in immerhin drei verschiedenen Jahrhunderten geplant bzw. gebaut. Wenn das nicht Vielfalt an Bautechnik, Architektur und ursprünglichem Zweck ihrer Errichtung ausmacht! Die Zeugnisse der Entwürfe einer Zeile von Gründerzeithäuser zum Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts stehen noch heute in der parallel zur Gareisstraße/Lüneburger Straße verlaufenden Falkenbergstraße, vom Rektorat im Gebäude 04 bis zum IFAT im Gebäude 07 sowie versprengt noch an einigen anderen Standorten. Dominierend auf dem Campus erscheinen die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erbauten Gebäude aus den Jahrzehnten des DDR Hochschulwesens, die nach der politischen Wende beginnend in den neunziger Jahren durchweg erneuert und/ oder umgebaut wurden und zwischenzeitlich teilweise sogar schon wieder ihrer nächsten Sanierung entgegensehen. Und dann kommen die zur letzten Jahrhundert- bzw. Jahrtausendwende und Anfang des 21. Jahrhunderts neu errichteten Instituts- und Forschungsgebäude sowie Serviceeinrichtungen hinzu, welche das baulich- architektonische Durcheinander komplettieren. Und kaum zu glauben – stehen sogar noch Baracken scheinbar unverwüstlich zwischen diesen massiven Bauten. „Typisch Magdeburg“ könnte man also sagen, kennzeichnend für unsere Stadt, die im zweiten Weltkrieg so schwer zerstört wurde.
Ein Campus ohne Menschen: Während der Kontaktbeschränkungen herrschte Stille an der Uni Magdeburg. Zum Vorschau kam die architektonische Vielfalt. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Straßennamensschilder sind auf dem Campus nicht existent. Aber muss es nicht mal welche gegeben haben, bei den teils alten, manchmal noch mit Kopfsteinen gepflasterten Campusstraßen? Wie es sich für eine von jeher technisch ausgerichtete Hochschule und spätere Universität gehört, richten wir uns bei der offiziellen Suche nach Ort und Raum nur nach dem numerischen System. Umso verwunderter sind die meisten Universitätsangehörigen, wenn in einem Gespräch oder einer Unterlage trotzdem zuweilen Straßennamen Verwendung finden. Kaum jemand kennt sie. Da hilft auch nicht der abstrakt abgebildete Campusplan auf den Orientierungsplänen im Gelände oder im Internetauftritt der Uni weiter, jedoch komischer Weise ein Blick in die modernen Landkarten unserer Zeit. Wer bei Google Maps oder OpenStreetMap nachschaut wird fündig. Da sind zumindest bruchstückhaft einzelne Abschnitte mit den alten Straßennamen beschriftet. Meist handelt es sich auch nur um Teilabschnitte von Straßen, die eigentlich von nicht mehr existenten Wegebeziehungen der Stadt vor dem zweiten Weltkrieg ausgehen und somit auf den ersten Blick heute auch nicht mehr erkennbar sind. Viele Straßen und Wege auf dem Campus sind natürlich in den vergangenen Jahrzehnten auch vollkommen neu entstanden und daher namenslos.
Vielleicht setzt das Bestreben nach Identifikation und Würdigung von Vorbildern auch einen Prozess in Gang, welches die ursprüngliche Vielfalt an Straßenbezeichnungen wiederaufleben und Mehren hilft. Bei den eigentlich nur mit den Ziffern versehenen Gebäuden erleben wir das schließlich seit geraumer Zeit – viele tragen inzwischen den Namen von herausragenden Wissenschaftlern oder verdienten Persönlichkeiten. Nur der wohl bekannteste Gebäudenamen auf dem Campus ist andersartig und lautet lediglich: „Baracke“. Keiner würde sich ja auch zum Auftritt einer Band oder zur Disco ins „G 08“ verirren? Das Leben lässt sich heutzutage zwar schon weitgehend in Nullen und Einsen abbilden und durchspielen – aber wer will das schon ausschließlich? Nein – das Bestreben nach individueller Vielfalt ist unverkennbar weiterhin vorhanden.
In Reflexion der Zeit eines weitgehend menschenleeren Campus und langen Arbeitens und Studierens in der eigenen Wohnung gibt es sicher sehr unterschiedliche Gedankenflüge. Vielleicht entstehen aus manchen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die Zukunft, die sich später im Studium, bei der Arbeit oder Freizeit und im „eigentlichen Campusleben“ wiederfinden, welches natürlicher Weise das menschliche Dasein zur Voraussetzung hat. Hoffen wir gemeinsam, dass zum Semesterstart ab Oktober 2022 vor allem der Blick auf die menschliche Vielfalt dem Campus wieder das Gepräge gibt.