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Wahlplakate an einer Laterne
14.02.2025 aus 
Forschung + Transfer
Von Wahlpropaganda und Wahlplakaten

Die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag wird als vorgezogene Neuwahl am 23. Februar 2025 stattfinden. Die Parteien kämpfen im Moment um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger – immer noch ein wichtiges Mittel dafür sind die Wahlplakate, die man nun an jeder Straße sieht. Redakteurin Isabell Meißner hat mit dem Linguisten Kersten Sven Roth über Wahlpropaganda gesprochen, darüber welche Rhetoriken genutzt werden und ob sich der Sprachgebrauch immer weiter zuspitzt.

Was ist Wahlpropaganda und woran erkenne ich sie?

Eigentlich ist es gar nicht gut, von Propaganda zu sprechen. Das ist alltagssprachlich sehr negativ aufgeladen und klingt nach unmoralischer Manipulation. In Wirklichkeit ist es ja aber ein Wettstreit, bei dem auch die Wählerinnen und Wähler wissen, dass Sie – ganz offen – umworben werden. Wenn man es ganz groß machen will, kann man sagen: Dieser Wettstreit um die größte Überzeugungskraft ist das Urprinzip der Demokratie, wie sie in der Volksversammlung des antiken Athens entstanden ist.

Der Souverän sind in der Demokratie immer noch wir alle als die Umworbenen. Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, uns nicht vom dem billigeren Argument und dem größeren Versprechen locken zu lassen, sondern kritisch zu prüfen, womit man uns da zu überzeugen versucht.

Was sind typische Rhetoriken und Sprachgebräuche vor den Bundestagswahlen?

Generell kann man sagen, dass sich in Demokratien bestimmte Basisstrategien, die die politische Kommunikation immer prägen, in Wahlkampfzeiten nur besonders zuspitzen: Die systematische Abwertung des politischen Gegners und die eigene Aufwertung etwa oder die sehr strikte Orientierung an einem strategisch festgelegten Adressatenkreis. Das kann zum Beispiel die eigene Stammwählerschaft sein, oder auch Wählergruppen, die man sich neu erschließen will.

Aber natürlich ist die Phase direkt vor einer Wahl auch eine, die ein paar Besonderheiten hat. Vor allen Dingen die, dass die Akteure nicht wissen, wie die Machtverhältnisse unmittelbar nach der Wahl aussehen. Deshalb ist es eigentlich für Wahlkampfkommunikation besonders typisch, dass man konkrete Festlegungen vermeidet und eher mir großen Schlagwörtern wie „Freiheit“, „Sicherheit“ oder „Zusammenhalt“ versucht, überzeugend und gleichzeitig ausreichend unkonkret zu sein. Umso erstaunlicher ist das, was wir in der vergangenen Woche im Bundestag erlebt haben. Der Versuch der CDU, die SPD und die GRÜNEN für die eigene Profilierung in Form eines Entschließungsantrags zur Zustimmung zu zwingen, mit dem man in eine Abhängigkeit von der AfD geraten ist, war, vorsichtig gesagt, zumindest überraschend.

Prof. Dr. Kersten Sven Roth (c) Jana Dünnhaupt
Prof. Dr. Kersten Sven Roth, Linguist an der Uni Magdeburg (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Welche Rolle spielen hierbei Wahlplakate?

Wahlplakate stellten über Jahrzehnte hinweg das vermutlich wichtigste Instrument des Wahlkampfs, neben den persönlichen Auftritten der Kandidatinnen und Kandidaten in Veranstaltungen mit den Bürgerinnen und Bürgern, dar. Sie haben den Vorteil, dass es mit ihnen möglich ist, auf die Wählerinnen und Wähler zuzugehen, ohne dass die das eigene Angebot gezielt aufsuchen müssen. Das typische Stadtbild zu Wahlkampfzeiten mit ganzen Plätzen und Straßenzügen, die von den Farben, Slogans und Fotos der Partein geprägt sind, schafft außerdem natürlich eine sehr starke öffentliche Präsenz des Wahlereignisses überhaupt. Die ist wichtig für funktionierende Demokratien, weil sie zum Wählen animiert.

Trotzdem muss man sagen, dass ein so klassisches Medium wie das Plakat definitiv drastisch an Bedeutung verloren hat in den letzten Jahren. Einige Parteien haben schon vor langem erkannt, andere ziehen gerade nach, dass Social Media viel effektivere Möglichkeiten bietet, potenzielle Wählerinnen und Wähler zu erreichen. Sie haben neben anderen vor allen einen Vorteil: Man kann mit ihnen zielgruppendifferenziert agieren und erreicht die richtigen Adressaten mit den richtigen Botschaften. Allerdings ist das für Parteien, die über Inhalte punkten wollen, schwieriger als für populistische Parteien. Deren vereinfachende und häufig provokante Aussagen werden von den Algorithmen der Social Media Apps systematisch bevorzugt und weiter gestreut. Das verändert mittelfristig demokratische Wahlkampfkommunikation ganz generell.

Spitzt sich der Sprachgebrauch bei diesen Wahlen immer weiter zu? Oder ist das nur ein Gefühl?

Ja, das tut er. Die Gründe sind vielfältig. Sie haben zunächst einmal mit einer Krise der klassischen Öffentlichkeit zu tun. Solange die politische Auseinandersetzung im Wesentlichen organisiert wird von journalistischen Medien, die bestimmten Qualitätsansprüchen folgen, dann ist die eine oder andere drastische Zuspitzung nicht möglich oder wirkt für diejenigen, die sie machen, kontraproduktiv.

Das ist eben in der digitalen Öffentlichkeit anders, in denen im Grunde nur das Laute hörbar wird. Es hat aber natürlich auch mit dem globalen Siegeszug politischer Strömungen zu tun, die ihre Kommunikationsstrategien sehr direkt darauf aufbauen, dass sie ganz offen ihrer Verachtung für demokratische Institutionen und Prozesse der Entscheidungsfindung Ausdruck verleihen. Das ist tatsächlich ein europa- und eben sogar weltweit zu beobachtendes Phänomen und die Wiederwahl Donald Trumps hat gerade neu ein besonders wirkungsvolles Muster dafür geschaffen.

Damit aber geht es inzwischen nicht mehr um Zuspitzung der Auseinandersetzung zwischen Personen und Angeboten. Es wird so oft mit vor allen Dingen westdeutscher Nostalgie auf die angeblich so erfrischenden rhetorischen Kämpfe unter der Gürtellinie bei Politikern wie Wehner oder Strauß verwiesen. Aber in dieser von den Erfahrungen der Nazi-Diktatur geprägten Generation ging es eben nie um die Frage, ob die demokratische Verfassung als solche bewahrenswert ist oder nicht.

Gibt es Unterschiede bei dem Sprachgebrauch zu den vergangenen Wahlen?

Ja, die gibt es vermutlich. Die „Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung“ der Uni Magdeburg veranstaltete Anfang Februar, keine zwei Wochen vor der Wahl, gemeinsam mit der Fachgesellschaft „Sprache in der Politik“ und der Jungen Akademie Berlin eine Tagung zur Rhetorik und Sprache des Bundestagswahlkampfs. Wir gehen dabei von genau dieser These aus: Es handelt sich um einen Wahlkampf ganz neuer Art. Es ist der erste Bundestagswahlkampf, in dem alle Parteien die Bedeutung der digitalen Medien erkannt haben sollten. Es ist ein Wahlkampf, der nach einem besonders dramatischen Bruch einer Koalition stattfindet, bei dem gleich drei demokratische Parteien großen Schaden im Ansehen und Vertrauen der Menschen genommen haben. Und schließlich handelt es sich um einen Wahlkampf, in dem alle Prognosen eine Partei als zweitstärkste Kraft sehen, von der tatsächlich alle anderen Parteien des gesamten ideologischen Spektrums gesagt haben, dass sie mit ihr keine Regierung bilden werden. Das oft etwas überstrapazierte Wort vom „Richtungswahlkampf“ scheint in diesem Fall nicht übertrieben zu sein.

Das gab es vergleichbar eigentlich nur in den 1990er Jahren in Ostdeutschland mit der PDS, die aber nie diese bundesweite Bedeutung hatte. Im Grunde würde das dazu zwingen, dass man auf eine harte Auseinandersetzung zwischen denjenigen Parteien, die sich gegenseitig für demokratisch halten, verzichtet. Das wäre aber eine völlig neue Art von Solidaritätswahlkampf, der sich nicht abzeichnet. Offenbar fehlen den Parteistrategen dafür die Muster, obwohl sie ja vielleicht gerade in Sachsen-Anhalt dafür etwas lernen könnten, wo eine entsprechende Regierung nun schon sehr lange stabil arbeitet.

Vielen Dank für das Gespräch!