Die Corona-Pandemie hat das Sommersemester 2020 ziemlich durcheinandergebracht: Wir sind ohne Präsenzveranstaltungen und mit leerem Campus gestartet. Viel Unsicherheit zeichnet die kommende Zeit aus: Wie wird es weitergehen? Wann wird der Lehrbetrieb wieder normal laufen? Wann werden Prüfungen nachgeholt? Wird das Sommersemester länger dauern und das Wintersemester später starten?
Dazu die Herausforderung, die Lehre an der Uni von jetzt auf gleich auf digitale Angebote umzustellen. Für einige Vorlesungen klappt das unkompliziert. Für andere muss erst das richtige Format gefunden werden. Einer, der weiß, wie Online-Lehre klappen kann, ist Dr. Mathias Magdowski von der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik und Koordinator der AG E-Learning. Im Interview gibt er Tipps, wie der Umstieg auf digitale Lehre gelingen und wie die AG E-Learning dabei unterstützen kann.
Was macht die AG E-Learning an der Uni? Und wer ist alles Mitglied?
Die Arbeitsgemeinschaft E-Learning hat sich zur Aufgabe gemacht hat, den digitalen Wandel in Studium und Lehre an der Uni Magdeburg inhaltlich zu gestalten und zu begleiten. Die AG ist ein Netzwerk aus e-learning-affinen Lehrenden und interessierten Hochschulmitarbeitenden. Sie trifft sich etwa alle vier bis acht Wochen und dient dem kollegialem, fächerübergreifenden Austausch sowie dem Kompetenzaufbau im Bereich des digitalen Lehrens und Lernen.
Welche Tools können Sie für welche Inhalte empfehlen?
Da kann man ein ganzes Buch drüber schreiben und es gibt viele sehr bekannte Tools wie
- Jitsi
- AdobeConnect
- Zoom oder BigBlueButton für Webkonferenzen
- Kahoot! oder ARSnova für Quizze.
Deshalb empfehle ich mal eher unbekannte, aber sehr nützliche Werkzeuge wie z.B. kollaborative Online-Whiteboards für Skizzen von Formeln, Schaltbildern und Diagrammen:
sowie das grandiose Wall für Audience Response durch Zeichnen statt Clickern von Jörn Loviscach der FH Bielefeld.
Auch noch recht unbekannt aber sehr nützlich zum kollaborativen Schreiben sind der Overleaf-Online-Editor, quasi das GoogleDocs für Wissenschaftler*innen oder das ganz ähnliche SciFlow aus Magdeburg.
Mit welchen Tools arbeiten Sie am liebsten?
Mein liebstes Tool ist natürlich das von mir selbst entwickelte Werkzeug zur Erstellung von personalisierten Aufgaben mit anonymem Peer Review. Alle Studierenden bekommen eine eigene Aufgabe per E-Mail zugeschickt, können diese lösen und ihre Lösung über das Moodle zur Korrektur einreichen. Um den Korrekturaufwand für die Lehrenden zu senken, begutachten sich die Studierenden dann anhand einer ebenfalls personalisierten Musterlösung gegenseitig. Das ganze Verfahren läuft automatisiert ab und ist dadurch gut skalierbar. Gegenüber einfachen Multiple-Choice- oder Zahlenwert-und-Einheit-Aufgaben lassen sich hier auch der Rechenweg und Ansatz gut bewerten. Trotzdem funktioniert es rein online, was in der jetzigen Zeit natürlich total praktisch ist.
In diesem Video ist alles in 5 Minuten erklärt:
Toll zur Aktivierung von großen Gruppen eignen sich auch Audience-Response-Systeme. Dabei wird eine Single-Choice-Frage per Beamer an die Tafel projiziert, welche die Studierenden dann per Smartphone beantworten sollen, dementsprechend zum Mitdenken anregen und auch der Lehrperson direkte Rückmeldung über den Erfolg seiner vorherigen Erklärungsversuche erlauben.
Im Rahmen des Mathematik-Vorkurses setzen wir für die Hausaufgaben auch eine Smartphone-App namens TeachMatics ein. Diese bietet einen umfassenden Aufgabenkatalog und gibt den Studierenden niederschwellige Hilfe zur Selbsthilfe bei Problemen, die bei der Lösung der Hausaufgaben auftreten.
Zur Aktivierung der Studierenden in der semesterfreien Zeit haben wir auch schon mehrfach eine Art "Elektrotechnik-Olympiade" namens #feitchallenge über das soziale Netzwerk Twitter durchgeführt. Teilnahmeberechtigt sind alle Studierenden, die noch nicht die Prüfung bestanden haben. Wir stellen die Fragen öffentlich, die Studierenden antworten praktisch öffentlich. Zur Motivation gibt es kleine Sachpreise, die von Firmen gesponsert werden.
Gibt es Best Practice Beispiele an unserer Uni und an anderen?
Es gibt an der OVGU viele sehr engagierte Lehrende und Unterstützende, z.B.:
- Steffi Knorn an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik, die tolle studierenden-zentrierte Lehrformate entwickelt hat.
- Olivier Cleynen von der Fakultät für Verfahrens- und Systemtechnik, der ebenso ein "peer-graded invididualized homework program" ausprobiert hat.
- Sebastian Stober von der Fakultät für Informatik für sein tolles Blended-Learning- bzw. Inverted-Classroom-Konzept.
- Oder Jens Holze und Stefan Iske bzw. Dan Verständig von der Fakultät für Humanwissenschaften mit tollen Mediendidaktik-Lehrformate bzw. Digital-Literacy-Ideen.
Außerhalb der Universität haben z.B. der schon erwähnte Jörn Loviscach von der FH Bielefeld bzw. Jürgen Handke aus Marburg ausgezeichnete Flipped-Classroom-Formate entwickelt, um die klassische "Vorlesung" in Videos umzuwandeln und damit die Präsenzphase an der Universität für sinnvollere Dinge als Wissensvermittlung zu nutzen, nämlich für Austausch, Interaktion, Lösen von schwierigen Problemstellungen oder die Diskussion von komplexen Fragestellungen.
Was sind No Gos?
Ein No Go in der jetzigen Phase ist sicher, das etwas ausgelaugte Lehrformat, das vorher schon nur so mäßig funktioniert hat, jetzt exakt so in die digitale Welt übertragen zu wollen. Ich habe dazu mal einen kleinen Rant auf Twitter verfasst. Wie sagte Thorsten Dirks, CEO der Telefónica, so schön: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“
Stattdessen sollte man den Studierenden jetzt mehr Freiräume erlauben, ihren eigenen Lernweg zu beschreiten und ihnen verschiedene Materialien und Möglichkeiten zum Selbstlernen mit freierer Zeiteinteilung bieten. Gleichzeitig beinhaltet Online-Lernen aber auch viel Beziehungsarbeit, um Vertrauen aufzubauen, so dass die Studierenden mit dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen auch umgehen können.
Geht es durch Corona mit der Digitalisierung der Lehre an der OVGU jetzt schneller voran?
Natürlich geht es jetzt schneller voran, die spannende Frage wird sein, ob es auch sinnvoll umgesetzt wird, zum Lernerfolg der Studierenden beiträgt und nachhaltig verankert werden kann.
Was sind im Moment die größten Herausforderungen?
Vielen, die jetzt aktiv werden, fehlt natürlich die Erfahrung, die andere Online-Lehrende sich über Jahre erarbeitet und angeeignet haben. Es wird aus meiner Sicht jetzt erst mal sehr viel über Technik und Tools nachgedacht, aber wenig über didaktische Belange, wie z.B. das Constructive Alignment von Lernmethoden, Lernzielen und Prüfungsformaten oder das 5-Stufen-Modell von Gilly Salmon zur sinnvollen Strukturierung von Online-Aktivitäten in einem Online-Kurs. Stattdessen denken jetzt viele nur darüber nach, wie sich möglichst einfach ihre 90-minütige Vorlesung aufzeichnen oder - aus meiner Sicht noch schlimmer - live streamen lässt.
Dr. Magdowski von der Uni Magdeburg bei der digitalen Lehre (Foto: privat)
Welche Vorteile haben Lehrende, wenn sie digitale Lehre anbieten?
Reine Online-Lehre hat gegenüber Präsenzformaten wenig Vorteile, außer dass sie zeit- und ortsungebunden stattfinden kann. Eine Online-Anreicherung von klassischer Präsenzlehre im Sinne des Blended Learning bietet jedoch viele Vorteile. Die Idee des Flipped oder Inverted Classroom ist die Video-Aufzeichnung und Verlagerung der "Vorlesung" zu den Studierenden nach Hause. Dafür kann die Präsenzzeit für sinnvollere und interaktivere Dinge wie die Lösung von komplexeren Aufgaben oder die Besprechung von anwendungsnahen Problemstellungen genutzt werden.
Wichtig ist bei allem trotzdem der persönliche Austausch, die gegenseitige Wertschätzung und Rückmeldung, die Diskussion des Lernfortschritts und von Lernschwierigkeiten, die in direkten Kontakt natürlich einfacher ist als über Online-Formate.
Welche Unterstützung kann die Uni den Lehrenden bieten?
Gute Lehre benötigt Zeit. Lehrende brauchen mehr Zeit und mehr Wertschätzung. Gute Lehre macht man nicht nebenbei. Außerdem brauchen Lehrende auch Möglichkeiten zum intrinsisch motivierten Austausch untereinander, zur gegenseitigen Hospitation und zum Besprechen von Lehrmaterialien und Lehrformaten, die es im normalen Universitätsalltag zu wenig gibt.
Die Bemühungen der Qualitätssicherung nach verbindlichen und regelmäßigen Studiengangsgesprächen und -konferenzen für alle Studiengängen versuchen das extrinsisch motiviert einzufordern. Es ist eigentlich schade, dass wir als Lehrende nicht selbst darauf kommen, uns bei Konferenzen über die Lehre zu unterhalten. Zu wissenschaftlichen Konferenzen fährt man als Hochschulprofessor_in ja auch gern mehrmals im Jahr und fliegt dafür um die halbe Welt, zu Studiengangskonferenzen am eigenen Standort muss man dagegen eingeladen und gebeten werden.
Weiterhin brauchen Online-Lehrende:
- übergeordnete Unterstützungsstrukturen,
- eine verlässliche Strategie der Hochschulleitung,
- eine gute Hochschulbibliothek,
- ein leistungsfähiges Rechenzentrum sowie
- eine klar und zügig antwortende Rechtsstelle für Urheberrechts- und Datenschutzangelegenheiten.
Welche Tipps haben Sie zur Online-Lehre in der Corona-Krise?
Und Sie so?
Wie setzen Sie digitale Lehrangebote ein? Was sind Ihre Erfahrungen? Haben Sie weitere Tipps und Tricks? Wir sind auf der Suche nach Best-Practice-Beispielen und Erfahrungsberichten aus der Uni. Melden Sie sich gerne per Mail an