Wenn es in unserer Umgebung gut riecht, fühlen wir uns gleich viel wohler. Einige Düfte nehmen wir als beruhigend wahr, andere als anregend. Und einige von ihnen führen sogar dazu, dass wir mehr einkaufen. Welche Düfte das sind, wie sie unser Konsumverhalten beeinflussen und welche anderen Tricks der Einzelhandel einsetzt, darüber haben wir pünktlich zum Weltduftag mit Prof. Marko Sarstedt, dem Marketingexperten der Uni Magdeburg, gesprochen.
Heute zu Gast
Heute ist Prof. Marko Sarstedt bei uns zu Gast. Er ist Leiter des Lehrstuhls BWL, insb. Marketing der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft hier an der Uni Magdeburg. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den Themenschwerpunkten Konsumentenverhalten und Marktforschung und hat in seiner Forschung unter anderem herausgefunden, dass uns der Duft nach Zimt zum Kauf verleitet. Neben BWL und Marketing werden an der Fakultät im Bachelor auch Internationales Management, Wirtschaft und Gesellschaft sowie International Business and Economics gelehrt.
Der Podcast zum Nachlesen
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.
Ina Götze: Egal, ob online, in der Innenstadt oder in unserem Briefkasten: Überall sehen wir Werbung. Und auch wenn wir es ganz fest glauben, dem Einfluss können wir uns leider nicht so richtig entziehen. Das bestätigt auch unser Marketingexperte Prof. Marko Sarstedt. Er ist heute hier zu Gast und wird mit mir über die Wirkung von Werbung reden, vor allem auch über Einflussfaktoren, wie zum Beispiel Licht, Duft oder die Einordnung der Produkte, denn genau das ist sein Forschungsgebiet. Herzlich willkommen!
Prof. Marko Sarstedt: Dankeschön! Schön, dass ich hier bin.
Götze: Und damit sind wir auch schon beim Thema: Es gab ein Projekt mit der Deutschen Bahn, da haben Sie untersucht welchen Einfluss Duft auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Reisenden hat. Was haben Sie denn dabei genau herausgefunden? Also: Nutzen wir lieber die Bahn, wenn sie gut riecht?
Prof. Sarstedt: Das wiederrum, das haben wir nicht genau untersucht, aber wir haben uns der Frage gewidmet, wie denn Düfte langfristig das Konsumentenverhalten beeinflussen, in diesem Fall halt das der Bahnreisenden. Wir haben dann ein Projekt mit der deutschen Bahn aufgezogen, es ging dann tatsächlich über mehrere Jahre, aber die Kernstudie hat vier Monate gedauert und dort haben wir halt alle Züge, die zwischen zwei größeren Städten im Süden Deutschlands verkehren mit einem Duft ausgestattet, der halt kontinuierlich in die Bahnwaggons versprüht wurde und dann haben wir das Konsumentenverhalten gemessen. Also einfach durch Interviewer, die regelmäßig durch diese Bahnwaggons dann gingen und die Pendler identifiziert haben, die sich bereit erklärt haben an dieser Studie teilzunehmen und dort haben wir ganz spannende Sachen dann festgestellt. Die Teilnehmer fanden dann plötzlich das Bahnreisen angenehmer, die fanden dieses Serviceerlebnis besser, würden es auch eher weiterempfehlen, also eine Menge Dinge, die eigentlich gut für die Bahn sind, was auch das Erleben ihrer Dienstleistung angeht. Aber das spannende eigentlich an der Studie war, dass von all diesen Teilnehmern nur ein einziger es im Nachhinein irgendwie rationalisieren konnte und gesagt hat: „Ja, da war mal irgendwie was wie ein Duft, aber ansonsten weiß ich auch nicht so genau.“ Und was ich damit sagen will: Tatsächlich hat niemand diesen Duft bewusst wahrgenommen. Und trotzdem hat er das Verhalten, beziehungsweise die Wahrnehmung der Bahnreise positiv beeinflusst.
Götze: Das hört sich sehr sehr spannend an. Was war das für ein Duft? Also wonach roch es dann in der Bahn?
Prof. Sarstedt: Ja, wir haben tatsächlich natürlich mehrere Vorstudien durchgeführt, um den besten Duft zu identifizieren, der sollte also etwas beruhigend sein, weil das Bahnreisen in der Regel ja schon aufregend genug sein kann, mal vorsichtig ausgedrückt. Aber das war nachher so eine Mischung aus Melone und Veilchen. Also hat eine leichte beruhigende Wirkung erzielt, ohne sie aber zu viel runterzufahren, weil das will man wiederrum auch nicht.
Götze: Hm, dass die Bahnreisenden dann da einschlafen...
Prof. Sarstedt: Genau, richtig. Das wird ein Duft auch schwierig realisieren können, aber tatsächlich soll er eben nicht noch aufputschen. Das war das Ziel.
Götze: Jetzt werden es viele sicherlich kennen, dass Düfte ja auch bestimmte Erinnerungen und Gefühle in uns auslösen können, also wenn es das erste Mal nach Frühling riecht, oder ein bestimmtes Parfüm. Bei mir persönlich ist es Rum Aroma, weil wir früher immer mit meiner Mom Plätzchen gebacken haben und an die Marmelade Rum Aroma gerührt haben und sobald ich das rieche, bin ich tatsächlich wieder Kind. Also Düfte können so ganz ganz viel in uns auslösen. Gibt es auch Düfte, die uns nicht nur zufriedener machen, wie Melone und Veilchen, sondern auch Düfte, die uns dazu verleiten etwas zu kaufen?
Prof. Sarstedt: Durchaus! Da muss man aber erstmal sagen, also Düfte sorgen jetzt nicht dafür, dass wir willenlos in einen Laden gehen und dort halt Regale leerräumen, also so ist es nicht. Aber sie können uns eben schon dazu verleiten, dass wir beispielsweise längere Zeit in einem Ladenlokal verbringen und das führt dann fast automatisch dazu, dass wir auch mehr kaufen. Da gibt es eine schöne Studie, da haben Forscher Melonenduft in Verkaufsumgebungen versprüht, im Supermarkt und tatsächlich haben sie dann beobachtet, dass die Konsumenten 30% länger im Supermarkt drin waren und tatsächlich durchschnittlich 23% mehr gekauft haben. Also man sah schon einen erheblichen Umsatzhebel, dieser Duft funktioniert aber unterschiedlich in unterschiedlichen Umgebungen, also zum Beispiel im Supermarkt funktioniert dann Melonenduft sehr gut, in eher so Fashionstores funktioniert dann beispielsweise Zitrone besser, ist auch kulturell natürlich abhängig. Also es gibt nicht so das eine Erfolgsrezept, die eine magische Tinktur, die man dann verwenden muss, sondern es kommt sehr oft ...
Götze: Melone ist also die Allzweckwaffe...
Prof. Sarstedt: Nicht unbedingt, also jetzt haben wir natürlich zwei Studien, wo das halt gut funktioniert hat, aber in unterschiedlichen Kontexten funktioniert das dann eben vielleicht auch mal nicht so gut.
Götze: Aber was lösen denn die Düfte in uns aus? Also was geht in unserem Kopf vor, dass sie das dann bei uns bewirken? Dass wir zum Beispiel etwas einkaufen.
Prof. Sarstedt: Erstmal geben sie uns häufig einen Impuls, den wir brauchen, um dann bestimmte Bedürfnisse plötzlich als immanent, als besonders wichtig gerade zu sehen. Da war zum Beispiel eine schöne Studie, wo Forscher Schokoladenduft in einem Buchladen versprüht haben und plötzlich haben die Leute mehr Schokoladenbücher... Backbücher letztendlich gekauft. Und da gab es halt eine besondere Assoziation plötzlich, dass man halt sagt: „Ok, jetzt hab´ ich halt plötzlich diesen Schokoladenduft vor mir und jetzt hab ich irgendwie Lust auf Backen.“ Und da gab es einen Impuls und das können halt Düfte tatsächlich leisten und sie können tatsächlich auch solche Assoziationen wieder wecken, die aus der Kindheit kommen, da werden dann Imprints sehr früh gesetzt, schon in sehr jungen Jahren, 5, 6 Jahre haben wir ganz bestimmte Assoziationen von Düften, von Geräuschen häufig auch und wenn wir die dann später wahrnehmen, dann ist das wie wenn wir in unsere Kindheit zurückversetzt werden. Und das ist ein gutes Gefühl, ein Belohnungsmotiv, was dann plötzlich zum Vorschein kommt und das wollen wir dann befriedigen durch entsprechenden Konsum vielleicht.
Götze: Bei mir wäre es also das Rum Aroma, was mein Kryptonit wäre beim Shopping. Jetzt ist der Einsatz von Duft im Marketing ja nicht so verbreitet, Abercrombie & Fitch setzt das zum Beispiel sehr sehr erfolgreich ein. Die meisten setzen aber eben auf ganz klassische Methoden, die der eine oder andere vielleicht kennt. Also die roten Preisschilder, die wirklich schon von Weiten schreien, dass es da ein Schnäppchen gibt. Gibt es noch andere Tricks und Mechanismen, wie wir vielleicht zu einem bestimmten Produkt geleitet werden.
Prof. Sarstedt: Natürlich, ja – Tausende! Da können wir diverse Podcasts mit füllen, aber vielleicht mal zu den Sachen, mit denen wir uns auch auseinandersetzen. Wir haben zum Beispiel als Konsument eine Tendenz immer eine mittlere Option zu wählen. Also wenn ich jemanden drei Produkte zur Auswahl gebe: Ein billiges mit einer niedrigen Qualität, ein mittelpreisiges mit einer mittleren Qualität und ein hochpreisiges mit einer tollen Qualität, dann haben wir meistens eine Tendenz die mittlere Option zu wählen. Das ist durchaus auch sinnvoll in vielen Situationen, wenn wir nicht so genau wissen, ob das Produkt gut ist oder schlecht, dann ist das so eine Risikoabwägung. Das ganz günstige wollen wir einerseits nicht haben, weil wir wissen ja nicht ob die Qualität ausreicht, das teure muss es aber vielleicht auch nicht sein und das mittlere, das können wir ganz gut vor uns selber rechtfertigen, auch vor anderen. Das passiert dann so im Hintergrund, also ... und damit fühlen wir uns dann tatsächlich auch wohl. Das ist eigentlich auch nichts Schlimmes, aber es passiert eben unbewusst, also wir hinterfragen das nicht tatsächlich, auch wenn tatsächlich im Gehirn eine gewisse Abwägung passiert, aber ist ja nicht so, dass ich vorm Supermarktregal stehe und mich jetzt ständig frage: „Billig, ist das vielleicht jetzt zu günstig oder zu teuer“ und dann irgendwie überlegt zu so einer Entscheidung komme, sondern das ist einfach viel was automatisch passiert.
Das andere ist einfach so im Supermarkt, wenn wir uns im Supermarkt bewegen, da sind unheimlich viele Einflussfaktoren, die uns in bestimmte Verhaltensweisen lenken. Das ist Licht, das ist ein Duft, das ist die Musik. Musik: Da dudelt im Hintergrund immer so ein bisschen Radiomusik, die irgendwie ganz angenehm ist, die sorgt eben dafür, dass man die Umgebung flüssiger wahrnimmt tatsächlich und wenn wir etwas flüssig wahrnehmen, dann gibt es einfach weniger Dissonanzen und dann fühlt man das vielleicht auch toller und fühlen uns dann besser aufgehoben.
Mit dem Licht, das kann auch jeder mal selber ausprobieren, wenn man beispielsweise mal in der Obstabteilung ist und man guckt in der Gemüseabteilung, nimmt zum Beispiel eine Tomate, dann sieht die immer ganz frisch und knackig aus und dann pack ich die zuhause aus und dann sieht die irgendwie gar nicht mehr so toll aus. Und in der einen Stunde, was ist da passiert? Ja nichts, aber das ist eben das Licht, Lichtfarben, die im Supermarkt verwendet werden, um das Obst eben besonders frisch aussehen zu lassen. Damit spielen die Einzelhändler natürlich, bei der Gestaltung von Laufwegen, dass es keine Fenster gibt, schauen Sie mal, ob Sie im Supermarkt eine Uhr finden, da werden Sie sehen: Nein, gibt es nicht. Also viele Dinge, die wir gar nicht so hinterfragen, weil die waren schon immer so, aber der Supermarkt ist tatsächlich einer der durchdachtesten Räume, die wir überhaupt sehen können. Da ist nichts dem Zufall überlassen.
Götze: Die Fenster hätte ich jetzt gedacht, weil Platz für Regale gebraucht wird. Warum sind da keine Fenster?
Prof. Sarstedt: Die können auch Dachluken reinmachen, zum Beispiel. Also ein Grund warum man keine Fenster reinmacht, ist ... die Warenpräsentation muss immer identisch sein. Man muss sich ja mal auf so einer Metaperspektive vorstellen, wie das eigentlich ist im Supermarkt einzukaufen. Da gibt es tausende von Produkten und wir suchen ganz spezielle Produkte. Und wir können die häufig halt an der Farbe identifizieren, am Logo oder dergleichen. Stellen wir uns mal vor, dass immer unterschiedliche Lichtverhältnisse im Supermarkt sind. Das würde dazu führen, dass wir wahnsinnige Probleme haben, diese Produkte zu identifizieren, weil dann plötzlich das Rot nicht mehr so rot aussieht wie normal, sondern halt, weil es jetzt dunkler ist, halt ein bisschen weniger schimmrig. Und das hört sich vielleicht banal an, ist aber tatsächlich ein ganz wesentlicher Faktor im Supermarkt.
Götze: Beim nächsten Mal werde ich drauf achten. Tatsächlich auch auf die Lichtverhältnisse und die Musik. Ich werde anders einkaufen gehen. Lassen sich diese Erkenntnisse auch auf andere Bereiche übertragen? Oder gilt das tatsächlich nur für unser Einkaufsverhalten?
Prof. Sarstedt: Ne, das ist sehr vielschichtig am Ende, ja. Weil, wenn man so an Marketing denkt, dann denkt man immer nur an Einkaufen, aber tatsächlich Konsumentenverhalten ist viel mehr. Es geht darum, wie wir uns eigentlich informieren, wie wir überhaupt zu einer Produktauswahl kommen, wie wir dann, wenn wir das Produkt gekauft haben oder wir es vielleicht auch nicht kaufen... aber sagen wir mal, wir haben es gekauft, verwenden wir es überhaupt? Wie entsorgen wir es? Das sind alles Fragen, die sich mit Konsumentenverhalten beschäftigen und all diese Dinge, die wir uns anschauen, haben letztendlich einen Einfluss auf jeden dieser Aspekte.
Aber man kann das in ganz andere Bereiche natürlich auch ziehen, Wahlverhalten zum Beispiel von politischen Parteien, auch da konnte man nachweisen, dass dieser Kompromisseffekt, den ich eben beschrieben habe, also diese Tendenz zur Mitte, das man das halt auch häufig im politischen Wahlverhalten sieht. Dann die Frage des Nudgings beispielsweise, dass man halt als Regulierer versucht Konsumenten in eine für sie vorteilhafte Verhaltensweise zu schubsen und das ist auch eine Kernmarketingfragestellung, beispielsweise Foodlabeling, wie müssen solche Foodlabels jetzt denn genau erstellt sein, um dem Konsumenten klar zu machen, das ist jetzt gut für dich und das ist halt eher schlecht für dich? Das sind also Kernmarketingfragen.
Götze: Jetzt sind ja die meisten Einflussfaktoren sehr sehr unterbewusst, also wenn es zum Beispiel um die Gestaltung der Labels geht, oder eben auch dem Duft. Bestimmte Sachen nehmen wir zwar wahr, aber wie Sie ja selber schon gesagt haben, ist es nicht so, dass wir wirklich im Markt stehen und uns bewusst diese Entscheidung machen. Haben wir denn überhaupt eine Chance, uns solchen Manipulationen zu entziehen?
Prof. Sarstedt: Zum gewissen Teil, ja. Wir sind ja keine willenlosen Geschöpfe, die, nur weil sie eine Werbung sehen, einen Geruch wahrnehmen, einem Lichtverhältnis ausgesetzt sind, plötzlich losrennen und alles wie wild kaufen. Wenn es so einfach wäre für ein Unternehmen, dann würden wir ja nicht solche Produktfehlerraten wie 80 - 90 % im Markt sehen. Also natürlich sind wir dem nicht willenlos ausgesetzt. Aber tatsächlich ein Großteil unseres Verhaltens ist trotzdem automatisiert. Wir sagen, so 80 - 90% des Einkaufsverhaltens tatsächlich läuft mehr oder weniger automatisch ab, weil wir auch sehr wenig Zeit vor so einem Supermarktregal verbringen, bis wir eine Entscheidung am Ende treffen. Man kann sich dem zu einem gewissen Maße sicherlich entziehen, wenn man es aktiv hinterfragt, aber so sind wir natürlich nicht gestrickt. Unser Gehirn ist ja daraus ausgelegt, möglichst viel Energie immer zu sparen und es will es sich immer möglichst leichtmachen und das zu hinterfragen, so ein Einkaufsverhalten ist eigentlich was, was wir vermeiden. Und ich kann das selber halt auch nicht. Ich laufe auch durch den Supermarkt automatisch und kaufe Dinge ein, ich hinterfrage das ja auch nicht an jeder Ecke. Kann das versuchen, aber es ist in der Praxis extrem schwierig. Bei anderen Sachen, wie so einem Duft, da wird es dann sogar teilweise unmöglich, weil wir vielleicht physiologisch gar nicht in der Lage sind, diesen Duft wahrzunehmen und trotzdem beeinflusst er uns. Da wird es dann aber auch aus der ethischen Perspektive schwierig.
Götze: Das war tatsächlich auch eine meiner Fragen, ob sie selber auf diese Tricks reinfallen. Also Sie kennen diese Mechanismen ja extrem gut und sind sich dessen sicherlich bewusster, als der Otto-Normal-Verbraucher. Kaufen Sie trotzdem die Produkte aus der Mitte und denken sich: „Jetzt bin ich doch tatsächlich dieser Werbung auf den Leim gegangen!“
Prof. Sarstedt: Ja also, die Formulierung „auf dem Leim gegangen“ suggeriert ja schon, dass es für einen irgendwie was Schlechtes ist, aber das ist es ja auch häufig nicht, weil ... tatsächlich fühlt man sich mit der Entscheidung auch besser. Also mit so einem Kompromisseffekt zum Beispiel, man nimmt die mittlere Option, weil man halt dadurch antizipiert, dass man weniger... es weniger bereut, dass man dieses Produkt gekauft hat. Wenn man halt das teure kauft, kann man im Nachhinein immer sagen: „War das denn die richtige Wahl? Hat es sich denn gelohnt? Oder was ist, wenn meine Freunde mich fragen und mich kritisieren dafür?“ Dann kommt noch so eine soziale Komponente rein, das unterliegt tatsächlich solchem Verhalten. Tatsächlich ist das für einen selber auch häufig eine gute Sache. Das ist genauso, wie wenn ich ein Produkt kaufe: Ein Smartphone, was natürlich total überteuert ist, aber mir selber ist es das halt wert. Also insofern das mit „auf den Leim gehen“ ist so ein bisschen relativ, aber tatsächlich erwische ich mich auch dabei, dass ich halt häufiger mal sage: „Warum hast du das jetzt eigentlich gekauft?“ Und im Kaufprozess selber hinterfrage ich das natürlich nicht. Das kann ich gar nicht machen. Ich würde halt unfassbar viel Zeit mit einkaufen verbringen, wenn ich ständig hinterfragen würde, warum denn das? Warum denn das? Ja, ich bin da genauso von beeinflusst. Das ist aber ein stückweit auch gut so für mich. Ich fühl mich damit auch besser.
Götze: Das beruhigt mich und sicherlich auch unsere Zuhörer und Zuhörerinnen, dass selbst ein Marketingexperte dem nicht widerstehen kann. Sie hatten ja auch schon angedeutet: Natürlich geht es bei Werbung und Marketing darum, Geld zu verdienen, ein Unternehmen muss Umsatz machen, sonst besteht es nicht am Mark. Aber es geht auch darüber hinaus sehr oft um viel viel mehr Dinge, um ein bestimmtes Image aufzubauen, dass die Kunden zufrieden sind mit dem Produkt und auch, dass dieses Einkaufserlebnis einfach ein schöneres wird. Andererseits geht’s im Marketing natürlich auch darum Zahlen zu haben. Kann man so etwas denn messen? Also Zufriedenheit?
Prof. Sarstedt: Klar, also sicherlich, das entzieht sich erstmal einer unmittelbaren Messung. Es ist nicht so schön wie ein Umsatz oder ein Gewicht, eine Körpergröße, oder sowas, eine physikalische Größe, die man mehr oder weniger direkt messen kann, sondern ist eher was Softes. Aber damit haben sich ja die Marketingforscher und -psychologen seit Jahrhunderten schon, seit einem Jahrhundert schon auseinandergesetzt, wie man solche Konzepte, solche theoretischen Konzepte tatsächlich adäquat messen kann und das kennen wir aus anderen Bereichen, der Psychologie, wo zum Beispiel Depression messen wollen, ist ja auch was, was man nicht direkt beobachten kann, sondern das muss man auf Grundlagen bestimmter Verhaltensweisen oder auf Grundlage ganz bestimmter Antwortverhalten zu einem Fragebogen sich irgendwie erschließen. Deswegen ist das erstmal per se gar nichts, was nur im Marketing relevant ist. Also immer wenn es um Einstellung oder Wahrnehmung oder Intention geht, dann sind das immer Dinge, die man nicht direkt greifen kann und da gibt es tatsächlich sehr viel Forschung zu. Wir setzen uns viel mit Dingen der Fragebogenforschung auseinander, also wie muss man eigentlich Fragen stricken, dass man solche Dinge wie Zufriedenheit, wie zum Beispiel eine Unternehmensreputation, ein Image einer Marke, eine Markenpersönlichkeit, wie man das releable und valide messen kann. Also so, dass man sagen kann: „Hey, das sind gute Messungen, das erfasst dieses schwer greifbare Konzept irgendwie adäquat“ und das ist eine riesige Herausforderung, weil das Konzept selber, die Zufriedenheit, das Image, die Unternehmensreputation, die bleibt ja trotzdem unbeobachtet. Es gibt ja nicht den Standard, mit dem ich vergleichen kann, sondern es ist halt so, wie ich es definiere und da ist eine ganze Menge Diskussion, in der wir auch beteiligt sind: Wie kann man das überhaupt messen? Wie können wir vielleicht auch von der Physik lernen, die Messprinzipien zu übertragen auf solche Soft-Sciences, wie die Sozialwissenschaften, um einfach solche Sachen besser zu messen.
Götze: Physik finde ich ja sehr sehr spannend. Also Physik und Sozialwissenschaften zu koppeln. Jetzt kann man natürlich physikalische Größen vorhersagen, also Einfluss A wirkt so und so auf jemanden und bewirkt dann zum Beispiel die Reaktion. Können Sie das dann auch mit dem Verhalten? Also können Sie sagen, wenn die Rahmenbedingungen so und so gestaltet sind, wird sich der Kunde so und so verhalten?
Prof. Sarstedt: Ja, also ein stückweit schon, es kommt ein bisschen darauf an, was wir uns anschauen genau für ein Verhalten. Das ist in der Physik natürlich anders, weil wir da feste, natürliche Gesetze haben, nach denen bestimmte Reaktionen auch ablaufen. Lustig, wenn mein Physiklehrer das hören würde, dass ich über Physik rede. Ich bin da fast mit einer 5 aus Physik mal rausgegangen in der 10. Klasse, insofern ist es lustig, dass ich mich mit physikalischen Dingen beschäftige, aber es ist tatsächlich ganz spannend und ... Na ja! Auf jeden Fall, es ist in Sozialwissenschaften natürlich ein bisschen schwieriger. Natürlich, weil wir haben diese soften Konzepte und deswegen auch viele individuelle Faktoren, soziale Faktoren, die unser Verhalten beeinflussen, die auch nicht klar greifbar sind. Insofern sind dem gewisse Grenzen gesetzt, aber man kann tatsächlich, in dem man Methoden aus dem Data-Sciences zum Beispiel verwendet, mit Big-Data also extrem großen Datenmengen, die auch ständig aktualisiert werden, wie man dann zum Beispiel im Rahmen von sozialen Netzwerkanalysen analysiert, oder Machine learning-Ansetzen, können wir tatsächlich das Verhalten, Kaufverhalten, Online-Kaufverhalten tatsächlich sehr gut vorhersagen. Das ist schon so. Ob das dann immer so hilfreich ist, um es tatsächlich auch inhaltlich zu verstehen, warum es dazu kommt, das ist dann wiederrum eine andere Sache. Wenn wir sehr viele Daten haben und sehr versierte Algorithmen, dann können wir vielleicht sagen: „Ok, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird das und das passieren“, aber warum das passiert, das ist wiederrum eine andere Frage. Damit setzen sich Marketingforscher halt auch sehr stark auseinander. Also es gibt so diese zwei Lager: Die Vorhersagesichtweise, die sich dann sehr stark auf Data-Sciences bezieht und dann halt so eher die Konsumentenverhalten, die dann eher psychologische Konzepte verwendet, um das in Experimenten dann abzutesten, warum das passiert. Das ist jetzt gerade so ein Trend, wir sehen, dass sich das eben miteinander verheiratet: Vorhersagen einerseits, aber dann auch verstehen, warum es dazu kommt, um es dann vielleicht später noch besser vorherzusagen.
Götze: Oh weia, ich beteilige mich also mit meinem Online-Shoppingverhalten aktiv an der Wissenschaft.
Prof. Sarstedt: Natürlich, ja! Jeder Twitterpost, jeder Facebookpost wird analysiert, klar. Schöne Studie gerade von ein paar deutschen Forschern, die es tatsächlich geschafft haben, die Vorhersagegenauigkeit der Infektionszahlen von Covid besser vorherzusagen als das RKI, indem sie halt Twitterfeeds und Facebookposts, Googlesuchanfragen damit matchen und wenn du das dann halt auf Geoebene machst, dann kannst du das sehr gut sehen. Das machen im übrigen auch viele Gesundheitsministerien seit jeher, wenn es im Winter eine große Grippewelle ist zum Beispiel und es kommen bestimmte Suchanfragen, dann sieht man genau, wo sind die Suchanfragen getätigt worden, dann sieht man halt Cluster, Infektionscluster plötzlich und dann kann man sehr genau sehen, wie sich diese Krankheiten ausbreiten anhand der Suchanfragen, die man so online sieht. Insofern beteiligt sich irgendwie jeder dran.
Götze: Verrückt! Also… verrückt, aber spannend. Wir kommen zur letzten Frage und auch damit zur Moral von der Geschicht. Sie hatten ja auch schon angedeutet: Es sollte ethische Grenzen geben. Was sind aus Ihrer Sicht Bereiche, wo Sie sagen, zum Beispiel vielleicht Politik, da sollten diese Erkenntnisse nicht angewendet werden? Weil einfach das Verhalten in diesem Bereich nicht beeinflusst werden sollte.
Prof. Sarstedt: Ja, das dumme an der Forschung ist, an der Praxis, wenn es erstmal draußen ist, dann wird es halt per se mal angewendet. Die Frage also, ob es angewendet werden sollte, stellt sich nicht, weil es… alles was gemacht werden kann, wird in der Regel auch irgendwann mal gemacht. Das zeigt ja die Geschichte häufig auf tragische Weise. Allerdings, man kann es halt trotzdem auch ethisch hinterfragen, ob es denn überhaupt sinnvoll ist, das dann zu untersuchen, ob die Praktiken, wie sie denn gerade sind, ob das was ist, was man unterstützen sollte. Das sehe ich durchaus zwiegespalten, weil einerseits sehe ich den Konsumenten als durchaus reflektierendes Wesen, was halt auch nicht willenlos durch die Gegend läuft und Dinge einkauft, zum Beispiel nur weil uns das die Werbung eben suggeriert.
Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass Werbung durchaus auch manipulativ sein kann. Wenn wir mal auf die Werbung zugehen. Werbung ist halt eigentlich dafür da, um uns Wege aufzuzeigen, wie wir bestimmte Bedürfnisse, die einfach da sind, befriedigen können. Aber Werbung kann halt auch einen Schritt zu weit gehen, indem sie suggeriert, dass wir bestimmte Bedürfnisse haben. Ich hab´ in meinen Vorlesungen zum Beispiel so ein schönes Beispiel von Hot Dog-Water, wo halt jemand für über 30 Dollar einen halben Liter Wasser mit einem Hot Dog drin verkauft und dann lobend, was das alles für positive Gesundheitseigenschaften hätte, das bewirbt. Und das kaufen die Leute dann in LA einfach vom Stand weg. Da kann man sich natürlich fragen: Was soll das eigentlich? Und da würde ich halt sagen, für mich persönlich, ist eine Grenze überschritten. Weil es wirklich abstrus ist, aber wenn man sich dann in die Rolle der Menschen, die das kaufen reinversetzt, da werden natürlich auch andere Motive befriedigt und Bedürfnisse befriedigt, Differenzierung zum Beispiel. Dass man halt irgendwie neu und hipp ist. Man fühlt sich damit einfach besser. Und dann postet man das auf Facebook und sagt: „Hey! Guck mal, ich hab´ jetzt Hot Dog-Water gekauft.“ Also insofern … das ist halt schon sehr schwierig, weil vordergründig kann man dann sagen, das ist halt ethisch fragwürdig, aber hintergründig werden halt ganz andere Dinge damit eigentlich erreicht, als man bei der Beantwortung der ethischen Fragwürdigkeit eigentlich auf dem Radar hat.
Wo es aber objektiv, finde ich, schwierig wird, ist, wenn es eine sublimenale, also unbewusste Manipulation ist und wir uns der nicht entziehen können, dass es dann tatsächlich auch negative Konsequenzen auf unsere Gesundheit haben kann. Nehmen wir zum Beispiel die Düfte. Es gibt halt Menschen, die sind hyperallergisch auf diese Botenstoffe und wenn es keine Kennzeichnungspflicht dafür gibt und die dann halt, sagen wir mal in den Zug laufen und da eine zu hohe Intensität ist, dann können die darauf allergisch reagieren. Da haben wir auch eine ganze Menge Diskussion zu gehabt, tatsächlich auch mit dem Hersteller dieses Duftes und das konnten wir alles ausräumen, aber natürlich… wenn man davon zu viel mit einer zu hohen Intensität hat, dann kann das tatsächlich sehr negative Konsequenzen für einzelne Personen haben und das darf natürlich nicht passieren. Da brauchen wir Kennzeichnungspflichten oder man lässt es einfach besser gleich ganz. Insofern ja, dem sind tatsächlich ethische Grenzen gesetzt und zwar an der Stelle, wo es einen tatsächlich physisch negativ beeinflusst und wir das nicht vorhersehen können. Als Marketer dann müssen wir das halt sein lassen und an der Stelle, wo halt irgendwelche Pseudobedürfnisse geweckt werden, die es eigentlich gar nicht gibt.
Götze: Also liebe Unternehmer da draußen, nicht bitte einfach Melonenduft wahllos sprühen. Vielen vielen Dank auf alle Fälle. Ich merke schon, wir könnten noch hundert Podcasts mit Ihnen machen. Wir werden uns auf jeden Fall noch ein schönes Thema überlegen, es ist alles sehr sehr spannend. Vielen Dank, dass Sie da waren. Vielen Dank fürs Zuhören da draußen. Ich freue mich schon auf den nächsten Podcast und wünsche Ihnen bis dahin alles Gute!
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.