Der Name verheißt Siegesfreude und glanzvolles Leuchten, doch das Coronavirus ist alles andere als das. Seit Monaten hat es weltweit den Alltag von Millionen von Menschen in einer Weise beeinflusst, die bisher für nicht möglich gehalten wurde. In dieser Podcast-Folge wollen wir mit den Mikrobiologen Prof. Achim Kaasch darüber sprechen, was diese eigentlich simplen Strukturen, nichts weiter als eine Kombi aus einem genetischen Code, Proteinen und Fett, so zerstörerisch macht, was wir durch PCR, Antigen oder Schnelltest über sie herausfinden, wie wir sie künftig bekämpfen können und warum ein Zusammenleben mit ihnen dennoch unausweichlich scheint.
Heute zu Gast
Der Mikrobiologe Prof. Achim Kaasch leitet das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Uni Magdeburg. Der Mediziner forscht seit Jahren erfolgreich an bakteriellen Infektionen. In seinen Lehrveranstaltungen auf dem Medizinercampus hören die Studierenden aus dem 6. Semester wesentliche Erkenntnisse über verschiedene Aspekte der Mikrobiologie und Virologie. Eigenen Angaben zufolge hat er es in den vergangenen Monaten nicht einen Moment lang bereut, die Virologie zum Beruf gemacht zu haben und wird sich auch weiterhin in Forschung und Lehre diesen winzigen, aber nicht minder wirkungsvollen Strukturen widmen.
Der Podcast zum Nachlesen
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.
Katharina Vorwerk: Ich heiße Sie herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe unseres Wissenschaftspodcasts. Mein Name ist Katharina Vorwerk und als Gesprächspartner ist heute der Mediziner Prof. Achim Kaasch zu Gast, seines Zeichens Mikrobiologe und Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Uni. Und schon das Setting unseres Gesprächs verrät viel über das heutige Thema, denn ich sitze in der Pressestelle am Uniplatz, Prof. Kaasch in seinem Institut in der Leipziger Straße. Schuld an diesem Ferngespräch ist – klar, wie soll es anders sein – das Coronavirus, das seit Monaten unseren Alltag bestimmt. Wir wollen in den nächsten Minuten darüber sprechen, was diese eigentlich simplen Strukturen so zerstörerisch macht, wie wir sie bekämpfen können und warum ein Zusammenleben mit ihnen dennoch unausweichlich scheint. Guten Tag Professor Kaasch. Ich hoffe, die Leitung steht.
Prof. Achim Kaasch: Ja guten Tag, also ich kann Sie sehr klar und deutlich hören.
Vorwerk: Das ist schön, fangen wir an. Prof. Kaasch, zu Beginn unseres Gesprächs sei eine kleine persönliche Frage erlaubt: Haben Sie in den vergangenen Monaten nicht doch einen kurzen unbeobachteten Moment lang bereut, die Virologie zum Beruf gemacht zu haben?
Kaasch: Ja, ich bin ja zur Virologie mehr oder weniger zufällig gekommen, indem ich im Oktober 2019 nach Magdeburg gekommen bin. Zuvor habe ich mich wenig mit Virologie beschäftigt und jetzt gehört es zum Portfolio des Instituts. Natürlich, als Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie gehört natürlich die Virologie dazu. Trotzdem teilt sich das an vielen Universitäten in verschiedene Institute auf, sodass nicht alle über eine jahrelange Tätigkeit in der Virologie verfügen. Bei mir war das so, dass eben kurz vor Corona ich diese Aufgabe noch dazu bekommen habe. Das war auf der einen Seite sehr spannend, auf der anderen Seite ist das natürlich sehr viel Neues gewesen und letztendlich auch für alle etwas Neues gewesen.
Vorwerk: Das klingt jetzt aber nicht groß nach Bedauern, sondern nach „Da ist noch ein bisschen Kraft übrig“.
Kaasch: Ja, es ist noch ein bisschen Kraft da. Auf der anderen Seite – klar, es gibt die Situationen, wo man sich denkt: Wieso ich? Und weshalb gerade in dieser Situation, wo sowieso alles neu ist und die Pläne völlig andere waren, nämlich Aufbau einer Forschungsgruppe und Umbau eines Instituts.
Vorwerk: Das glaube ich Ihnen gern. Kommen wir gleich in medias res. Viren sind ja quasi nichts weiter als ein Stück genetischer Code, der in Fett und Proteine eingewickelt ist. Was macht diese Dreierkombi so wirkungsvoll, also wie gelingt dieser relativ einfachen Struktur ein – aus Ihrer Sicht natürlich – so großer Erfolg?
Kaasch: Das interessante bei Viren ist, dass sie sehr einfach aufgebaut sind und trotzdem die Strukturen ihres Wirts, also in dem Fall bei uns, also bei den Corona-Viren, vor allem der Mensch, ausnutzen, um sich weiter zu verbreiten. Das heißt, ein Virus besteht nur aus wenigen genetischen Bausteinen, die aber ausreichen, um sich effizient zu verbreiten. Und das zeichnet eben ein Virus aus und deshalb sind sie auch so klein.
Vorwerk: Um zu wissen, wer mit dem Corona-Virus infiziert ist, nutzen wir den bereits vor Jahren entwickelten sogenannten PCR-Test als Goldstandard, was konkret weist er eigentlich nach bzw. was ist gesicherte Erkenntnis, wenn dieser Test positiv ist?
Kaasch: Vielleicht machen wir hier einen kurzen Exkurs in die verschiedenen Testmöglichkeiten. Wir haben auf der einen Seite die PCR-Tests als Goldstandard, wir haben Antigen-Tests und wir haben Antikörper-Tests. Und diese drei Dinge gilt es, sehr gut auseinanderzuhalten, um tatsächlich zu verstehen, um was es geht. Gleichzeitig, und das ist noch eine andere Einteilung, kann man die Tests ein bisschen nach der Dauer einteilen, nämlich wie schnell es geht. Und das wären sozusagen Schnelltests gegen normale Tests. Jetzt vielleicht zuerst zum PCR-Test. Beim PCR-Test weisen wir Ribonukleinsäure nach, das ist das Genom der Viren, und damit können wir aus einer Probe sehr, sehr sensitiv Virusgenom nachweisen.
Vorwerk: Ein Genom ist, kurze Zwischenfrage, was?
Kaasch: Ein Genom ist, was für den Mensch die DNA ist, ist bei dem Corona-Virus RNA, also Ribonukleinsäure. Und das entspricht quasi diesem Genom. Um dieses Genom nachzuweisen, wandelt man zunächst diesen Ribonukleinsäurestrang in DNA um, um dann mit der Polymerase-Kettenreaktion diese DNA zu vervielfältigen. Wenn Sie jetzt ein Produkt bekommen, das heißt, die Vervielfältigung hat geklappt, dann haben Sie nachgewiesen, dass ein Virus in dieser Probe drin ist. Je nachdem, wie schnell diese Vervielfältigung klappt, können Sie auch ableiten, wie viel Virus wohl in dieser Probe drin war. Denn je schneller Sie ein Produkt sehen, desto mehr Virus muss da vorher in der Probe drin gewesen sein.
Vorwerk: Sie sprachen vorhin auch, also jetzt ging es ja um den PCR-Test, sie sprachen auch vom Antigen-Schnelltest und Antikörper-Tests. Die müssen wir glaube ich an dieser Stelle nicht im Detail besprechen, aber wichtig wäre ja: Bekomme ich aus all diesen Tests die gleichen oder dieselben Informationen?
Kaasch: Vielleicht ganz kurz zum Antigen-Test. Beim Antigen-Test weisen Sie nicht das Virusgenom nach, sondern die Proteine, die im Virus vorhanden sind. Und beim Antikörper-Test weisen Sie die Immunreaktion des Körpers auf das Virus nach. Die kann man erst nach einigen Tagen oder Wochen nachweisen. Bekommt man daraus die gleichen Informationen? Nein, bekommt man nicht. Der Antigen-Test, also da, wo ich das Virusprotein nachweise, dieser Test schlägt deutlich später an, als das mit einem PCR-Test der Fall ist. Wir nennen das: 'Er ist nicht so sensitiv'. Beim Antikörper-Test braucht es zwei bis drei Wochen bis der Test positiv anschlägt. Und, nach unseren Erfahrungen schlägt er auch nur bei der Hälfte der Personen, die eine Infektion hatten, tatsächlich an. Sodass man mit diesem Test nicht mit Sicherheit sagen kann, ob man eine Infektion hatte. Im Umkehrschluss aber: Wenn der Test anschlägt, dann können Sie davon ausgehen, dass eine Infektion vorgelegen hat.
Vorwerk: Das klingt alles relativ komplex und kompliziert. Ich würde jetzt gerne mal zu einem eher kontrovers diskutierten Thema kommen, nämlich das Thema Impfung. Aus virologischer Sicht – mit welchen Waffen stellt sich denn ein erfolgreicher Impfstoff diesem Virus eigentlich entgegen? Haben Viren im übertragenen Sinne sowas wie eine Achillesferse?
Kaasch: Impfstoffe funktionieren so, dass eine Immunreaktion des Körpers ausgelöst wird, gegen das Virus. Und dass diese Immunreaktion den Körper trainiert, um im Ernstfall, wenn es eine Infektion gibt, schneller tätig zu werden.
Vorwerk: Warum ging es denn nun bei Corona scheinbar so schnell, dass Impfstoffe entwickelt wurden, quasi an vielen Orten der Erde gleichzeitig?
Kaasch: Die Impfstoffe, die am schnellsten entwickelt worden sind, sind die RNA-Impfstoffe. Die basieren im Prinzip auf einem neuen Wirkmechanismus. Nämlich, dass man RNA spritzt und diese RNA wird umgebaut in Proteine, und diese Proteine werden erkannt.
Vorwerk: Das haben wir bei Biontech und bei Moderna, korrekt?
Kaasch: Genau, das sind diese beiden Impfstoffvarianten und es wird im Herbst vermutlich noch ein dritter aus Deutschland kommen, nämlich von Curevac. Und diese Impfstoffe sind scheinbar neu. Wenn man sich aber die Entwicklungsgeschichte anschaut, dann sieht man, dass man vor zehn, fünfzehn Jahren und letztendlich auch länger die Grundlagen dazu gelegt hat, dass diese Impfstoffe wirken können. Und auch vor zwei, drei Jahren gab es entscheidende Arbeiten, die für diesen Impfstoff, für Coronaviren notwendig waren. Die sind aus der Not heraus geboren worden, dass man gegen das Sars I-Virus einen Impfstoff gesucht hat, den man aber nicht weiter verfolgt hat bzw. nicht mehr zur Marktreife gebracht hat, da die Pandemie beim Sars I ausgeblieben ist.
Vorwerk: Wie schätzen Sie denn die aktuelle Diskussion um diese unterschiedliche Bewertung von Biontech, Moderna und Astrazeneca ein?
Kaasch: Also ich bin mal gespannt, was die Daten in der Zukunft dann tatsächlich zeigen werden. Ich sehe das aktuell so, und lasse mich aber dann auch von den Daten korrigieren möglicherweise in Zukunft. Aktuell sehe ich das so, dass die unterschiedlichen Studiendesigns verantwortlich sind für die unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich dieser Leistungen der Impfstoffe. Was bedeutet das? Das bedeutet, bei den RNA-Impfstoffen haben wir um die Wirksamkeit der Impfstoffe zu bewerten, nur nach Infektionen geschaut, bei denen Symptome aufgetreten sind. Beim Wirkstoff von Astrazeneca ist vor allem auch danach geschaut worden: Gibt es asymptomatische Infektionen? Diese Unterschiede könnten auch dazu führen, dass die Wirksamkeit bei leichten Infektionen unterschiedlich eingeschätzt wird. Bei schweren Infektionen scheinen alle Impfstoffe relativ gut zu sein, oder auch sehr gut zu sein.
Vorwerk: Jetzt haben wir gegen die Erreger von Polio, Masern und nun auch in Teilen von Corona es geschafft, einen Impfstoff zu entwickeln. Warum schaffen wir das nicht bei der Grippe?
Kaasch: Bei der Grippe gibt es zwei Phänomene, die die Impfstoffentwicklung schwierig machen, bzw. die dauerhafte Impfstoffentwicklung schwierig machen. Es gibt ja jedes Jahr einen neuen Impfstoff oder eine neue Impfstoffkombination und diese beiden Mechanismen sind Antigen-Shift und Antigen-Drift. Antigen-Shift bedeutet, dass das Virus sich verändern kann, indem es genetischen Code von verwandten Viren aufnimmt. Und so entsteht zum Beispiel die Vogelgrippe oder die Schweinegrippe. Da werden einfach Teile des Virus ausgetauscht. Beim Antigen-Drift wiederum gibt es sowas, was wir jetzt auch bei Corona beobachten, nämlich Virusmutationen, die kleine Anpassungen hervorbringen. Das ist sozusagen der zweite Grund, weshalb Impfstoffe dann nicht mehr so gut wirken wie im Vorjahr.
Vorwerk: Wir lernen also: Impfungen lassen die Viren nicht verschwinden. Wir werden also wie es scheint auch in Zukunft mit dem Corona-Virus leben müssen?
Kaasch: Ich gehe davon aus, dass wir auch in Zukunft das Corona-Virus noch für viele Jahre zirkulieren haben werden. Das ist ein ganz normaler Prozess, wenn neue Viren in eine Population kommen, dann kommt es zur Durchseuchung aber trotzdem. Wir nennen das Fixierung in einer Population, das heißt die Viren werden dauerhaft da sein. Wir kennen das von den sogenannten endemischen Corona-Viren, die schon seit vielen Jahren in unserer Population zirkulieren und auch jedes Jahr in geringer Menge bei uns nachgewiesen werden.
Vorwerk: Wir haben das ja bei anderen Epidemien – oder bisher ist es mir noch nicht aufgefallen – nicht so erlebt, dass Virologen so an der Front stehen würde ich mal sagen. Sie sind seit Monaten dauerpräsent in den Medien und stehen für evidenzbasierte Problemlösungen, aber doch ergibt sich für viele Menschen alles andere als ein klares Bild. Da gibt es Team Drosten, Team Streeck, es gibt Storymachine und Heinsberg. Schaffen denn diese öffentlich-kontrovers geführten Diskussionen wirklich Vertrauen in die Wissenschaft?
Kaasch: Das ist eine ganz schwierige Frage. Und wenn sie Storymachine und Heinsberg ansprechen: Das sind ja auch sehr irritierende Diskussionen, also aus wissenschaftlicher Sicht sehr irritierende Diskussionen gewesen, wo es dann nicht immer um die Inhalte ging. Zurzeit gibt es auch eine sehr starke Polarisierung der Meinung zu vielen verschiedenen Themen. Die auf der einen Seite ja gut ist, dass man Diskussionen führen kann in einer Demokratie und auch führen muss, auf der anderen Seite natürlich nicht immer mit der notwendigen Fachkompetenz geführt werden.
Vorwerk: Das macht die Sache natürlich nicht einfacher, nee?
Kaasch: Das ist letztendlich eine Schwierigkeit, mit der man irgendwie zurechtkommen muss. Es wird ja immer wieder angesprochen: Brauchen wir einen Pandemierat? Ist das ein Gremium, was man auf Landes- oder Bundesebene braucht? Um überhaupt die Diskussion zu bündeln. Das denke ich, könnte ein auch Weg sein, um diese Kakophonie, die man letztendlich hat, etwas zu begrenzen.
Vorwerk: Wir kommen zum Ende unseres Gesprächs und da haben wir verstanden, Viren sind also so eine Art Terroristen, die durch fiese Täuschung in Zellen eindringen und sie zwingen, Kopien von ihnen zu machen. Das klingt ja alles eher so semi-sympathisch. Was fasziniert sie dennoch an den Viren? Warum werden Sie weiter mit Begeisterung an ihnen forschen?
Kaasch: Da möchte ich Ihnen vielleicht eine etwas überraschende Antwort geben. Für mich ist es schön, wenn man auf ein System draufschaut, von dem man potenziell nicht unbedingt selbst betroffen ist, aber das trotzdem Menschen sehr stark beeinflussen kann. Bei den Viren – wie wir es jetzt auch sehen, mit den Virusmutationen – und wie sich Viren in einer Population ausbreiten, das ist sicherlich ein ganz spannendes Forschungsthema. Und auch die Frage: Wie kann man diese Ausbreitung effizient verhindern? Und da werden wir jetzt mit dem Coronavirus auch noch eine große Aufgabe haben, dieses als Modell zu begreifen, um zukünftige Pandemien auch einzugrenzen.
Vorwerk: Mit diesem Statement geht unser Podcast heute zu Ende und ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen, Prof. Kaasch, für Ihre Zeit bedanken. Uns allen wünsche ich an dieser Stelle eine baldige coronafreie Zeit und wenn Sie Fragen haben oder Themen, die Sie interessieren, dann schreiben Sie einfach an . Bis dahin, bleiben Sie gesund und machen Sie es gut bis zur nächsten Ausgabe unseres Podcasts im Mai.
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.