Die Probleme und Fragen unserer Zeit, die viele Menschen bewegen, sind komplex. Um Lösungen zu finden, verlangen sie immer öfter die Kooperation verschiedener Fachdisziplinen, auch über die Grenzen von Organisationen hinaus. Beispiele solcher Kooperationen gibt es an unserer Universität viele. Das Graduiertenkolleg 2408 an der Medizinischen Fakultät ist eines davon. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erzählen, was die Zusammenarbeit in einem internationalen und interdisziplinären Team ausmacht, woran dort gemeinsam geforscht wird und vor welchen Herausforderungen der wissenschaftliche Nachwuchs aktuell steht.
An ihre Ankunft vor knapp vier Jahren am Hauptbahnhof in Magdeburg erinnert sich Phatcharida Jantaree noch genau: „Ich war total irritiert. Es war Sonntag, alle Geschäfte hatten geschlossen und es waren so gut wie keine Menschen auf der Straße unterwegs. In Thailand gibt es den Sonntag als Ruhetag nicht. Da wird an sieben Tagen normal gearbeitet.“ Mittlerweile ist Jantaree auch durch ihre Arbeit im Graduiertenkolleg 2408 (GRK) mit vielen anderen deutschen Gepflogenheiten vertraut und fühlt sich in Magdeburg zuhause. Die 32-Jährige hat in Thailand Biochemie und biochemische Technologie (B.Sc.) und Angewandte Biowissenschaften (M.Sc.) studiert. Die Freiheit, auch sonntags im Labor zu arbeiten, hat sie sich erhalten. „Wir handhaben das sehr offen und tauschen uns, je nachdem wer gerade im Labor ist, auch an den Wochenenden über unsere Arbeit aus. Dies entspricht der Wissenschaftskultur und wird auch den unterschiedlichen individuellen Arbeitsweisen der Doktorandinnen und Doktoranden gerecht“, beschreibt Prof. Dr. Michael Naumann, Sprecher des GRKs, die Organisation in seinem Team.
Phatcharida Jantaree ist eine von über 30 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die im GRK 2408 seit Oktober 2018 der Frage nachgehen, welche molekularen Prozesse zwischen einzelnen Zellen bei der Entstehung chronischer Erkrankungen eine entscheidende Rolle spielen. Denn: Chronische Krankheiten stellen eine große Gefahr für die Gesundheit dar und belasten die Gesundheitssysteme zunehmend. Eine komplexe Fragestellung, der sich ein komplexes Team widmet: In dem Förder- und Ausbildungsprogramm für wissenschaftlichen Nachwuchs sind erfahrene Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den Fachdisziplinen Zellbiologie/ Biochemie, Mikrobiologie/ Immunologie und Molekularbiologie sowie klinische Mediziner und Medizinerinnen aus Kardiologie, Nephrologie, Gastroenterologie/ Hepatologie, Hämatologie und Onkologie für die wissenschaftliche Ausbildung von naturwissenschaftlichen und Medizindoktoranden und -doktorandinnen sowie Assistenzärztinnen und -ärzten verantwortlich. Die Mitglieder des GRK 2408 kommen aus neun Nationen und arbeiten mit dem Ziel zusammen, neue Angriffspunkte für mögliche Therapien gegen chronische Erkrankungen und Krebs zu identifizieren. „Unsere Vielfalt an Kompetenzen aus der Grundlagen- und patientenorientierten Forschung erlaubt es uns, den wissenschaftlichen Horizont stetig zu erweitern und damit auch die eigene Sichtweise und die übliche Vorgehensweise zu hinterfragen. Das ist aus meiner Sicht ein entscheidender Erfolgsfaktor für unsere Forschung, aber auch in der Wissenschaft allgemein und treibt Innovationen voran“, erzählt Prof. Naumann. Er leitet innerhalb des Kollegs eine von 10 Arbeitsgruppen mit internationalen Doktorandinnen und Doktoranden. Eine von ihnen ist Phatcharida Jantaree.
Prof. Dr. Naumann im Gespräch mit den Doktorand*innen Phatcharida Jantaree und Yanfei Yu (Foto: Sarah Kossmann / UMMD)
Damit in dem Forschungsverbund ein Rädchen in das andere greifen kann, sei es enorm wichtig, das Bewusstsein für ein gemeinsames Ziel zu schaffen und dabei immer wieder die Motivation jedes Einzelnen zu stärken. Denn die interdisziplinäre Arbeit sei zeitaufwendiger und verlange den Beteiligten viel ab, da mit unterschiedlichen Hintergründen Ziele und Vorgehensweisen in einem Projekt häufig unterschiedlich interpretiert würden. Prof. Naumann betont: „Wie wir miteinander kommunizieren, ist entscheidend, um ein Silodenken zu vermeiden und um eine gemeinsame Zielstellung mit den Medizinern und mit ihrem Wissen aus der Praxis zu entwickeln. Ein Beispiel: Wenn in der Leber ein Prozess in Gang ist, was passiert dann in der Gallenblase oder im Magen? Da ist medizinisches Fachwissen für unsere Experimente wichtig.“ Diese erweiterte Denkweise lohne sich und helfe dabei, praktische Probleme zu lösen, wie Medizinstudent Tobias Franz bestätigt: „Beispielsweise bedarf es für die Isolation spezieller Zellen der Lunge viel Expertise und Geschick. Mit der Erfahrung der Doktorandinnen und Doktoranden aus einer anderen Disziplin konnten wir dieses Projekt gemeinsam realisieren. Auch für die Analyse komplexer Experimente braucht es den Austausch mit anderen erfahrenen Kolleginnen und Kollegen.“
Unterschiede bringen die besten Lösungen hervor
Es gibt durchaus auch Uneinigkeit bei experimentellen Vorgehensweisen, wie der Doktorand Yanfei Yu beschreibt: „Ich bin Biotechnologe und untersuche die Wechselwirkungen zwischen Molekülen in Zellen. Das ist reine Grundlagenforschung und von der klinischen Anwendung noch weit entfernt. Medizinstudierende sind aufgrund ihres anderen Wissenshintergrunds eher in der Lage, ihre klinischen Erfahrungen in die Forschung zu integrieren. Bei der Absprache über die Verwendung gängiger Analyseinstrumente kann es deshalb auch schon mal zu unterschiedlichen Ansichten kommen. Dabei entstehen Lösungen und oft neue Ideen, die dann für beide Seiten gute Ergebnisse hervorbringen."
Um die Gemeinschaft im Team auch vor dem Hintergrund kultureller Unterschiede zu festigen, wird die Möglichkeit für einen regelmäßigen Austausch geboten. „Wir haben ein großes Angebot an gemeinsamen Kursen und Veranstaltungen zur Vermittlung von diversen Kompetenzen, beispielsweise zu Labor-Techniken, zu akademischem Schreiben, haben Statistik-Kurse, aber auch Soft-Skill-Kurse, interkulturelle Angebote, spezielle Angebote für Frauen bis hin zum Babysitting-Service. Diese regelmäßigen Treffen sind enorm wichtig, um sich zum einem fachlich auszutauschen, aber auch zu Problemen, die nicht unbedingt wissenschaftlicher Natur sind“, erzählt Dr. Sandra Dittrich, wissenschaftliche Koordinatorin des GRKs. Sie hilft den Doktoranden und Doktorandinnen auch durch die aufwendige Bürokratie der akademischen Verwaltung. „Da fast alle Formulare nur in Deutsch zur Verfügung stehen, ist leider immer noch viel Vermittlungsarbeit zwischen der Verwaltung und unseren internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nötig.“
Für den Chinesen Yanfei Yu, der seit mehr als 8 Jahren in Deutschland lebt, waren nicht die fremde Sprache, Kultur oder die unterschiedlichen Werte das Schwierigste bei seiner Anpassung an das Leben in Deutschland. Schmunzelnd erzählt er: „Der größte Unterschied ist das Essen. Also koche ich bis jetzt fast jeden Tag mein eigenes chinesisches Essen.“ Und auch im GRK wird auf solche Besonderheiten aus gutem Grund geachtet, erzählt Dittrich: „Wir wollen ein kulturelles Verständnis untereinander entwickeln. Deshalb achten wir z. B. bei der Cateringplanung darauf, dass es Alternativen zu Schweinefleisch gibt und bei Bedarf auch der Ramadan berücksichtigt wird.“
Was ist nun also das Geheimrezept für gelungene Zusammenarbeit? Die Mischung macht’s!