Selten stand die Menschheit vor so vielen Herausforderungen auf einmal. Die Liste globaler Krisenthemen ist lang. Allein der Klimawandel und die Corona-Pandemie beeinflussen, wie wir leben, forschen und arbeiten. Auch der Krieg in der Ukraine, seine wirtschaftlichen Folgen, stellen die Industrie derzeit auf den Kopf. Lücken offenbaren sich, stellen althergebrachte Prozesse infrage und beschleunigen, was oftmals auf die lange Bank geschoben wurde: Transformation. „Was gerade in vielen Industriezweigen passiert, wird stark durch die Krisen getrieben“, sagt Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget vom Institut für Verfahrenstechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. „Die Knappheit fossiler Brennstoffe aufzufangen, versetzt aktuell viele Industriezweige in Aufregung und gibt den Anschub für Veränderungen.“
Dass Bewegung in die deutsche Industrie kommt, dass sie weg will von den endlichen Rohstoffen und ernsthaft über den verstärkten Einsatz von erneuerbaren Energien nachdenkt, spielt der Wissenschaftlerin in die Karten. „Endlich“, sagt sie, „spielen neue Techniken und Prozesse eine Rolle, die den Energiewandel ernsthaft vorantreiben können, die man jedoch vorher nicht beachtet hat, weil sie zu teuer und daher nicht konkurrenzfähig gegenüber etablierten Verfahren waren, welche mehrheitlich auf fossilen Brennstoffen beruhten.“
Endlich also sind Ohren und Augen offen für solche Themen, mit denen sich Vorhauer-Huget und ihre sechsköpfige Forschungsgruppe beschäftigt. Die Verfahrenstechnikerinnen und -techniker der Uni Magdeburg haben es sich zum Ziel gesetzt, den enormen Verbrauch fossiler Brennstoffe und den damit verbundenen CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren. Als umweltschonende Alternative wollen sie gemeinsam mit Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern aus Magdeburg und Bochum, neben weiteren wegweisenden Technologien, die Mikrowellentechnologie für schwer kontrollierbare und energieintensive Produktionsverfahren entwickeln. Bei denen könnten mit dem Einsatz von Mikrowellentechnik viel Zeit, Energie und CO2 eingespart werden. Denn: Mit Mikrowellen wird die für die Stoffumwandlung notwendige Wärmeenergie nicht mittels eines Prozessgases zum Material transportiert, sondern direkt darin, als sogenannte volumetrische Erwärmung, erzeugt. Das spart Energie und Zeit. Durch den Einsatz von „Erneuerbaren“, wie Windenergie und Photovoltaik, entsteht bei der Mikrowellen-Erwärmung CO2 zudem erst gar nicht – im Gegensatz zum Einsatz fossiler Brennstoffe.
Die Verfahrenstechniker*innen der Uni Magdeburg erforschen, wie die Mikrowellentechnik zu einer CO2-neutralen Industrie beitragen kann. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Ein Teilvorhaben läuft im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit fast zehn Millionen Euro unterstützten Sonderforschungsbereichs/ Transregio 287 „BULK-REACTION“, an dem rund 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Bereiche der Unis Magdeburg, Bochum und Kiel beteiligt sind. Die mehrfach ausgezeichnete Magdeburger Wissenschaftlerin und ihr Team untersuchen dabei, wie künftig bei konventionellen Großproduktionsprozessen in Hochtemperaturöfen – wie bei der Herstellung von Keramik, Zement, Ziegeln oder Stahl – umweltfreundlicher und effizienter gearbeitet werden kann. Im Zentrum steht dabei die Mikrowellen-Technik, wie man sie aus dem Haushalt kennt. Energie, die bisher aus Ölen oder Gasen gewonnen wird, könnte damit aus Wind, Wasser oder Sonne bezogen werden. Ein weiterer Vorteil der Mikrowellen, den jeder aus der Küche kennt: Sie ermöglichen eine sehr schnelle Erwärmung. „Bei Großproduktionsprozessen könnten also Zeit und Energie gespart werden“, sagt Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget.
Dass sie sich mit den Möglichkeiten der Mikrowellen beschäftigt, geht auf einen engen Praxisbezug zurück. Aus der Ziegel-Industrie kam einst die vorsichtige Frage nach der Forschung an dieser Erwärmungsmethode für Trocknungsprozesse. Heute ist das Interesse größer denn je. Zwar sind Mikrowellen für die Forschenden nichts Neues – es ist kein Geheimnis, dass sich damit Dinge schnell erwärmen lassen und dies auf sehr viele Prozesse angewendet werden kann. Neu ist allerdings, resümiert die Magdeburger Wissenschaftlerin, dass „Interesse an der Forschung daran zunehmend stärker aus unterschiedlichen Industriebereichen signalisiert wird.“
Einen neuen „Schub“ hat das Ganze seit dem Ukraine-Krieg und den damit verbundenen Unsicherheiten in der Gasversorgung erhalten, so Vorhauer-Huget. Die Industrie denkt um. Ein Beispiel dafür ist gerade auch die Ziegel-Branche und damit ein traditioneller Industriezweig mit auf fossilen Brennstoffen beruhenden Prozessen, die sich in den letzten Dekaden kaum verändert haben. Dort müsse man sich „jetzt ernsthaft Gedanken machen, wo künftig die riesigen Energiemengen für Prozesse wie die Trocknung oder den Ziegelbrand herkommen sollen“, so die Forscherin. Bei einem Projekt für die angewandte Industrieforschung prüft das Uni Magdeburg-Team seit einiger Zeit, wie alles schneller, ohne fossile Brennstoffe und auf Basis erneuerbarer Energien CO2-frei funktionieren könnte. Und das ist nur ein kleiner Teil der aktuellen Mikrowellenforschung in Magdeburg.
Das Einsatzfeld der Mikrowellentechnik ist groß. Aber die Herausforderungen sind es auch. Vor allem die Interaktion der Mikrowellen mit den Materialien, die sich bei hohen Temperaturen durch chemische Reaktionen im Prozess ständig ändern, seien noch nicht gut verstanden, sagt Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget. Darum sammeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Kooperationsprojekten experimentelle Daten, mit denen sich bestimmen lässt, wie gut sich ein Material bei unterschiedlichen Temperaturen und mit variierender Zusammensetzung mit elektromagnetischer Strahlung erwärmen lässt. In eigens dafür angefertigten Geräten untersuchen sie unter kontrollierten Laborbedingungen chemische Prozesse, wie sie in Hochöfen stattfinden. Ein Beispiel dafür ist die Pyrolyse von Biomasse zur Herstellung von Pyrolyseölen, Gasen und kohlenstoffbasierten Feststoffen. Das Team entwickelt hierfür zusätzlich mathematische Computermodelle, mit denen bisher nicht messbare, sehr dynamische Interaktionen während des Prozesses, auf verschiedensten Größenskalen erfasst werden. Um künftig an den „Optimierungsschrauben“ drehen zu können, blicken die Verfahrenstechnikerinnen und -techniker also tief in die Prozesse. Das Forschungsteam beobachtet darum nicht nur die Eigenschaften der Ausgangsstoffe, sondern auch, wie schnell sie sich erwärmen. Sie stellen Fragen wie diese: Welche Prozessbedingungen sind notwendig, damit die gewünschten Reaktionen möglichst effizient ablaufen? „Daraus“, so Vorhauer-Huget, „können wir dann Annahmen über die Steuerung der Prozesse während der Produktion ableiten und Aussagen zur Qualität des Produkts treffen.“
Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Im SFB-Teil-Projekt der promovierten Verfahrenstechnikingenieurin geht es um Prozesse, die in Hochtemperaturreaktoren bei bis zu 1.000 Grad Celsius stattfinden. Die Wissenschaftlerin erklärt: „Die Prozessparameter zum Beispiel bei der Pyrolyse von Biomasse bestimmen die späteren Produkteigenschaften, wie die chemische Zusammensetzung von Produktgasen und Produktölen.“ Die Mikrowellenerwärmung ermögliche im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren grundsätzlich andere Prozessbedingungen. So wäre es künftig möglich, Produkteigenschaften gezielt zu verändern und zu optimieren. Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget sagt: „Es könnten also künftig auf Grundlage unserer Forschung bald neue Verfahren zur Gewinnung nachhaltiger Produkte bereitstehen.“
Die Wissenschaftlerin sieht darin „ein großes Potenzial“: „Wir fassen schon jetzt viele Projekte ins Auge, weil es auf diesem Feld noch zu wenig interdisziplinäre Forschung gibt.“ Gerade die spielt für sie jedoch eine wichtige Rolle. „An unserer Uni können wir ideal mit vielen Bereichen interagieren“, so Vorhauer-Huget. „Wichtige Kooperationen laufen beispielsweise mit den Kolleginnen und Kollegen der Elektrotechnik, die sich unter anderem den dielektrischen Stoffeigenschaften widmen, woraus wir ableiten können, wie gut sich ein Stoff erwärmen lässt.“ Im SFB-Projekt beschäftigt sich die Verfahrenstechnik-Gruppe wiederum aktuell gezielt mit der Verkohlung von Holz oder mit der Umwandlung von Biomasse in Kohlenstoff ohne Verbrennung, um damit Pyrolysegase und -öle herzustellen. Auch hierbei öffnen sich schier unzählige weitere Möglichkeiten. Die Wissenschaftlerin reißt kurz Themen wie die Eisenerzreduktion zur Eisenherstellung an oder den Einsatz von Mikrowellenerwärmung für Siliziumkarbid-Strukturen für die Halbleiterindustrie. „Man könnte auch Kunststoffabfälle karbonisieren und Wasserstoff damit herstellen“, sagt Vorhauer-Huget. Als ein weiteres Anwendungsthema der Zukunft sieht sie die Herstellung von Treibstoffen aus Bioabfällen, die bisher noch nicht sinnvoll genutzt würden. Sie sagt: „Wir stehen noch am Anfang, aber der ist wirklich vielversprechend.“
Wie vielversprechend, das zeigen die ersten Ergebnisse der aktuellen Mikrowellenforschung. So konnten die Magdeburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach drei Jahren intensiven Arbeitens erste Ergebnisse zur effizienten, umweltfreundlichen Trocknung von Ziegeln vorlegen, in Fachjournalen publizieren – und damit der Industrie präsentieren. Gegen Ende dieses Jahres wollen die Uni Magdeburg-Verfahrenstechnikerinnen und -techniker erste Ergebnisse zu den Forschungen am Hochtemperaturreaktor veröffentlichen.
Das Forschungsteam von Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget. (oben: M.Sc. Supriya Bhaskaran, Dr.-Ing. Nicole Vorhauer-Huget, M.Sc. Andrea Dernbecher, Jun.-Prof. Dr.-Ing. Alba Dieguez Alonso v.r.n.l. // unten: M.Sc. Lucas Briest, M.Sc. Juan Fuentes) (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Ihren Antrieb für solche Forschungen beschreibt die Wissenschaftlerin so: „Es ist vor allem die Neugierde, die mich immer weitermachen lässt. Ich werde beflügelt durch das Team, durch das interdisziplinäre Arbeiten und nicht zuletzt auch durch die Einbindung von Doktoranden und Studierenden, die sich im Rahmen der Forschungsgruppe selbst Themen erarbeiten können und neue Ideen befördern.“ Dazu komme, das Gefühl zu haben, „wirklich etwas zu bewegen“, sagt sie. Wenn man Menschen davon überzeugen könne, Forschungsergebnisse in den Prozess zu integrieren, sei das „der größte Erfolg.“ „Die Arbeit von Verfahrenstechnikerinnen und -technikern ist oft nicht so greifbar wie beispielsweise die der Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer oder Informatikerinnen und Informatiker, da sie sich industriellen Stoff- und Energieumwandlungsprozessen widmen, die im Inneren von Apparaten stattfinden“, sagt sie. „Aber, es wird unsere Aufgabe sein, die industriellen Prozesse in den nächsten 20 Jahren so zu verändern, dass die deutsche Industrie im Jahr 2050 CO2-neutral produzieren kann.“ Ein Anliegen sei ihr darum, den Nachwuchs in der Verfahrenstechnik zu fördern, der kontinuierlich vorantreiben müsse, wofür jetzt die Grundlagen gelegt werden. Die Erklärung dafür ist so einfach wie nachvollziehbar: „Wir wissen, wie Prozesse funktionieren. Darum können wir sie auch transformieren und verbessern.“
Guericke facts
- Mikrowellengeräte haben ein elektromagnetisches Wechselfeld, das sich 2,45 Milliarden Mal pro Sekunde dreht. Wassermoleküle in der Nahrung rotieren mit der gleichen Geschwindigkeit. So wird elektrische Energie in Wärmeenergie umgewandelt und unser Essen schnell warm.
- Mikrowellen dringen durch Plastik durch, so können wir Speisen in geschlossenen Behältern erwärmen. Von Metall werden sie reflektiert, weshalb das Fenster des Mikrowellenherds mit Drahtgitter durchzogen ist.
- Großindustrielle Produktionsverfahren verbrauchen bis zu 19 Prozent des deutschen Energiebedarfs allein für die Bereitstellung von Prozesswärme.