Was erwarten wohl die meisten Menschen, wenn sie das Wort Evolution hören? Wahrscheinlich nicht das, was Tobias Benecke darüber zu erzählen hat. Es geht nämlich nicht um die Entwicklungsgeschichte von Arten, sondern um Algorithmen. Denn wie in vielen anderen Bereichen der Wissenschaft, werden am Lehrstuhl für Computational Intelligence der Uni Magdeburg, Konzepte aus der Natur genutzt um den wissenschaftlichen Fortschritt voranzutreiben. Genauer gesagt, geht es bei der Forschung von Tobias Benecke um Evolutionäre Algorithmen, diese sind eine Klasse von Optimierungsverfahren und ihre Anwen-dungen sind zahlreich. Oftmals helfen sie dabei Probleme zu lösen, bei denen es eine so riesige Menge von möglichen Lösungen gibt, das selbst leistungsstarke Computer nicht jede einzelne berechnen können. Daher braucht es Verfahren, die effizienter nach guten Lösungen suchen. Doch es braucht einen besonderen Men-schen, um ein so abstraktes Thema verständlich zu machen.
Glücklicherweise bin ich auf genau so einen getroffen. Tobias Benecke, der bereits seinen Bachelor und Master an der Universität Magdeburg absolvierte, arbeitet nun an seiner Promotion, für die er 2021 sogar ein Stipendium erhalten hat. Im Rahmen seiner Promotion arbeitet er am Lehrstuhl für Computational Intelligence der Uni Magdeburg. Nun sind sich selbst die beharrlichsten Verfechter von Stift und Papier der stetig wachsenden Bedeutung von Artificial- und Computational Intelligence inzwischen bewusst. Doch mit den Vorgängen, die hinter diesen Buzzwords stecken, kennt sich bisher kaum jemand aus.
In der Forschung rund um künstliche Intelligenz geht es oftmals darum, biologische Ansätze zu verwenden, was bei Konzepten wie künstlichen neuronalen Netzen auch für den Laien naheliegend ist. Evolutionäre Algorithmen sind, wie der Name schon sagt, aber am Prinzip der Evolution orientiert. Wie in der Natur, arbeitet der Algorithmus mit Generationen. Der erste Schritt ist die Bildung einer Gruppe von möglichen Lösungen, der ersten Generation. Dann werden die einzelnen Lösungen nach ihrer Fitness selektiert und die erfolgversprechendsten Lösungen miteinander gekreuzt. Aber das ist noch nicht alles, sogar Mutationen werden in diesen Berechnungen simuliert. Wie viele Durchläufe von Generationen durchgeführt werden, kann vorher entschieden werden, am Ende hat man eine Auswahl potenzieller Lösungskandidaten, mit dem Erbgut der besonders fitten Lösungen.
Den Klimawandel gemeinsam lösen
Ein praktisches Beispiel dieser Wirkweise erklärt mir Tobias Benecke so: „Es gibt Probleme, für die man weder die optimale Lösung berechnen kann, noch jede Lösung einzeln überprüfen kann. Ich komme aus Wolfsburg, daher nehme ich als Beispiel immer das Auto: Man will das aerodynamischste, energiesparendste Modell. Die verschiedenen möglichen Teile sind, inspiriert durch die Biologie, durch Gene repräsentiert. Der Evolutionäre Algorithmus bildet jetzt über mehrere Generationen hinweg mögliche Lösungen aus diesen Genen, welche dann bewertet werden. Die Lösungen, die am besten bewertet werden, haben bessere Chancen ihre Gene zu vererben, während schlecht angepasste Lösungen, wie in der biologischen Evolution, am Ende aussterben."
Nachdem er bisher Forschung zum Thema Tracebility in Evolutionären Algorithmen betrieben hat, eröffnet sich jetzt die Möglichkeit, an einem praktischen Projekt mitzuwirken. Und hier wird mit klar, warum Tobias Benecke das Motto „Zusammen die Welt neu denken“ verkörpert. Während er mir von SmartProSys erzählt, ist seine Begeisterung förmlich spürbar. Und das nicht ohne Grund, denn die Exzellenz-Cluster-Initiative der Universität Magdeburg hat es in sich. Mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachrichtungen einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Chemieindustrie zu leisten, ist ein motivierender Faktor für Tobias. „Große Probleme können nicht von einer Fachrichtung allein gelöst werden. Und bei einer so gewaltigen Herausforderung, wie dem Klimawandel, müssen alle zusammenarbeiten“, so Tobias. Wie wichtig der Austausch für das gemeinsame vorankommen ist, das merkt er auch in seiner Freizeit, in der er Saxophon in der UniBigBand Magdeburg spielt. Genau wie in der Band alle Menschen aus den verschiedensten Bereichen miteinander harmonieren, aufeinander eingehen und am Ende etwas Neues schaffen, so ist es auch in der Forschung.
SmartProSys ist natürlich nur ein Schritt in die richtige Richtung, wie er mir erklärt. Das Ziel ist es, einen Wertschöpfungskreislauf zu entwickeln, in dem entstandene Abfallstoffe dem Kreislauf zurückgeführt und verwertet werden. Im Zentrum des Projekts stehen die Verfahrenstechnik und die Chemie, aber neben dem Informatiker sind auch noch andere Fachrichtungen beteiligt. Also, wie können wir auch in Zukunft die Welt zusammen neu denken? „Interdisziplinäre Kooperationen ermöglichen es uns, Probleme anzugehen, bei denen wir alleine machtlos sind. Selbst das beste Werkzeug hilft nur, wenn es auch an der richtigen Stelle eingesetzt wird“, meint der Informatiker abschließend.