Magdeburg ist nicht nur bekannt durch den Dom und die Elbe, sondern auch Otto-Stadt! Und das natürlich wegen all den Ottos, die die Stadt beeinflusst haben, also nicht nur Otto von Guericke, sondern auch wegen Otto dem Großen. Im Mai jährt sich zum 1050. Mal sein Todestag - ein Anlass ihm zu Gedenken und sein Leben zu feiern! Warum Otto eine so große Bedeutung für Magdeburg hat, was man über ihn wissen sollte und warum man sich auch 1000 Jahre nach seinem Tod noch mit dem Großen beschäftigen sollte, das erklärt Historiker Prof. Stephan Freund vom Lehrstuhl der Geschichte des Mittelalters im Interview.
Prof. Freund hat aktuell mit einem Kollegen eine neue Biografie zu Otto den Großen herausgegeben. (Foto: Hannah Theile / Uni Magdeburg)
Welche Bedeutung hatte Otto für Magdeburg?
Ohne Otto kein Magdeburg! In dieser Form ist das natürlich extrem zugespitzt, aber Otto ist durchaus der eigentliche Initiator des Aufstiegs Magdeburgs im Mittelalter. An keinem anderen Ort des mittelalterlichen Reichs hat er sich häufiger aufgehalten. Keinen anderen Ort hat er in ähnlicher Form beschenkt und ausgestattet. Schon 937, nur ein Jahr nach seiner Königserhebung hat er hier ein Kloster zu Ehren des heiligen Moritz gegründet. 968 erreichte er, dass Magdeburg Sitz eines Erzbischofs wurde. Magdeburg stand damit gleichrangig, neben Köln, Mainz, Trier, Salzburg und Hamburg-Bremen. Champions League halt!
Nach seinem Tod wollte Otto an der Seite seiner ersten Gemahlin Edgith († 946) im Magdeburger Dom beigesetzt werden. Sein Grab im Chor des gotischen Baus ist bis heute ein zentraler Erinnerungsort.
Was sind denn die wichtigsten Dinge, die man über Otto den Großen wissen muss?
Das hängt immer vom eigenen Standpunkt und Interesse ab. Einiges lässt sich bereits an seinen Lebens- und Herrschaftsdaten ablesen. Geboren 912, König ab 936, 955 Sieg über die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg, Kaiser seit 962 und gestorben am 7. Mai 973. Deshalb wird dieses Jahr der 1050. Wiederkehr dieses Ereignisses gedacht.
Mir persönlich wichtiger ist aber, dass Otto im Laufe seiner Herrschaft ‚gelernt‘ hat. Er verstand immer besser, dass er nur dann ein guter Herrscher ist, wenn er den Ausgleich mit den Großen seiner Zeit herstellt und auf Dauer bewahrt. Wichtig ist auch, dass er in vielen Gegenden Europas anerkannt war und Ansehen genoss. Und ganz wichtig ist natürlich, dass während seiner Herrschaft in Sachsen-Anhalt eine europaweit einzigartige Kloster- und Königslandschaft entstand, die unser Bundesland bis heute prägt.
Sie beschäftigten sich mit der „Ottonenforschung“ – was genau sind die Ottonen?
Unter den „Ottonen“ versteht man eine im mittelalterlichen Sachsen ansässige Adelsgruppierung, die nach den drei männlichen Leitnamen Liudolf, Heinrich und Otto als Liudolfinger, Heinriche oder Ottonen bezeichnet werden. Keine der Bezeichnungen ist zeitgenössisch. Diese Ottonen tauchen in der Mitte des 9. Jahrhunderts erstmals in den Quellen auf, gelangen mit Heinrich i. 919 erstmals auf den Königsthron und sterben mit Heinrich II. (1002–1024) in männlicher Linie aus. Sie stellten also über ein Jahrhundert die Könige des mittelalterlichen Reichs.
Woran forschen Sie im Moment konkret?
Gemeinsam mit meinem Team erforschen wir die Königspfalzen, also die königlichen Aufenthaltsorte, in Sachsen-Anhalt. Wir erhalten dafür eine Projektförderung seitens des Ministeriums für Wissenschaft, Umwelt und Digitalisierung des Landes. Bis 2029 wollen wir alle 38 Orte in einem interdisziplinären Handbuch umfassend dokumentiert haben – Das Repertorium der deutschen Königspfalzen, Band Sachsen-Anhalt.
Wie genau forschen Sie als Historiker? Gehen Sie auf Schatzsuche, wühlen sich durch alte Bibliotheken und schauen sich alte Gräber an?
Wir arbeiten mit schriftlichen Quellen aus der Zeit. Diese stehen seit dem 19. Jahrhundert in den allermeisten Fällen in gedruckter Form zur Verfügung. Wir arbeiten sehr stark interdisziplinär. Konkret kooperieren wir mit Archäologen. Dazu gehen wir auch ins Gelände und nehmen die jeweilige Topographie in den Blick. Und natürlich spielen auch die Gräber Ottos und Heinrichs (in Quedlinburg) als Erinnerungsorte dabei eine Rolle.
Sie haben eine neue Biografie Ottos des Großen verfasst, die soeben veröffentlicht wurde. Außerdem haben Sie an einem Tagungsband mitgearbeitet, der ebenfalls im April erschienen ist: Was genau fasziniert Sie so sehr an dieser historischen Persönlichkeit?
An Otto und seiner Zeit beeindruckt mich am meisten, wie er und seine Zeitgenossen es verstanden haben, unterschiedliche Kulturen neben- und miteinander existieren zu lassen. Gerade Magdeburg steht dafür exemplarisch. Hier war damals eine Kommunikations- und Kontaktzone zur slawischen Welt mit intensivem wechselseitigen Austausch. Davon können wir für die Gegenwart ebenso lernen wie vom pragmatischen und ausgesprochen ressourcenschonenden Umgang mit den zur Verfügung stehenden Materialien und Lebensmitteln. ‚Nachhaltigkeit‘ war damals keine Begrifflichkeit, sondern praktizierte Lebensweise.
Für die Tagung und den daraus hervorgegangenen Tagungsband konnten wir 18 Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien zu einem internationalen Kongress in Magdeburg versammeln. Uns ging es darum, neue Facetten von Ottos sprichwörtlich letzter Reise aufzuzeigen und vor allem zu erforschen, wie sich nach seinem Tod seine Wirkungsgeschichte entwickelte. Dieses Thema war bis dahin von der Forschung nur ganz am Rande einmal behandelt worden. Wir haben diese Rezeption nun in interdisziplinärem Zugriff vom 10. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart hinein verfolgt. Dabei kommen auch Phasen zur Sprache, in denen Otto beispielsweise von den Nationalsozialisten für deren völkisch-rassistische Politik missbraucht wurde.
Ich kann mir vorstellen, dass es schon sehr viele Biografien und Werke zu Otto gibt: Warum noch eine? Gibt es noch immer Dinge in der Forschung zu ihm, die ungeklärt sind?
Die von Matthias Puhle und mir gemeinsam verfasste Biografie ist die erste, bei der Zeitzeugnisse, insbesondere Kunstwerke und Schriftzeugnisse aus der Zeit Ottos, zu einer Gesamtschau verbunden und in die Darstellung integriert werden. Die über 100 Illustrationen allein sind ein absolutes Novum in einer Otto-Biografie. Wir bringen die Zeugnisse – auch dies ist neu – zum Sprechen. Diese Erläuterungen richten sich wie unser ganzes Werk an eine breitere Öffentlichkeit, reichen also über ein Fachpublikum weit hinaus. Das ist third mission in Reinkultur, aber auch eine Reaktion auf Publikumsinteressen, wurde ich doch seit ich an der OvGU bin, immer wieder nach so einem Werk gefragt.
Was die Forschungsfragen angeht, so gibt es hier nie einen Endpunkt. Jede neue Detailpublikation zu Otto wirft zugleich neue Fragen auf und jede Forschergeneration formuliert neue Fragen. Zwanzig Jahre nach der ersten großen Magdeburger Otto-Ausstellung und zwölf Jahre nach dem Erscheinen der letzten Otto-Biografie war ein neues Werk, zumal aus Ottos Lieblingsstadt und von dem zentralen Ort der Ottonenforschung der letzten beiden Jahrzehnte, einfach Gebot der Stunde.
Otto der Große ist seit über 1000 Jahren tot. Warum sollte man sich denn überhaupt noch heute mit dieser Person beschäftigen?
Dafür gibt es viele Gründe, denn ohne Wissen um unsere Herkunft könnten wir weder die Gegenwart angemessen beurteilen noch die Zukunft aktiv gestalten. Von Otto und seinem Umgang mit Problemen können wir auch heute noch lernen. Auch das Zusammenleben unterschiedlicher Kultur ist vorbildgebend. Und nicht zuletzt der von mir schon angesprochene ressourcenschonende Umgang mit der Umwelt wird sichtbar, wenn man sich heute mit Otto beschäftigt.
Wenn Otto heute leben würde, was für eine Persönlichkeit würde er wohl sein?
Vermutlich so wie ihn die Quellen schildern: ungestüm und mit dem Kopf durch die Wand wollend und sich dabei mehrmals eine blutige Nase holend in seinen frühen Jahren, dann allmählich hinzulernend und zu einem ausgleichenden Umgang mit seinen Geschwistern und den wichtigsten Entscheidungsträgern seiner Zeit findend und diese einbindend. Dadurch ist er schließlich zu einem wahren Souverän aufgestiegen, der in weiten Teilen Europas als Autorität angesehen wurde.
Und vielleicht zum Schluss noch ein Tipp für echte Otto-Fans und alle, die es werden wollen: Wo kann man denn in Magdeburg am besten auf seinen Spuren wandeln und am meisten über ihn erfahren?
Der Magdeburger Dom und sein Grab im Chorbereich ist so ein Ort. Der ganze Domplatz mit dem Elbufer ein weiterer. Und vor allem das Dommuseum Ottonianum. Dort kann man sich umfassend, aber auch kurzweilig und in einer hochmodernen Präsentation über ihn, seine Zeit und die Magdeburger Geschichte informieren. Bis zum 8. Oktober ist natürlich auch die Ausstellung im Kulturhistorischen Museum ein absolutes Muss: „Welche Taten werden Bilder? Otto der Große in der Erinnerung späterer Zeiten“.
Vielen Dank für das Gespräch!