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Hinweisschild neben der Tür einer genderneutralen Toilette (Foto: Hannah Theile / Uni Magdeburg)
16.11.2022 aus 
Campus + Stadt
Bin ich zu verklemmt?!

Anfang Juni stand auf der Tagesordnung unserer Teamberatung ein recht ungewöhnliches Thema: Es ging um die Toiletten in unserer Abteilung. Genauer gesagt darum, die binäre Aufteilung in Damen- und Herren-WCs zu ändern. Dazu hatten wir vom Gleichstellungsbüro neue Hinweisschilder bekommen, dass die Toiletten nun für alle Geschlechter zugänglich sind. Die Reaktionen im Team waren gemischt. Einigen war – wie auch mir – bei dem Gedanken, zukünftig auch mit männlichen Kollegen auf die Toilette zu gehen, etwas unbehaglich. Anderen war es egal. Einige setzten sich aktiv dafür ein. Und als ich den Argumenten der Fürsprechenden lauschte, dachte ich mir: „Gott, bin ich zu verklemmt?!“

Bereits als Kind lernen wir, dass wir entweder auf die Frauen- oder Männertoilette gehen. Und so machen wir das dann. Ein Leben lang. Weil das so ist. Doch was, wenn ich mich meinem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig fühle? Was, wenn es für mich kein entweder oder gibt, sondern ein dazwischen? Anna, Stella und Bolli wissen aus eigener Erfahrung, wie viele Herausforderungen die simple Einteilung in Frau und Mann mit sich bringt. Die drei arbeiten bzw. studieren an der OVGU. Alle drei sind Transgender, d.h. sie fühlen sich mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht wohl. Und darum auch nicht damit, auf die Toilette zu gehen, auf die sie laut gesellschaftlicher Gepflogenheiten gehen „müssten“. „Bevor ich mit meiner Transition angefangen habe, musste ich auf die Herrentoilette gehen. Angenehm war das nie, denn ich bin eine Frau. Darum habe ich immer solange ausgehalten, bis ich zu Hause war“, erinnert sich Anna. Bei einem achtstündigen Arbeitstag eine echte Bewährungsprobe für die wissenschaftliche Mitarbeiterin und ihre Blase. Eine genderneutrale Toilette hätte ihr den Alltag deutlich erleichtert.

Mittlerweile gibt es an der gesamten Uni nur in den Fakultätsgebäuden der Informatik und der Humanwissenschaft vier davon – von insgesamt 374 sanitären Einrichtungen. Bei rund 2.000 Mitarbeitenden und mehr als 13.000 Studierenden zu wenig, finden viele Studierende. Darum haben die queeren Gruppen OVGUPride, der QueerCampus der Uni und die AG Queer2 der Hochschule Magdeburg-Stendal einen offenen Brief verfasst. „Uns geht es gar nicht darum, dass alle WC´s genderneutral sind – ich kann gut verstehen, dass sich Menschen unwohl fühlen, wenn es so wäre. Ich fühle mich ja auch unwohl, wenn ich mich irgendwo rein zwängen muss, wo ich gar nicht rein passe“, erklärt Stella, dey* bei OVGUPride aktiv ist. Es geht ihnen pro Gebäude um zwei oder drei Toiletten für alle, die bereits eine wichtige Signalwirkung hätten. Sie würden sichtbar machen, dass es nicht nur männlich und weiblich gibt; und sie würden den Betroffenen beim Verrichten ihrer Notdurft nicht immer das Gefühl geben, dass sie nicht dazugehören, weil sie nicht in das binäre System passen.

Das Team der studentischen Initiative OVGUpride vor der uniporta mit Regenbogenfahnen (c) privat
Studierende der queeren Gruppen aus der Uni Magdeburg und Hochschule Magdeburg-Stendal setzen sich für mehr Gleichberechtigung ein. (Foto: privat)

So wie Bolli. Laut Geburtsurkunde sei Bolli ein Mann und geht darum – wie in Kindheitstagen gelernt – auf die Herrentoilette. Für alle anderen passt das. Für Bolli nicht. „Ich bin non-binary, also ich ordne mich nicht dem zweigeteilten Geschlechtersystem zu. Darum fühle ich mich schlecht, wenn ich auf diese Toilette gehen muss, weil es einfach die falsche ist“, erklärt mir Bolli. Bolli engagiert sich im Awareness-Referat der Fakultät für Informatik und dafür, dass mehr geschlechtsneutrale Toiletten an der Uni eingerichtet werden – aber eben nicht alle, denn „Toiletten sind auch ein Safe Space und das soll definitiv so bleiben. Am sinnvollsten ist es, einfach von allem genug zu haben und für alle Personengruppen eine passende Toilette zur Verfügung zu stellen.“

Da saß ich nun, hörte mir die Geschichten der Drei an und bemerkte, dass ich nicht verklemmt bin, nur weil ich weiterhin auf eine reine Frauentoilette gehen möchte. Ich fühle mich in dieser Komfortzone eben am wohlsten. Und genau diese Komfortzone sollte allen Menschen ermöglicht werden – mit dem simplen Anbringen von ein paar neuen Schildern in allen Gebäuden.

Kleine Änderungen mit großer Wirkung

Eine viel größere Herausforderung seien aber die strukturellen Benachteiligungen, die auf den ersten Blick gar nicht auffallen. Vor allem bei Verwaltungsprozessen – angefangen bei der Bewerbung oder Immatrikulation. „Nicht mal bei unseren Formularen schaffen wir es, diese sprachlich anzupassen; in den meisten ist nur die Rede von `Leiter der Einrichtung` oder `Dekan`. Und so ein Formular zu ändern ist ja eigentlich schnell gemacht“, erklärt mir Sandra Tiefel verständnislos. „Eine so kleine Änderung hat aber große Wirkung auf Rollenbilder. Wenn ich immer lese, dass es nur männliche Vorgesetzte gibt, dann komme ich vielleicht nicht auf die Idee, dass auch ich als Frau Vorgesetzte werden kann.“ Das sei aber kein Problem der Uni allein, sondern ein gesellschaftliches: Erfolg und Einfluss seien bei uns einfach männlich konnotiert. „In bestimmten Leitungspositionen erwarten wir Männer, und wir tragen das selbst in uns“, weiß die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte.

Die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte Sandra Tiefel auf dem Campus (c) Jana Dünnhaupt Uni MagdeburgAls ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Uni Magdeburg kennt Sandra Tiefel die Herausforderungen bei der Gendergerechtigkeit. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Ähnliche Erfahrungen haben auch Stella, Anna und Bolli gemacht. Bei Formularen haben sie oft nur die Wahl zwischen männlich oder weiblich. Eine andere Variante gibt es nicht. „Ich selber bin gerade in der Phase, in der ich diese Entscheidung erst für mich festige. Also sitze ich manchmal zehn Minuten vor einem einfachen Formular und weiß nicht, was ich ankreuzen soll“, gesteht mir Stella, dey sich als nicht-binär identifiziert. Auch für Transpersonen, die ihre rechtliche Transition noch nicht durchlaufen haben, bringen die bürokratischen Prozesse an der Uni viele Herausforderungen mit sich. So können sie bei der Anmeldung aktuell keinen selbstgewählten Namen angeben oder diesen später einfach ändern. „Das komplette System ist einfach nicht darauf ausgelegt, dass sich Namen oder gar Geschlechter in der Lebenszeit verändern“, weiß Anna noch zu gut. „Mir wurde damals erklärt, dass meine Daten im IT-System erst geändert werden können, wenn das Gerichtsurteil zur Namens- und Personenstandsänderung da ist; weil ansonsten wohl die Systeme zur Zahlung von Lohn und Sozialabgaben durcheinander kommen.“ Wie mir Sandra Tiefel verrät, soll sich zumindest das auch an der Uni demnächst ändern – die gesetzliche Grundlage dafür wurde durch den Bundestag gerade frisch auf den Weg gebracht. So soll es bald möglich sein, den neuen Namen schon zu verwenden, obwohl dieser noch nicht offiziell eingetragen ist. Für die Betroffenen eine große emotionale Erleichterung, denn während sie bereits mit dem neuen Geschlecht auftreten, müssen sie bisher noch mit dem alten Namen im Unialltag leben.

„Dem Gleichstellungsbüro geht es darum, dass das Geschlecht keine Rolle spielt“, betont Sandra Tiefel. „Dafür müssen wir die Wahrnehmung von geschlechtlicher Diskriminierung schärfen. Wir müssen dahin kommen, dass es uns nicht mehr auffällt, ob jemand männlich oder weiblich ist. Wir müssen auf individuellen Bedarf reagieren können; ohne jemanden vorher definieren zu müssen anhand seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder Religion. Wenn Menschen an unserer Uni Probleme haben, sollten wir diese gemeinsam mit ihnen lösen – ohne dabei Probleme für eine andere Gruppe von Menschen aufzumachen. Mit dem Einrichten einiger genderneutraler Toiletten könnten wir zeigen, wie einfach das geht.


*dey = ein mögliches Pronomen für Personen, die sich nicht-binär identifizieren

Autor:in: Ina Götze
Quelle: uni:report Sommersemester 2022
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