In Deutschland erkranken jährlich rund 500.000 Menschen an Krebs. Etwa die Hälfte von ihnen stirbt. Damit zählt Krebs zu den häufigsten Todesursachen. Der Chemiker Prof. Dr. Dieter Schinzer vom Chemischen Institut der Uni Magdeburg forscht mit seinem Team an einem Wirkstoff, der gezielt die Tumorzellen angreift. Vor dem Weltkrebstag am 4. Februar haben wir mit ihm darüber gesprochen, wie seine Forschungsgruppe im Reagenzglas Wirkstoffe gegen Krebs, vegane Impfstoffe oder ein Antibiotikum aus Bakterien herstellt.
Heute zu Gast
Gemeinsam mit seinem Team erschafft der Chemiker Prof. Dr. Dieter Schinzer „Moleküle nach Maß“. Sie bauen Stoffe nach, die bestimmte Organismen in der Natur erzeugen und verbessern diese biologisch so, dass sie für eine klinische Entwicklung genutzt werden können. Die Forschungsarbeit reicht dabei von Naturstoffen wie Disorazol, das zielgerichtet Tumorzellen angreift und in der Krebstherapie eingesetzt werden könnte, bis hin zur erstmals gelungenen Herstellung von pharmazeutischem Cholesterol, das ein wesentlicher Teil von mRNA-Impfstoffen ist. 2021 wurde Prof. Schinzer für seine Leistungen auf dem Gebiet der Medikamentenentwicklung mit dem „Forschungspreis der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg“ ausgezeichnet.
Der Podcast zum Nachlesen
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.
Ina Götze: Wenn ich an Chemielabore denke, sehe ich vor meinem inneren Auge ja, wie es mit Knall, Peng und Puff aus Reagenzgläsern raucht. Und in der Tat passieren in den Laboren unseres Gebäude 16 wirklich spektakuläre Dinge. Denn dort baut unser Chemiker Professor Schinzer mit seinem Team natürliche Moleküle nach. Im Reagenzglas entstehen so bessere Versionen dieser Moleküle und das sogar mit pharmazeutischer Wirkung. Was erst mal verhältnismäßig simpel klingt, ist aber wirklich über alle Maßen kompliziert. Und darum habe ich Professor Schinzer besucht, damit er mal erklärt, wie sein Team und er die Wirkstoffe gegen Krebs, vegane Impfstoffe oder ein Antibiotikum aus Bakterien herstellen. Ganz lieben Dank, dass ich hier sein darf.
Prof. Schinzer: Sehr gerne, ja.
Ina Götze: In Deutschland erkranken jährlich rund 500.000 Menschen an Krebs. Etwa die Hälfte stirbt daran sogar. Und das, obwohl es Therapiemöglichkeiten gibt. Sie haben jetzt mit Ihrem Team den Wirkstoff, Disorazol ... Habe ich das richtig ausgesprochen?
Prof. Schinzer: Genau, so ist es.
Ina Götze: Gott sei Dank. Sie haben diesen Stoff nachgebaut, und das könnte ein guter Kandidat sein für eine neue Krebstherapie. Was genau bewirkt er denn in unserem Körper?
Prof. Schinzer: Gut, die Wirkung ist eigentlich seit einigen Jahren bekannt. Es gibt sogar mittlerweile eine ganze Familie von Disorazolen, also über 20 sogenannte Naturstoffe. Also das nennt man Sekundärmetabolite. Das sind Substanzen, die von Bakterien hergestellt werden in der Natur. Und diese Substanz hat eine Wirkung, sozusagen, dass sie eingreift in den Zellzyklus. Das heißt, was ausgelöst wird durch diese Substanz, ist der sogenannte programmierte Zelltod. Das heißt, das nennt man auch Apoptose. Das bedeutet im Endeffekt, dass die Zelle abstirbt und sozusagen keine Vermehrung mehr stattfindet, was ja das große Problem ist, diese Proliferation sozusagen von sich schnell teilenden Zellen bei den ganzen Krebserkrankungen, was es ja so gefährlich macht dann über Metastasen und dergleichen im weiteren Verlauf der Krankheit. Das ist also eine Wirkung, die seit längerer Zeit bekannt ist. Das Spezielle bei den Disorazolen ist, dass die extrem aktiv sind. Das heißt, man benötigt nur wirklich kleinste Mengen, unsichtbare Mengen sind das wirklich, um diesen Zelltod auszulösen.
Ina Götze: Bisher konnte der Wirkstoff ja nicht für die Therapie eingesetzt werden. Warum? Und was haben Sie jetzt daran verändert?
Prof. Schinzer: Genau das konnte bisher nicht eingesetzt werden. Das gilt für eine ganze Gruppe von Substanzen, eigentlich nicht nur für diese sogenannten Disorazole, sondern für eine Vielzahl anderer Wirkstoffe, sogenannter Zytostatika. Es ist so, dass die Disorazole derartig aktiv sind, derartig biologisch aktiv, dass sie eigentlich für den direkten Therapieansatz quasi zu toxisch sind, weil diese Reaktionen auch normalerweise nicht selektiv ablaufen und daher so eine Therapie, wenn man es direkt einsetzen würde, durchaus gefährlich wäre aufgrund der sehr hohen Zytotoxizität. Das heißt, was man macht ist, man stellt sogenannte Konjugate her. Das heißt, man nimmt diese sehr aktive Substanz und koppelt die an ein Protein und zusätzlich noch, das nennt man ein Linker, welcher zwischen Protein und Wirkstoff platziert wird. Und das klingt jetzt relativ komplex...
Ina Götze: Ich glaube das ist einfach auch sehr komplex. (lacht)
Prof. Schinzer: Man kann sich es aber gut veranschaulichen. Es ist ähnlich im Prinzip wie eine Reaktion, wenn man so will, wie die auch bei Impfstoffen so etwa abläuft. Das sind immer so Protein-Protein-Wechselwirkungen. Das heißt, man bringt eine höhere Selektivität in mögliche Therapien. Das heißt, es werden nicht quasi mit dem Holzhammer alle Zellen erschlagen, die sich schnell teilen, sondern selektiv nur nach Möglichkeit die Tumorzellen. Und das macht man mit sogenannten Antikörpern.
Das heißt, Antikörper erkennen letztlich über eine Protein-Protein-Wechselwirkung andere Eiweiße, Proteine, am Tumor und es wird so gemacht, dass diese Wirkstoffe, in unserem Fall Disorazole, die werden über einen Linker, das ist einfach so eine Mimik, um diesen Wirkstoff an ein Protein anzudocken, über eine Infusion verabreicht, wenn es denn zugelassen ist. Wir sind natürlich nicht in diesem Stadion jetzt, aber so ist das Konzept all dieser Substanzen, die so toxisch sind. Das wird dann infundiert, quasi über eine Infusion und es muss gewährleistet sein, dass im Blutstrom diese Aktivität quasi nicht zu Tage tritt. Das ist nicht toxisch, solange das zirkuliert im Blutstrom und über eine Protein-Protein-Wechselwirkungen, das ist dann Antikörper-Antigen, wird die Tumorzellen erkannt. Das heißt, dieser Antikörper mit diesem Konjugat von Linker und Wirkstoff dockt dann an die Tumorzellen an. Und dann nutzt man ein weiteres Phänomen zum Beispiel aus, was bei vielen Krebszellen typisch ist, das pH-Gefälle, die sind in der Regel etwas saurer. Und diese Linker, die sind dann so konstruiert, dass am Tumor selbst sozusagen dieses Konjugat zerfällt und dieser Wirkstoff freigesetzt wird. Und die Aktivität dieser Substanzen ist tatsächlich so hoch, dass sie pro Zelle tatsächlich nur so ein paar Moleküle brauchen. Das ist genial. Das ist also ein ganz modernes Konzept in der Krebstherapie, wo es auch diverse Beispiele schon gibt, die auf dem Markt sind. Natürlich sind wir nicht so weit, sondern wir sind momentan gerade dabei, diese Konstrukte sozusagen zu erzeugen über Kooperationspartner.
Ina Götze: Sie sagen den Wirkstoff... Also es ist ein bisschen... normalerweise ist der Wirkstoff mit dem Vorschlaghammer, wie Sie gesagt haben: Ich hau überall drauf, was sich bewegt. Und Sie sagen dem Wirkstoff oder nutzen bestimmte Eigenschaften aus und zeigen ihm den Weg, wo er wirklich draufhauen soll. Bisschen wie beim Bullen mit dem roten Tuch.
Prof. Schinzer: Genau, der Wirkstoff ist sozusagen nicht in Funktion, wenn er angedockt ist an dieses Konstrukt. Das zirkuliert im Blutstrom, hat keine Wirkung im Idealfall. Und trotzdem ist dieser Antikörper in der Lage, sozusagen die Tumorzelle zu finden. Und dann, wie ich schon sagte, wird eine bestimmte Eigenschaft in der Tumorzelle ausgenutzt, um dieses Konstrukt wieder zu zerstören und dann ist der Wirkstoff genau da, wo er gebraucht wird.
Ina Götze: Sie haben ja selber schon gesagt, Sie sind ja nicht die einzigen, die daran forschen. Es gibt auch andere Wissenschaftler:innen, die das bereits im Labor sozusagen nachbauen. Wo liegt denn der Unterschied zu Ihrem Verfahren?
Prof. Schinzer: Wir sind eigentlich bekannt dafür und das geht eigentlich durch die ganze Zeit, wo ich mich mit solchen Substanzen beschäftigt habe. Wir sind bekannt dafür, dass wir immer Synthesen entwickeln, die im Prinzip, wie man sagt, upscale-fähig sind. Das heißt, wir sind in der Lage, größere Mengen herzustellen, speziell bei diesem, Disorazol, worüber wir gerade diskutieren, ist es so, dass es da einen natürlichen Prozess gibt. Ich hatte ja gesagt, es sind sogenannte Sekundärmetabolite von Bakterien, das heißt, es gibt Bakterien, die das herstellen in der Natur. Allerdings ist das nur ein absolutes Nebenprodukt dieser sogenannten Fermentation. Das wäre ja eine biotechnologische Gewinnung, was sozusagen immer in Konkurrenzverfahren zur chemischen Synthese ist. In diesem Fall ist dieses Disorazol ein wirkliches Nebenprodukt dieser Fermentation. Es können nur sehr geringe Mengen über diesen natürlichen biologischen Prozess erzeugt werden. Daher ist eine effiziente Synthese sehr bedeutsam. Speziell bei dieser Substanz und uns ist es gelungen, über Reaktionsschritte, die sehr robust sind, mit sehr hohen chemischen Ausbeuten, die ablaufen, größere Mengen dieser Substanz herzustellen, um eben solche Studien letztlich durchführen zu können. Und das ist der Vorteil gegenüber den anderen Synthesen, die bisher publiziert waren. Es sind doch nur extrem geringe Mengen, die dort erzeugt werden konnten.
Ina Götze: Bei 500.000 Erkrankten jährlich ist also eine größere Menge auch wirklich sehr, sehr hilfreich. Wie bauen Sie denn die Moleküle überhaupt nach? Ist das so ein bisschen wie Legobaukasten oder eher wie so ein Kochrezept, ein bisschen hiervon und eine Prise davon? (lacht) Oder wie fangen Sie an, Moleküle nachzuahmen?
Prof. Schinzer: Von jedem etwas vielleicht. Das ist in der Tat so eine Art Baukastensystem, so nennen wir das auch. Man geht normalerweise so vor, dass man eine sogenannte Retrosynthese macht, das heißt, man zäumt das Ganze rückwärts quasi auf. Wir kennen ja die Struktur. Ja, das sind alles immer hochinterdisziplinäre Projekte. Das heißt, man arbeitet mit Biotechnologen, Biologen, Medizinern und so etwas zusammen, wo jeder sozusagen seinen Teilbereich abdeckt in solchen komplexen Projekten. Und die Strukturen bekommen wir sozusagen geliefert, in dem Fall vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, HZI. Dort sind also Arbeitskreise, die Know-how haben, was Fermentation und dergleichen angeht, Strukturaufklärung und Auffinden von neuen interessanten Naturstoffen und Strukturtypen. Wir bekommen also die dreidimensionale Struktur. Wir analysieren diese Struktur und machen eine sogenannte Retrosynthese, das heißt, wir zerlegen dieses komplexe Molekül rückwärts in einfachere Bestandteile. Und das können wir, wenn es ideal läuft, soweit zurück sozusagen zerlegen, dass diese Substanzen, diese sogenannten Edukte sogar kommerziell erhältlich sind.
Die eigentliche Herausforderung ist dann, wenn man einmal eine Strategie hat, das in der Vorwärtsrichtung wieder zusammenzusetzen. Da diese Moleküle so komplex sind und auch mit unserem Know-how und Wissen und auch mit dem Lehrbuch- und Literaturwissen, gibt es immer wieder Hürden, die man nicht so absehen kann. Man sagt, das sind multifunktionelle Moleküle. Das heißt, das Geschehen ist sehr komplex und man braucht sehr viel Know-how, sehr viel Stehvermögen im Labor, um das letztlich in der Vorwärtsrichtung umzusetzen.
Natürlich läuft es nicht immer so glatt, wie man es am Ende beschreibt, sondern es gibt eine ganze Menge Frustrationen und Probleme, logischerweise auf dem Weg dahin. Aber gut, mit dem entsprechenden langen Atem, mit dem Know-how und der entsprechenden Durchsetzungskraft aller Beteiligten (lacht) und es kostet auch sehr viel Geld. Das muss man auch sagen. Man benötigt eine ganze Menge an Infrastruktur von komplexer Analytik bis Chemikalien. Aber es gibt oft auch Wege, die dann ein sogenanntes Dead End ergeben. Das heißt, sie kommen da nicht weiter und müssen die Strategie einfach ändern, weil man bestimmte Dinge nicht überschauen konnte aufgrund der Komplexität. Es ist also ein hartes Geschäft, aber...
Ina Götze: ...am Ende lohnt es sich.
Prof. Schinzer: Am Ende lohnt es sich auf jeden Fall.
Ina Götze: Sie beschreiben es ja selber, dass die Herstellung solcher Moleküle eher ein Marathonlauf tatsächlich ist. Wie lange braucht es denn, bis die Stoffe dann auch massentauglich sind und in die Großproduktion gehen können?
Prof. Schinzer: Gut, das ist dann wieder eine andere Schiene. Worum es uns zunächst mal geht ist, solche Moleküle, wenn es ganz toll läuft, erstmals weltweit zu synthetisieren. Gut, das klappt nicht immer, weil logischerweise die weltweite Konkurrenz sehr groß ist. Gibt speziell in Nordamerika sehr viel Top-Arbeitskreise und natürlich auch in Europa, die sich mit solchen Fragestellungen beschäftigen, die auch teilweise eine sehr große Infrastruktur haben, also an sehr großen Universitäten wie an der Westküste und an der Ostküste, eben die Topplätze. Dort sind jede Menge Arbeitsgruppen aktiv auf diesem Gebiet. Das heißt, es geht zunächst mal darum, diese Synthese überhaupt in den Griff zu bekommen, dass man einmal weiß, wie es strategisch geht, um es dann sozusagen tauglich zu machen für diesen sogenannten „upscale“, also dass man in der Lage ist, im Zweifelsfall Kilogramm-Mengen, die ja im Prinzip, wenn so etwas auf dem Markt wäre, obwohl es sehr aktiv ist, benötigt werden. Das ist dann eine andere Geschichte. Da brauchen sie weitere Kooperationspartner, die in der Regel aus der pharmazeutischen Industrie kommen, weil das auch dann finanziell und apparatetechnisch beides eigentlich unseren Rahmen sprengt. Aber wir sind bisher immer ganz gut gefahren, dass unsere Synthesen, obwohl sie ja nicht nur für den kleinsten Maßstab gedacht waren, äußerst gut eigentlich in sogenannten Pilotplans, so ein upscale, ohne große Modifikationen, realisiert werden konnten. Das ist also ein sehr großer Vorteil. Wir haben Fälle schon gehabt, wo sozusagen vom Milligramm direkt auf eine Kilomenge gegangen wurde, ohne irgendwie groß etwas zu ändern an der Synthese. Aber da wird häufig gefeilt, sozusagen. Das sind dann die Pharmaentwicklungen, das sind ganz andere Abteilungen. Da sind Spezialisten, die sich damit beschäftigen, eben Synthesen teilweise noch ziemlich stark umzustellen, um sie tauglich zu machen, quasi für größere Mengen. Aber das ist dann ein Projekt, was zumindest nicht mehr federführend in unserer Hand ist, sondern dann über Industriepartner weiterverfolgt wird.
Ina Götze: Was motiviert Sie denn auch die letzten zwei Kilometer noch durchzuhalten, auch wenn Sie schon Blasen an den Füßen haben?
Prof. Schinzer: Gute Frage. Aber gut, das ist... Es ist tatsächlich so, dass ein enormer Ansporn da ist. Gerade haben wir den Fall ja bei der Synthese, die hoffentlich in Kürze fertig wird. Es geht um die weltweite Erstsynthese. Das motiviert die Leute schon unheimlich. Es stecken ja in der Regel Doktoranden, hochmotivierte Doktoranden, dahinter. Das ist natürlich auch vorteilhaft für die weitere Karriere der Mitarbeiter, an so einem Topprojekt zu arbeiten und das auch fertigzustellen, weil es doch eine starke Wirkung hat. Man kann das sehr gut publizieren in Topjournalen. Es wird in der Regel alles patentiert, auch was wir machen, weil wir immer im Auge haben: Diese Option ist pharmazeutisch anzuwenden und logischerweise ist grundsätzlich von Bedeutung diese Verfahren und Prozesse auch zu patentieren, um sie nachher über Kooperationen mit der pharmazeutischen Industrie weiterzuentwickeln. Das heißt, da ist schon so eine Eigendynamik, speziell in der Endphase solcher Projekte. Das war bei allen Projekten, die letztlich so, wie wir sagen, so heiß sind, wie diese Disorazole oder jetzt die anderen Sachen, die wir gemacht haben. Dass es eigentlich egal ist, wenn ich im Labor anrufe, ob das Samstagabend um 23:00 Uhr ist oder Sonntagabend um 23:00 Uhr. Die Telefone werden abgenommen (lacht), weil die Leute bemüht sind, diese Synthese irgendwie so schnell es geht durchzuziehen und da in die Zielgerade zu kommen. Es ist eben auch ein ganz tolles Gefühl, wenn man so eine komplexe Substanz erstmals erzeugt. Wir waren schon mal vor langer Zeit in ein sehr wichtiges Projekt weltweit integriert, wo es ein regelrechtes Wettrennen gab, nachher mit verschiedenen Arbeitsgruppen um den Erdball herum. Und es wurde auch entsprechend ausgeschlachtet, publikationsmäßig und patentmäßig. Das war schon hochinteressant und für alle Beteiligten auch ein super Erlebnis, bei allem Stress, der dazugehört.
Ina Götze: Man kennt das ja auch selber, wenn man vielleicht so für sich, um sich fit zu halten joggen geht oder ob man zum Beispiel an der Firmenstaffel teilnimmt. Wenn dann vor einem jemand läuft, dann läuft man automatisch schneller und man ist viel motivierter.
Prof. Schinzer: Genau das ist ein enormer Ansporn, wenn man weiß, dass irgendeine Gruppe am Scrips-Institut oder so einem im Nacken sitzt, um unter Umständen da noch eine gute Figur abzugeben. Gut damals hatten wir den Platz drei gemacht gegen zwei absolute Topgruppen aus den USA, aber es war schon... Es ist sehr ähnlich momentan wieder die Lage jetzt, es schaukelt sich einfach so hoch.
Ina Götze: Wie steht es denn momentan um ihr Disorazol? Ist das jetzt gerade in der Testung oder wie ist der Stand?
Prof. Schinzer: Nein, die biologische Testung, das ist eigentlich schon klar. Das war vorher schon als isolierter Naturstoff klar, dass diese Substanz wirklich super aktiv ist. Viel zu aktiv für einen direkten Einsatz, was ich anfangs schon erläutert habe. Und viele Leute sagen ja, es gibt so eine Art Renaissance aktuell für sehr viele hochzitotoxische Verbindungen, die man in früheren Jahren nicht entwickelt hat, weil sie eben zu aktiv, zu reaktiv waren und über diese neue Konzeption, die ich anfangs erläuterte, über Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, gibt es jetzt eine ... eben diese Renaissance, diese Substanzen nutzbar zu machen in selektiven Tumortherapien. Momentan sind wir dabei... Wir haben gerade ein Landesprojekt gestartet und kriegen hoffentlich in Kürze ein weiteres dazu. Ich habe gerade ein neues Thema einer Doktorarbeit ausgegeben, wo wir gerade dabei sind, jetzt diese Linker zu konstruieren, die ich auch erläuterte, um da sozusagen Antikörper anzudocken. Das ist momentan der Stand. Wir können den Naturstoff in vernünftigen Mengen erzeugen und auch Derivate. Wir haben auch Testprogramme mit dem HZI laufen aktuell, wo wir Derivate quasi screenen, was die Aktivität angeht. All diese Substanzen sind wir jetzt dabei, an diese sogenannten Linker zu verknüpfen. Und dann haben wir Kooperationspartner. Das sind dann größere Firmen, die eben dieses ganze Protein-Know-how haben, was wir nicht haben, und die dann in Kooperation mit uns das Ganze an Antikörper andocken und dann wird dann getestet. Funktioniert diese Wirkung, dann geht man in die sogenannte Präklinik, also das heißt in Tierversuche.
Das sind Sachen, die vielleicht jetzt am Horizont sind, die in absehbarer Zeit gemacht werden könnten. Alles weitere ist Zukunftsmusik. Sie wissen vielleicht auch, dass Pharmaentwicklungen heutzutage mindestens zehn Jahre dauern. Ich meine die Impfstoffe, das war sicherlich die große Ausnahme, eben aufgrund der weltweiten Bedeutung, aber in der Regel, eine Pharmaentwicklung dauert mindestens zehn Jahre, ja 15 Jahre, und verschlingt, man sagt heutzutage anderthalb bis zwei Milliarden. Die Währung spielt keine Rolle, ob Euro oder Dollar. Das ist eine enorme Größenordnung. Und da können Sie schon absehen, dass natürlich eine Universität in dieser Liga keinesfalls, auch nicht spielen sollte. Was ich gut finde an Universitäten, ein sehr guter Mix aus Grundlagenforschung und eben angewandter Forschung und Kooperationen sind eben sehr wichtig in diesem Gebiet, sonst kann man quasi keinen Blumentopf gewinnen. Das heißt, es wird sich noch Jahre hinziehen, aber wir sind da sehr optimistisch, weil die, ich sag mal, vom ganzen Bild vom biologischen Profil, was man mit der Substanz machen kann, wie sie wirkt, ist es ein typischer Kandidat für diese neue Konzeption.
Ina Götze: Sie haben es ja jetzt eben schon angesprochen, dass Sie auch viel mit Unternehmen zusammenarbeiten. Was ist denn für Sie der Vorteil, mit der Wirtschaft an gesellschaftlichen Problemen zu arbeiten?
Prof. Schinzer: Gut, das ist immer eine heikle Frage. Klar, man braucht diese Kooperationen. Diese Kooperationen sind aber für alle Beteiligten sehr wichtig. Unsere Funktion ist ja auch eine Ausbildungsfunktion, natürlich an der Universität, indem wir Leute zur Promotion führen oder zum Master, zu anderen Abschlüssen. Das sind ja berufs-, sogenannte berufsqualifizierende Abschlüsse. Das heißt, sie brauchen letztlich Kooperationen mit pharmazeutischen Unternehmen, was ja auch sehr hilfreich ist. Wenn die Mitarbeiter später Jobs suchen, zahlt es sich mit Sicherheit aus, wenn sie bekannt sind in den entsprechenden Unternehmen, was erfolgreiche Kooperationen angeht. Und das ist ja nicht unwichtig.
Zum anderen ist es auch so, dass speziell die Forschungs- und Entwicklungsabteilung, der pharmazeutischen und chemischen Unternehmen ein enormes Know-how besitzen. Gerade in diesen Weiterentwicklungen, sodass dass das für alle Beteiligten sehr sinnvoll ist. Und klar es bessert logischerweise auch unsere Kasse auf. Es geht immer um Geld und solche Industrieforschungsprojekte sind natürlich auch lukrativ, damit wir das entsprechende Geld einspielen. Neben eben Förderungen, die natürlich auch extrem wichtig sind, über andere Institutionen wie BMBF oder DFG, die Standard-Institutionen. Also die Forschung, die wir betreiben, ist immer irgendwie zweigleisig. Es gibt Aspekte der Grundlagenforschung, es gibt einen sehr hohen Anwendungscharakter generell dabei und man wächst eben in diese Funktion auch herein. Ich bin letztlich in einem Umfeld, wenn man so sagen kann, groß geworden an der Universität, wo ich vorher war, in den Stationen, wo die Leute immer sehr enge Beziehungen in diese entsprechende Industrie hatten. Und dann wächst man eben da rein. Wenn man sich dann in diesen Bereichen, wenn man da promoviert oder habilitiert, wächst man automatisch da rein und es ergibt sich sozusagen von selbst.
Ina Götze: Kommen die Unternehmen dann auf Sie zu, weil sie bestimmte Herausforderungen haben und Ihre Unterstützung brauchen, oder setzen Sie die Forschungsschwerpunkte?
Prof. Schinzer: Die Unternehmen kommen eigentlich aufgrund der Dinge, die wir machen, die einmal publiziert werden. Gut wir patentieren auch viel. Ich bin eben auch aktiv als Berater, sozusagen in der pharmazeutischen Industrie und daher weiß ich auch, was dort an Projekten bewegt wird. Und das ergibt sich meistens aus solchen zunächst theoretischen Überlegungen, aus Beratungssachen und gut, wir sind ... klar, es ist hochinterdisziplinär, habe ich schon ein paar Mal gesagt. Wir haben immer verschiedene Partner. Wir haben Zugang zu sehr neuen Strukturen, die eine interessante Biologie sozusagen besitzen. Und das ergibt sich zwangsläufig dann, dass ein industrielles Interesse auch daraus entsteht.
Ina Götze: Einen weiteren Wirkstoff, den Sie mit Ihrem Team entwickelt haben, ist pflanzliches Cholesterol. Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil für die Produktion von mRNA-Impfstoffen. Ist dieser bereits im Einsatz? Also könnte es sein, dass ich den vielleicht schon verabreicht bekommen habe?
Prof. Schinzer: Gut, das könnte durchaus sein, dass sie das in einer Impfung verabreicht bekommen in kleiner Menge natürlich nur. Wir reden hier ja auch über sehr geringe Mengen, sehr aktive Substanzen. Ja, das ist in der Tat ein extrem erfolgreiches Projekt, was wir bearbeitet haben. Wir haben eigentlich diese Synthese im Prinzip vor einem Jahr, so exakt kann man fast sagen, abgeschlossen. Ein Jahr zurück und ein typisches Projekt wo wir eine Laborsynthese, extrem kurzer Zugang, entwickelt haben, der in kürzester Zeit auch über unseren Partner Cordon Pharma tatsächlich in den industriellen Maßstab gebracht wurde. In weniger als einem Jahr, weil es die industrielle Produktion hat eigentlich jetzt begonnen, und das wird in Riesenmengen synthetisiert in einem Vierstufenprozess, den wir entwickelt haben. Der Hintergrund war, dass dieses hochreine sogenannte pharmazeutische Cholesterol in großen Mengen weltweit dringend benötigt wird, das ist dieses sogenannte GMP: Good Manufacturing Practice Cholesterol. Das GMP bedeutet, das sind bestimmte Syntheseoperationen, wo Substanzen im humanen Bereich, also direkt an den Menschen gebracht werden können. Das heißt, wir reden da über sogenannte validierte Prozesse, die ihn in höchster Reinheit ablaufen müssen. Das heißt, die Synthesen müssen wahnsinnig gut optimiert sein.
Die bisherigen Quellen für pharmazeutisches Cholesterol waren eher tierische Quellen für dieses industrielle Cholesterol. Man hat es gemacht aus Extraktion, aus Schafwolle, beziehungsweise, noch unappetitlicher, Schreddern von Rinderrückgraten. Und das hat ein gewisses Restrisiko, sagen wir mal, vor zehn Jahren war ja diese große Debatte mit diesen Prionenerkrankungen wie BSE oder Kreuzfeld-Jakob. Das Risiko ist zumindest null. Es ist ein extrem geringes Risiko, dass dort Verunreinigungen drin sein könnten, was diese Prionenerkrankungen angeht. Das sind ja neurologische, gefährliche Krankheiten. Wir haben jetzt ein sogenanntes pflanzenbasiertes Cholesterol synthetisiert. Das heißt, der Rohstoff ist rein pflanzlicher Natur, ist vom Prozess her wirklich äußerst gut, ist ein nachwachsender Rohstoff, der weltweit in Plantagen in den Tropen angebaut werden kann, der dort nachwächst und kann sozusagen geerntet werden, aufbereitet werden für die Synthese, man nennt das eine Semisynthese. Wir gehen also aus von einem Naturstoff, hängen vier chemische Syntheseschritte an und landen wieder bei einem Naturstoff, bei Cholesterol, pflanzlicher Natur, jetzt als Rohstoff. Das heißt, wir können zu 100 Prozent ausschließen, die Wahrscheinlichkeit ist null, dass wir mit diesen Prionen irgendetwas zu tun haben. Insofern ist dieses Argument im Grunde korrekt, dass man sagt, die Impfstoffe sind dadurch noch sicherer, da jetzt dieser Zusatzstoff eben auch aus Pflanzen hergestellt wird. Das heißt, das ist ein integraler Bestandteil dieser modernen mRNA-Impfstoffe, die ja weltweit verimpft werden, wie wir alle wissen, um die Pandemie zu bekämpfen.
Und der eigentliche Engpass bei den Impfstoffen war eigentlich nicht der Wirkstoff selbst, also dieses mRNA-Fragment. Ich will nicht sagen, dass man das einfach herstellen kann, man kann das aber in mehr oder weniger beliebigen großen Mengen erzeugen. Der eigentliche Engpass waren diese sogenannten Lipide, die dort verwendet werden, um sozusagen... man nennt das die Formulierung, um diesen Wirkstoff sozusagen in den Körper zu bringen und in die Zelle rein zu transferieren, ohne dass er vorher eben abgebaut wird. Das heißt, man hat vorher eine ganze Menge Versuche gemacht, mit mRNA in Tiermodellen ist das gemacht worden. Wenn sie das direkt injizieren, ist es komplett wirkungslos, weil es sofort über unsere Abwehrsystemeenzyme abgebaut wird, geschreddert quasi. Die Lipide sind praktisch der Schutzmantel. Das wird ja injiziert, sozusagen in Muskelzellen. Diese sogenannten LMPS, also diese Nanopartikel, die Lipid-Nanopartikel, die ummanteln das mRNA-Fragment, schützen es und erlauben den Transfer zur Zelle und ermöglichen gleichzeitig noch im Zusammenspiel mit Cholesterol die Freisetzung, also nach Passage der Membran, die Freisetzung im Zytosol. Im Zytosol wird das mRNA-Fragment freigesetzt. Auch da ist die Halbwertszeit recht kurz. Aber dann läuft ja das ab, was ablaufen soll. Dieses mRNA-Fragment geht zum Ribosomen, das heißt zu unserer zellinternen Proteinfabrik. Und das nennt man Translation. Wird sozusagen umgebaut in dieses Spyke-Protein, was ja ein wichtiger Erkennungsteil der Viren ist, wo es dann auch eine Antigenreaktion, was ich vorhin schon erwähnt habe, also eine gewisse Verwandtschaft auch mit diesen anderen modernen therapeutischen Konzepten, das sind immer Protein-Protein-Wechselwirkungen, dieses Fragment, was dann umgesetzt wurde zu diesem Spyke-Protein, wird dann als Fremdkörper erkannt, dann gibt es eine Antigen-Reaktion. Schließlich wird das so verkapselt zu Antikörpern und dann ist ja da das ist der Aufbau dieses Schutzmechanismus, sozusagen der Impfeffekt.
Ina Götze: Das ist aber schön zu hören, dass dieser Schutz-Effekt jetzt noch sicherer und vegan ist.
Prof. Schinzer: Der Begriff vegan, genau das ist jetzt in der Presse häufiger erschienen. Der kommt eigentlich nicht von uns, weil ich mit vegan eigentlich eher vielleicht Lebensmittel assoziiere. Aber wenn vegan bedeutet, dass das rein pflanzlich ist, ist das korrekt. (lacht)
Ina Götze: Gibt es ja auch in Naturkosmetik zum Beispiel, die vegan sind. Sie arbeiten auch viel mit anderen Fachbereichen zusammen, zum Beispiel in dem Fall sicherlich auch mit unserer Medizin. Wie bereichert denn das Ihre eigene Arbeit?
Prof. Schinzer: Gut, das ist sehr bereichernd. Das ist Teil dieser hohen Interdisziplinarität, die ich schon mehrfach erwähnt habe, weil wir natürlich nur ein bestimmtes Know-how besitzen. Wir können recht komplexe Moleküle herstellen im Labor. Und meine Philosophie ist immer, dass das also... oder: Ich suche Moleküle in der Regel aus nach dem Kriterium zum einen, interessante Strukturen, was mich als Chemiker fasziniert und zum anderen auch vom biologischen Profil, quasi, was immer sehr wichtig ist, eine biologische Wirkung dahinter. Und das ist dann meistens auch gekoppelt an Krankheitsindikationen, was dann auch immer relevant ist. Also das ist so die Kombination. Was natürlich auch eine Bedeutung hat, wenn sie in dieser Arena sozusagen tätig sind, dann können sie auch deutlich einfacher Geldquellen erschließen, logischerweise. Das sollte man auch nicht völlig negieren. Das ist ja nicht unwichtig. Ohne Geld können sie letztlich gar nichts machen, auch wenn Sie die besten Ideen haben. Die Infrastruktur ist natürlich sehr teuer. Insofern sind all diese Faktoren sehr bedeutsam, um solche komplexen Projekte am Laufen zu haben. Und Kooperationen mit der Medizin. Klar, es gibt eine ganze Menge Gruppen. Wir kooperieren unter anderem mit Herrn Naumann hier aus der Medizin, der sich für bestimmte therapeutische Konzepte interessiert, mit bestimmten Konjugaten, auch was Wirkstoffe angeht. Und da bringen wir eben auch unser Know-how ein, um Substanzen zu synthetisieren, die durch ihn getestet werden. Also dieser ganze biologische Teil fehlt uns sozusagen. Das sind wir immer auf Kooperationspartner angewiesen, weil wir sind nicht in der Lage, diese ganzen komplexen Testsysteme aufrechtzuerhalten. Da haben wir kein Know-how dazu und das machen die Profis dann eben.
Ina Götze: Ihr neuester Erfolg ist ja die Herstellung eines Antibiotikums aus Bakterien. Was genau können wir uns darunter vorstellen? Und was ist der Unterschied zu normalem Antibiotikum?
Prof. Schinzer: Ja, das ist immer die Frage. Normales Antibiotikum, das ist also, dieses kommt auch aus Bakterien interessanterweise, und das zeigt die hohe Produktivität dieser sogenannten Mykobakterien. Auch die Disorazole kommen aus Mykobakterien und die Mykobakterien haben ein derartig breites Spektrum an aktiven Substanzen, welches, aus welchen Gründen auch immer diese Bakterien erzeugen. Ist in vielen Fällen nicht bekannt, warum diese Bakterien das tun. Die produzieren auch diese sogenannten Sorangizine. Das sind jetzt antibiotisch wirksame Naturstoffe, noch deutlich komplexer von der Struktur her, also noch eine größere Herausforderung als die Disorazole, wirklich extrem komplexe Moleküle. Das Neue bei diesem Typ von Antibiotikum ist, das nennt sich Neoserangicin A. Es sind immer ungewöhnliche Namen (lacht), wo oft auch einfließt, der Erfindergeist, also die Leute, die die Strukturen zunächst erstmals isoliert haben, überlegen sich aus verschiedensten Gründen – für vielleicht nicht Eingeweihte – zungenbrecherische Namen. In diesem Fall ist es Neoserangicin A. Das bedeutet schon A, dass es da mehrere von gibt. Es sind ganz neue Substanzen, die gerade erst patentiert wurden, die weltweit noch nicht synthetisiert sind. Das Besondere dieses neuen Antibiotikumtyps besteht darin, dass die Substanz aktiv ist, auch gegen sogenannte gramnegative Bakterien, es gibt ja grampositive und gramnegative Bakterien. Wir können auf diese ganzen Details sicherlich jetzt nicht eingehen. Es gibt da Unterschiede in der Membran.
Ina Götze: Wir werden da sicherlich noch mal drüber berichten, wenn es soweit ist. Dann kann man das auf unserer Website nachlesen.
Prof. Schinzer: Gramnegative Bakterien gelten als besonders gefährlich, weil es nicht viele Antibiotika gibt weltweit, die aktiv sind gegen gramnegative Bakterien. Gramnegative sind insofern sehr gefährlich, weil es diverse sogenannte multiresistente Stämme gibt, speziell diese Krankenhauskeime, und dann noch spezieller sogar in Intensivstationen – auch ein wichtiges Thema jetzt wieder im Zusammenhang mit Corona –, also speziell in Intensivstationen sind diese sehr gefährlichen Bakterien, multiresistent, verbreitet. Und wenn Sie in den neuesten Unterlagen nachschauen von der Weltgesundheitsorganisation werden Sie feststellen, dass es Bakterien gibt, die ganz typisch sind für diese Intensivstationen gramnegative, das ist ein Bakterium, das nennt sich Acinetobacter baumannii. Wenn Sie da nachschauen in der Weltgesundheitsbehörde werden sie feststellen, dass es praktisch keine Therapie dagegen gibt. Und es gibt leider jedes Jahr auch bei uns in Deutschland tatsächlich Todesfälle, die ganz direkt kausal damit zusammenhängen in Intensivstationen mit solchen Bakterien. Das heißt ein sehr wichtiges Problem. Es war politisch auch ein sehr wichtiges Problem, wenn sie nur zehn Jahre zurückgehen, war sogar auf einem G8-Gipfel, der in Elmau, glaube ich, war, in Deutschland in Bayern, vor einigen Jahren, ist das großes Thema auch gewesen im G8-Gipfel von Frau Merkel, damals der Bundeskanzlerin sozusagen aufs Tablett gebracht worden. Es gibt ein sogenanntes auf neudeutsch ein „innovation gap“ der Pharmaindustrie, also eine Innovationslücke sozusagen. Man hat eine ganze Zeit Antibiotikaforschung vernachlässigt und es könnte eine sehr gefährliche Situation eintreten. Viele ernstzunehmende Wissenschaftler sagen ja heutzutage, dass vielleicht um das Jahr 2050 Infektionskrankheiten die Todesursache Nummer eins sein werden und Herz-Kreislauf und Krebs wahrscheinlich ablösen. Das heißt, das ist eine gefährliche Situation, in die wir uns hinein manövrieren. Und deswegen ist es extrem wichtig, sozusagen Wirkstoffe zu entwickeln, zu finden, die speziell gegen solche Bakterien aktiv sind. Diese Neosorangicine sind aktiv dagegen, insofern ist das eine hochaktuelle Substanz und wir sind mit der Synthese extrem weit, kann man sagen. Wir haben sie fast abgeschlossen. Fast ist immer eine schwierige Geschichte. Ich habe ja vorhin schon erläutert, dass es sehr viele Tücken gibt bei solchen komplexen Synthesen. Wir haben es aber schon in kleinster Menge erzeugt und wir sind gerade dabei, eine größere Menge jetzt zu machen und das alles abzusichern. Ich hoffe, dass uns das vor Weihnachten noch gelingt. Sie sehen ja, der Champagner steht schon auf dem Tisch.
Ina Götze: Ja, sehr schön. Also ich bin auf jeden Fall gespannt und ich freue mich, davon zu hören. Und sicherlich unsere Zuhörer:innen auch. Wie gesagt, wir werden darüber dann berichten, wenn es soweit ist. Ich muss ja gestehen, dass Chemie nicht das beste Fach war in meiner Schulzeit. Von daher freue ich mich sehr (lacht), dass sie sich die Zeit genommen haben, mir als Laien ihre Arbeit näher zu bringen. Wann und wie haben Sie denn persönlich Ihre Leidenschaft für die Chemie entdeckt?
Prof. Schinzer: Gut, eigentlich schon extrem früh. Also mich hat eigentlich, oder alles im Zusammenhang mit Naturwissenschaften schon immer interessiert. Ich hatte als Schüler schon sozusagen alle erdenklichen Kosmoskästen. Das sind diese Experimentalkästen, wo es in der Regel um naturwissenschaftliche Sachen ging, also Physik, Chemie und so etwas, Astronomie, Biologie. Ich hatte, denke ich, alle Kästen, auch diverse Fernrohre schon zu dieser Zeit. Es hat mich schon immer interessiert und ich hatte folgerichtig auch ein Labor zu Hause schon zu dieser Zeit, was nicht immer ohne Stress abgelaufen ist. (lacht) Sicher weil hin und wieder mal was in die Luft fliegt. Glücklicherweise, wenn wir das heute professionell betreiben...
Ina Götze: Aber es ist nichts und niemand zu Schaden gekommen?
Prof. Schinzer: Nein, keinesfalls.
Ina Götze: Und zum Abschluss noch eine letzte Frage und auch da höre ich es wieder knallen. Aber diesmal sind es tatsächlich die Korken von Ihrem Champagner. Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie nach so langer Zeit es geschafft haben, solch komplexe Moleküle nachzubauen?
Prof. Schinzer: Gut, es ist ein ganz tolles Gefühl. Es ist... Insofern passt es schon zu einer Champagnerflasche, weil da immer Druck drauf ist. Nicht zu viel, sollte man meinen. Da wir ja nicht beim Grand Prix sind, geht der gute Stoff verloren. Gut, es ist ein gewisser Druck. Ich habe es ja erläutert, während des Gesprächs. Das Ganze schaukelt sich hoch. Es gibt viele Rückschläge und es staut sich einiges auf. Und es ist wie so ein Befreiungsschlag am Ende, wenn die Substanz fertig ist, dann schlagen wir eben zu (lacht), im Sinne von einer sogenannten Champagne Party. Das habe ich auch kennengelernt, im Zusammenhang mit meiner Vita. Ich war ja einige Jahre in Berkeley bei Clayton Heathcock, einem weltbekannten Naturstoff-Chemiker, wo es Usus war, eigentlich immer wenn ein komplexes Molekül fertig war, gab es dort eine große Champagne Party und diese Tradition habe ich einfach mit zurück nach Deutschland gebracht. Und ich denke, das finden alle Beteiligten immer sehr gut.
Ina Götze: Ja, klingt auf jeden Fall sehr, sehr schön und vor allem wohlverdient, muss man sagen.
Prof. Schinzer: Das stimmt. Und da kommen uns eben auch wieder die Projekte zugute, weil auch das kostet ja Geld. (lacht)
Ina Götze: Ich hoffe, dass vor Weihnachten – wir nehmen die Folge nämlich vor Weihnachten schon – auf die Korken knallen werden. Ganz, ganz vielen Dank, dass ich hier sein durfte und Sie sich die Zeit genommen haben. Ich habe viel gelernt und ich hoffe, Sie da draußen an den Lautsprechern und den Kopfhörern auch. Wir sind im nächsten Monat, also im Februar, wieder für Sie da, allerdings mit einem internen Podcast. Da wird es um unsere Psychosoziale Studierendenberatung gehen. Die Angebote können nämlich auch von unseren Mitarbeitenden genutzt werden. Also hören Sie da auch gerne rein und bleiben Sie bis dahin gesund.
Outrostimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.