Alle vier bis fünf Jahre ist es so weit: Die Straßen werden plakatiert mit vielversprechenden Slogans, munteren Versprechungen und bunten Designs. Die Rede ist hier vom Wahlkampf zur Land- bzw. Bundestagswahl. Oftmals fragt man sich, was die Parteien einem damit eigentlich wirklich sagen wollen. Mit dieser Frage, ob und wieweit die ständige Werbung die Wählerinnen und Wähler in ihrer Entscheidung beeinflusst, haben sich Studierende im Germanistik Masterstudium in einem Seminar von Linguistik-Prof. Kersten Sven Roth und Dr. Kristin Kuck ein ganzes Semester lang beschäftigt und Wahlplakate der diesjährigen Landtagswahl in Sachsen-Anhalt analysiert.
Lena Klos und Kathrin Hamann haben im Rahmen des sprachwissenschaftlichen Seminars „Linguistische Wahlkampfbeobachtung“ den Wahlkampf Sachsen-Anhalts und somit Wahlprogramme, Plakate und Slogans, genauer unter die Lupe genommen. „Es ist bekannt, dass sich Wahlkämpfe durch ihre Einfachheit auszeichnen. Sie sind geprägt von inhaltslosen Slogans und Schlagzeilen, um nicht nur eine möglichst breite Masse anzusprechen, sondern auch den nötigen Freiraum für Koalitionsgespräche, wie sie gegenwärtig stattfinden, zu bieten. Und genau deshalb lohnt es sich, die Wahlkampfstrategien, Wahlprogramme und Werbemittel sprachwissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen“, erzählt Kathrin Hamann.
Im Seminar haben sich die Master-Studierenden in Gruppen mit jeweils einer Partei und deren Werbung intensiv beschäftigt. Bei der Betrachtung wurden sowohl die gängigen analogen Plakate analysiert, als auch die digitale Präsenz der Parteien auf den Social-Media-Plattformen. Die Parteien, die sich angeschaut wurden, waren die AfD, die CDU, die FDP, die GRÜNEN, die LINKE und die SPD. Lena Klos und Kathrin Hamann haben sich die Plakate und den digitalen Auftritt der AfD genauer angeschaut. Vor der eigentlichen Analyse gab es jedoch eine theoretische Einführung zu den Inhalten des Seminars. Per Zoom hielten Gastreferenten Vorträge über Wahlplakate, Wahlkampf in Online-Medien und Wahlprogramme. „Die Vorträge haben uns einen ersten Einblick in die Thematik Wahlkampf gegeben und haben den methodischen Hintergrund geliefert“, so Lena Klos. Im praktischen Teil des Seminars stand es den Studierenden frei ihren Analyseschwerpunkt zu wählen. „Die Gruppe, die die LINKE beobachtete, kümmerte sich zum Beispiel um das Wahlprogramm und um die öffentliche Debatte rund um ein ganz ein bestimmtes Wahlplakat – das „Wessi“-Plakat. Die Gruppe, die sich mit den GRÜNEN beschäftigte, analysierte das Wahlprogramm, die Wahlplakate und den Auftritt der Partei auf Twitter. Die Gruppe, die sich mit der SPD auseinandersetzte, bezog Social-Media und das Corporate Design der Partei mit ein“, erklärt Lena Klos.
Lena Klos (Foto: privat)
Sie und Kathrin Hamann haben in ihrer Analyse schließlich den Schwerpunkt auf das Wechselspiel zwischen analogem Wahlkampf in Form von Wahlplakaten und dem digitalen Wahlkampf über den Twitterkanal der AfD Magdeburg gelegt. „Als Referenzkorpus diente uns das Wahlprogramm, welches wir beide komplett durchgearbeitet haben“, so Kathrin Hamann weiter. „Die AfD Sachsen-Anhalt führte einen polarisierenden und ausgrenzenden Wahlkampf. ‚Alles für unsere Heimat!‘ – vier Worte, die bereits andeuten, dass eine Trennung des diskursiven Raumes in ein ‚wir‘ und ‚die anderen‘ erfolgt. Wer die anderen sind, gab es auf vielen Wahlplakaten zu sehen und im Wahlprogramm der AfD Sachsen-Anhalt zu lesen:
- Greta Thunberg als Visiotyp und Stellvertreterin der Klimaaktivist:innen (‚SCHLUSS mit dem KLIMAWAHN‘),
- Muslima und Moslems als Stellvertreter für Gläubige einer anderen Religion als dem Christentum (‚Der ISLAM gehört NICHT zu Deutschland!‘),
- Linke, Antifaschist:innen, etablierte Parteien wie die CDU oder SPD, aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk (‚BILDUNG statt Indoktrination!‘)“,
erläutert sie einen Teil der Ergebnisse ihrer Analysen.
Durchkalkulierte Werbung
Das Seminar habe die Studierenden nachhaltig beeinflusst: „Für mich als Privatperson hat mir die sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wahlkämpfen sehr deutlich gemacht, wie wichtig es ist, sich intensiv mit den Wahlprogrammen auseinanderzusetzen, denn alles andere ist Werbung“, erzählt Kathrin Hamann, „Lenas und meine Analyseergebnisse in Bezug auf die AfD haben mich zwar nicht überrascht, jedoch hätte ich nicht mit einem so durchkalkulierten Wahlkampf gerechnet. Mir fällt dazu das Bild einer Maschine mit vielen, kleinen Zahnrädern ein, bei dem eines reibungslos in das andere greift und die Maschinerie am laufen hält. Das gibt mir zu bedenken.“
Kathrin Hamann (Foto: privat)
Generell habe es aber bei den Ergebnissen auch Überraschungen gegeben, so Kathrin Hamann weiter: „Zum Beispiel das Ungleichgewicht zwischen Plakat-Kampagne und Wahlprogramm beim Thema Natur- und Umweltschutz bei den GRÜNEN hat mich verwundert. Obwohl vermehrt mit diesem Thema Plakat-Wahlkampf betrieben wurde, ist der Anteil der Seitenzahlen im Wahlprogramm mit sieben Seiten doch sehr klein. Obwohl sich die LINKE von dem Fokus auf die zentralen Werte ihres Wahlprogramms Solidarität und (soziale) Gerechtigkeit einen erfolgreichen Wahlkampf versprach, bleibt rückblickend vor allem das Wessi-Plakat, mit dem sie nicht nur regional Schlagzeilen machten, ein Thema. Die überwiegend negativen Reaktionen auf Social Media sind ein Indikator für den Dämpfer, den die Partei bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt mit nur 11 % erhielt. Ein Beispiel dafür, dass eine Wahlkampfstrategie noch so gut durchdacht sein kann, aber das Internet und vor allem Social Media vergessen eben nicht.“
Generell war das Seminar ein Rundum-Erfolg: Die Ergebnisse von Lena Klos, Kathrin Hamann und ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen werden auf der diesjährigen Wahlkampfsprache-Tagung der AG „Sprache in der Politik“ persönlich vorgestellt und mit Expertinnen und Experten diskutiert. Besonders gut kam bei den Studierenden der hohe Praxisanteil des Seminars an. Hier konnte direkt ein Bezug zur aktuellen Realität gezogen und nicht nur theoretisches Wissen erworben werden. Genau diese Praxisnähe zeichnet den neuen Masterstudiengang „Mediengermanistik“ aus, der ab dem Wintersemester an der Uni Magdeburg etabliert wird. Das Studienprogramm kombiniert systematisch fachwissenschaftliche Studienanteile mit angewandten Transferphasen. Bewerben kann man sich noch bis zum 30. September.