Inwiefern hat Wissenschaft einen Einfluss auf politische Entscheidungen? Damit beschäftigt sich Prof. Dr. Michael Böcher nicht nur in seiner Forschung als Politikwissenschaftler, sondern er berät auch selbst die Politik als Mitglied des Bioökonomierates der Bundesregierung. „Politische Akteure machen wissenschaftliche Erkenntnisse oft nicht deswegen zur Grundlage ihrer Entscheidungen, weil sie aus ihnen lernen, sondern sie nutzen diese, weil es ihren politischen Interessen dient“, sagt Prof. Dr. Michael Böcher. Das hieße nicht, dass die Wissenschaft gar keinen Einfluss auf die Politik hat. „Es kommt darauf an, dass es politische Verbündete gibt, die, wenn es ihrer Interessenlage entspricht, andere aufgrund ihrer Macht dazu bringen können, die wissenschaftlichen Erkenntnisse umzusetzen“, fügt er an. Das heißt, eine wissenschaftliche Lösung kann lange in einer Schublade verschwinden und plötzlich hervorgeholt werden, wenn sich die Problemlage oder die politischen Machtverhältnisse ändern. „Entscheidend für solche Wissenstransferprozesse sind sogenannte ‚Integrationsforen‘, in denen Akteure aus Wissenschaft und Politik aufeinandertreffen und gegenseitig Erwartungen, konkrete Informationsbedarfe und Erkenntnisse ausgetauscht werden“, so Prof. Böcher.
Ein solches „Integrationsforum“ ist der Bioökonomierat der Bundesregierung. Er berät sie und hilft ihr bei der Umsetzung ihrer nationalen Bioökonomiestrategie. „Dabei sollen unter anderem hierfür relevante Entwicklungen analysiert und politische Handlungsfelder identifiziert werden. Ich selbst bin eines der 20 Ratsmitglieder und derzeit einer der beiden Sprecher der AG ‚Verständnisse der Bioökonomie‘, die aktuell dabei ist, die unterschiedlichen Sichtweisen und Visionen einer Bioökonomie aufzuarbeiten, um daraus politische Handlungsempfehlungen zu entwickeln“, erzählt Prof. Michael Böcher. „Mein Ziel ist es, auf mögliche Zielkonflikte der Bioökonomie und deren Konsequenzen für die Bioökonomiepolitik hinzuweisen, zum Beispiel auf möglicherweise negative Folgen für den Artenschutz durch Biomasseanbau oder soziale und ökologische Folgen in anderen Ländern, wenn wir noch stärker auf den Import von Biomasse angewiesen sind.“
Wissen als Basis für politische Entscheidungen
Wissenschaft habe, wie die Corona-Pandemie, aber auch der Klimaschutz zeigen, Einfluss auf politische Entscheidungen, meint Prof. Böcher: „Ohne das Wissen der Virologinnen und Virologen hätten keine Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen werden können. Das Pariser Klimaabkommen wäre undenkbar ohne das in Jahrzehnten gewachsene Wissen der Klima-Forschenden.“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können wissenschaftsbasierte Empfehlungen aussprechen. Diese werden dann zwar von der Regierung berücksichtigt, jedoch häufig nicht ohne Abstriche umgesetzt, was oft mit Enttäuschung bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einher geht. „Wenn wissenschaftliche Expertise nur wenig Einfluss auf Politik hat, liegt es oft an überzogenen Erwartungen. Politik wählt aus dem großen Angebot wissenschaftlicher Erkenntnisse oft nur die aus, die aktuell benötigt werden und den Interessen politischer Akteure dienen. Hinzu kommen Abwägungen, die dazu führen, dass kaum ein Expertenvorschlag exakt so, wie wissenschaftlich gedacht, umgesetzt wird. Das ist aber kein Problem, sondern notwendig, schon allein, weil es hinsichtlich bestimmter Probleme oft mehrere, sich zum Teil widersprechende, wissenschaftliche Vorschläge gibt, die Politik aber gezwungen ist, Entscheidungen zu treffen, die nicht ausschließlich anhand wissenschaftlicher, sondern aufgrund politischer Erwägungen getroffen werden müssen“, fügt der Politikwissenschaftler an.
Würde er einmal die Seite wechseln und als Politiker frei über die Klima- und Umweltpolitik Deutschlands bestimmen können, hätte er so einige Ideen: „Ich würde vor allem stärker als bisher versuchen, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, und die sozialen Aspekte der Klimapolitik ernster nehmen. Zudem würde ich auf flexible, ökonomische Instrumente setzen, vor allem auf politisches Engagement für eine verstärkte international verbindliche Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Denn selbst wenn Deutschland klimaneutral wird, hat dies eher einen geringen Einfluss auf den globalen Kimawandel“, so Prof. Böcher. Wenig bewusstgemacht werde, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz attraktive Ziele sind und eine Mäßigung der Lebensstile der Menschen, durch weniger Konsum, mehr Radfahren oder Gemeinschaftsprojekte, auch zu positiven Effekten wie mehr Erholung, Gesundheit und soziale Kontakte führen könnte. „Persönliche Verhaltensänderungen werden oft mit Einschränkungen und Verboten in Zusammenhang gebracht – eine etwas veränderte Lebensweise kann aber auch Lebensqualität bringen und schlicht und ergreifend Spaß machen.“
Mehr Fahrrad fahren und weniger konsumieren tut nicht nur dem Klima, sondern auch der eignen Lebensqualität gut. (Foto: Stefan Berger / Uni Magdeburg)
Eins ist jedoch für ihn klar: Nur, wenn unterschiedliche Erfahrungen, Wünsche und Ideen zusammenkommen, können wir wirklich unsere Welt neu denken. Dafür ist eine Zusammenarbeit zwischen allen nötig: Zwischen Wissenschaft, Politik und Unternehmen, zwischen Bürgerinnen und Bürgern, ob alt oder jung.
Prof. Böcher beschäftigt sich außerdem mit dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und dem Einfluss der Politik auf die Wissenschaft. Hierbei gäbe es nicht nur in autoritären Staaten Versuche, die Freiheit der Wissenschaft zu beschneiden, wenn ihre Erkenntnisse nicht bequem sind. „Das heißt nicht, dass es keinerlei ethische Grenzen hinsichtlich bestimmter wissenschaftlicher Forschung geben darf. Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sowie die Debatte darüber, was Wissenschaftsfreiheit bedeutet und welche Grenzen bestimmter wissenschaftlicher Forschung aus ethischen Gründen gesetzt werden sollen, stellen für mich zentrale Aspekte dar, wie und wie nicht man die Welt neu denken kann“, meint Prof. Dr. Michael Böcher abschließend.