Am 30. Juli 2021 hat unsere Universität die Charta der Vielfalt unterzeichnet – eine Verpflichtung, Vielfalt und Wertschätzung zu fördern und zu nutzen und als Chance anzuerkennen. Ein wichtiges Zeichen für mehr Diversität an unserer Universität oder eher unnötig? „Die Arbeit nach außen ist genauso wichtig, wie die Arbeit im Inneren der Organisation“, erläutert Prof. Dr. Susanne Schmidt, Professorin für Internationales Management an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft und Prorektorin für Studium und Lehre. „Organisationen signalisieren damit, dass Diskriminierung und Ausgrenzung keinen Platz haben und bekennen sich zu Diversität. Aber es braucht die gleichzeitige Förderung von Vielfalt in der Organisation. Wenn die Förderung fehlt, ist es nur ein Lippenbekenntnis.“
Auch viele DAX-Unternehmen haben die Charta der Vielfalt bereits unterzeichnet. Häufig verhallen diese Bekenntnisse jedoch, ohne eine Veränderung anzustoßen – dies ergab der German Diversity Monitor, welchen Prof. Schmidt zusammen mit BeyondGenderAgenda bereits zum zweiten Mal veröffentlichte. „Wir sehen, dass sich Unternehmen zunehmend zu Diversity, Equity & Inclusion (DE&I) bekennen, aber oft keine zielgerichteten Maßnahmen durchführen. Zum Beispiel bewertet knapp die Hälfte der befragten Unternehmen die Relevanz einzelner Diversitätsdimensionen wie zum Beispiel LGBT+ als hoch. Zur Förderung der LGBT+ Community werden allerdings kaum Maßnahmen durchgeführt“, fasst die Wissenschaftlerin zusammen. Dass es abseits der Dimension Geschlecht und geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung noch andere Kategorien wie Alter, kulturelle oder soziale Herkunft gibt, ist für viele Unternehmen nicht von besonderer Relevanz. Insbesondere körperliche und geistige Beeinträchtigungen finden kaum Beachtung: „In der Kategorie Disability ist die Abnahme der Relevanz im Vergleich zum Vorjahr erschreckend: 2020 maßen 10 Prozent der befragten Unternehmen der Kategorie nur eine geringe Bedeutung zu, im Folgejahr waren es mehr als ein Drittel der Unternehmen.“
Diversität als Wettbewerbsvorteil
Der German Diversity Monitor offenbart, dass sich viele Unternehmen mittlerweile in einem regelrechten Diversitätsdilemma befinden. Einerseits stellt die notwendige Umstrukturierung zu mehr und bewussterer Diversität einen kostenintensiven und langwierigen Kraftakt für die Unternehmen dar, welchen sie nur verhalten in Kauf nehmen. Andererseits bedeutet eine Entscheidung gegen Diversität, dass sich die Unternehmen einen strategischen Nachteil in dem intensiven Wettbewerb um neue Talente und bei der Entwicklung von Innovationen verschaffen. Der German Diversity Monitor betont, dass Unternehmen vor einer bedeutenden Entscheidung stehen: Der Wahl zwischen einem tiefgreifenden Wandel, welcher Prozesse und etablierte Strukturen gleichermaßen auf den Prüfstand stellt, oder das Potenzial von Diversität zu ignorieren.
Für junge Generationen spielt Diversität in Unternehmen eine große Rolle bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass Diversität das Potenzial hat, ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil zu sein – als Treiber von Innovation und differenzierten Entscheidungen. Aber auch beim Rekrutieren von Talenten gewinnt DE&I immer mehr an Bedeutung: „Wir erleben zurzeit, dass Unternehmen um Talente kämpfen und vor der Herausforderung stehen, freie Stellen adäquat zu besetzen. Aktuelle Studien zeigen, dass Diversität für Bewerberinnen und Bewerber bei der Arbeitgeberwahl immer wichtiger wird. Unternehmen, welche DE&I ganzheitlich in ihren Strukturen und Visionen verankert haben erlangen somit Zugang zu einem größeren Talentpool“, berichtet die Wirtschaftswissenschaftlerin.
Jedoch ist durch Diversität der Beschäftigen nur die Hälfte des Wandels geschafft. Um das volle Potenzial auszuschöpfen, braucht es auch eine inklusive Unternehmenskultur. Inklusion bezieht sich dabei nicht nur auf die Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen. In einer inklusiven Organisationskultur werden „die unterschiedlichen Perspektiven, Einstellungen und Arbeitsweisen einer vielfältigen Belegschaft wertgeschätzt und in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen“, so Prof. Schmidt. „Diversität ohne Inklusion funktioniert nicht. Eine inklusive Unternehmenskultur entsteht aber nicht von selbst. Zur Entwicklung einer solchen organisatorischen Umgebung sind gezielte Equity-und-Inclusion-Maßnahmen notwendig.“ Unterschiede sollen nicht als Hindernisse oder Gefahr wahrgenommen werden, sondern als Möglichkeit, voneinander zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Beim Thema Diversity spielen nicht nur das Geschlecht und die Herkunft eine Rolle, sondern unter anderem auch das Alter, Erfahrungen und unterschiedliche Lebenssituationen. (Foto: Stefan Berger / Uni Magdeburg)
Bei dieser Entwicklung spielt die Unternehmensführung eine entscheidende Rolle. Denn die Führung prägt maßgeblich die Unternehmenskultur, gestaltet die Organisationswerte und stellt Budgets sowie Personalressourcen zur Verfügung. „Nur wenige der untersuchten Unternehmen machen Diversität zur Chef- und Chefinnensache. Dadurch fehlen oft Personal und finanzielle Ressourcen für konkrete Maßnahmen zur Förderung von DE&I. 70 Prozent der untersuchten Unternehmen stellen erst gar kein Diversitätsbudget zur Verfügung.“
Als Teil der Universitätsleitung sieht sich Prof. Schmidt auch in der Verantwortung, in der Universität DE&I voranzutreiben. Dabei sind die Mitglieder der Universität bereits sehr divers: „Wir haben Studierende sowie Beschäftigte in vielfältigen Lebenssituationen und mit unterschiedlichen sozio-ökonomischen Hintergründen. 25 Prozent unserer Studierendenschaft sind internationale Studierende. Auch die verschiedenen Fächerkulturen tragen zur Diversität an der Universität bei. Allerdings fehlen uns Daten, um genau zu wissen, wie wir in Bezug auf die einzelnen Diversitätsdimensionen aufgestellt sind und an welchen Stellen es im Bereich Equity & Inclusion hakt. Deswegen arbeite ich mit meinem Team zurzeit an einem bundesweiten Hochschul-Benchmark zum Thema DE&I. Wir wollen verstehen, wie Diversität an Universitäten gemessen werden kann und wie DE&I organisatorisch verankert ist. Wir hoffen, so einen großen Schritt voranzukommen."
Prof. Susanne Schmidt (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Um DE&I an der Universität auch zukünftig verstärkt zu fördern, wurden im vergangenen Jahr verschiedene Initiativen vom Prorektorat für Forschung, Technologie und Chancengleichheit vorangetrieben, wie eben zum Beispiel die Gründung des Netzwerks für Chancengleichheit & Diversität. „Die Herausforderung ist jetzt, weiterhin Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit wir konsequent den eingeschlagenen Weg verfolgen können. In diesem Sinne sind wir hier bereits ein Stück weiter als die Unternehmen, welche die Entscheidung für oder gegen einen tiefgreifenden Wandel erst noch treffen müssen“, so Prof. Schmidt abschließend.