Viele Köche verderben den Brei, heißt es. Was das Sprichwort nicht berücksichtigt: Viele Köche können aber auch einen ganz neuen, geschmacklich vielseitigeren Brei kreieren. Für Unternehmen spielt dieser Gedanke eine entscheidende Rolle. Wenn sie neue Lösungsansätze und innovative Produkte hervorbringen wollen, sollten sie vielseitige Blickwinkel in ihre Entscheidungen einbeziehen. Den wirtschaftlichen Erfolg von Diversität erkennen und nutzen aber noch zu wenige Unternehmen in vollem Umfang. Das zeigen die Forschungsergebnisse des Lehrstuhl Betriebswirtschaftslehre, Internationales Management der Universität Magdeburg. Die Leiterin Prof. Dr. Susanne Schmidt, weiß, woran das liegt und wie Unternehmen das ändern können. Im Interview räumt sie mit falschen Vorstellungen und Mythen über Diversität auf und gibt Tipps, wie ein gutes Diversity Management gelingen kann.
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Was ist der größte Fehler, den Unternehmen in Bezug auf Diversität machen?
Ein großer Fehler zumindest, ist es, anzunehmen, dass Diversität nur bedeutet, Menschen mit diversen Merkmalen – also z. B. in Bezug auf Alter, Geschlecht, soziale Herkunft – einzustellen und dann wäre das Unternehmen divers und die Arbeit abgeschlossen. Dem ist nicht so. Wir wissen aus der Forschung, dass ein Großteil der Arbeit dann erst beginnt. Denn die Frage, die sich Unternehmen stellen müssen, ist: Was braucht meine vielfältige Belegschaft, um ihre Fähigkeiten am Arbeitsplatz auch wirklich entfalten zu können? Also, welches Umfeld brauchen sie, damit sie ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Denkweisen einbringen.
Die Antwort ist: ein Diversity orientiertes, inklusives Arbeitsumfeld. Die Mitarbeitenden werden ihre unterschiedlichen Perspektiven, ihre Persönlichkeit und ihre Einzigartigkeit nicht einbringen, wenn sie befürchten, diskriminiert, benachteiligt oder ausgegrenzt zu werden. Wir brauchen also einen Wandel in der Organisationskultur, die Diversität und unterschiedliche Ansichten explizit wertschätzt, in der sowohl die Mitarbeitenden in ihrer Einzigartigkeit gesehen als auch die unterschiedliche Einstellungen, Erfahrungen, Denkweisen gehört und in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Das ist eine Diversität orientierte Arbeitskultur.
Das klingt eigentlich relativ simpel. Woran scheitert es dann?
Weil das tatsächlich leichter gesagt als getan ist. Wir wissen aus empirischen Forschungsergebnissen, dass es immer leichter wahrgenommen wird, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die zum Beispiel dieselbe Arbeitsweise haben wie wir selbst. Sobald unterschiedliche Ansichten und Arbeitsweisen aufeinandertreffen, gibt es Reibung, die zu Konflikten führen kann. Das können Konflikte auf Sachebene sein, die bei der Erarbeitung von Lösungen entstehen. Diese Konflikte können zu besseren Lösungen führen, weil die Teams von den unterschiedlichen Perspektiven profitieren. Das können aber auch Konflikte auf der persönlichen Ebene sein und die sind destruktiv. Die Frage ist, wie man mit Konflikten umgeht. Die Aufgabe der Führungsperson ist es, die Konflikte von der persönlichen Ebene auf die Sachebene zu heben und eine grundsätzliche Wertschätzung im Team zu verankern. Die Coaches sagen oft „Ich bin okay, du bist okay“. Das ist eine grundsätzliche Haltung, die man gegenüber anderen Menschen hat. Wenn man es schafft, diese Haltung im Team umzusetzen, bei allen, bei Personen aus unterrepräsentierten Gruppen, aber auch bei der wahrgenommenen Mehrheit – dann schafft man ein Umfeld von Wertschätzung für Unterschiedlichkeit. Dann gelingt es auch, unterschiedliche Ansichten sachlich und konstruktiv zu diskutieren.
In vielen Organisationen gibt es die Offenheit für die Unterschiedlichkeit aber noch nicht; es gibt eine Norm, an die wird sich meist angepasst. Es braucht einen Transformationsprozess, der von allen Mitarbeitenden getragen werden muss. Dazu müssen auch Strukturen, die möglicherweise systematische Benachteiligung fördern, aufgebrochen und neu gedacht bzw. neu etabliert werden, zum Beispiel beim Recruiting oder bei der Beförderung. Es ist also ein komplexes Unterfangen, das mehrere Jahre dauert.
Eine Verankerung der Verantwortlichkeit in der Unternehmensleitung, die diese Werte vorantreibt und selbst diversitätsorientiert handelt, indem z. B. Diversität bei den strategischen Entscheidungen mitgedacht wird, beschleunigt den Wandlungsprozess. Das ist ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Wenn Diversität und die Entwicklung eines inklusiven Arbeitsumfeldes nicht von der Unternehmensleitung getragen wird, ist es sehr schwer, eine diversitätsorientierte Arbeitskultur zu entwickeln.
Wie kann ein Unternehmen das denn von alleine schaffen? Oder braucht es dazu Begleitung von außen?
Jede Organisation ist selbst sehr einzigartig und muss einen individuellen Weg finden. Deshalb gibt es auch leider keine Checkliste, kein Zehn-Punkte-Programm, im Sinne von: Wenn Sie diese zehn Punkte abgehakt haben, ist Ihre Organisation divers. Und weil es keine standardisierte Lösung gibt, ist es für Organisationen auch so schwer, überhaupt den Anfangspunkt für den Wandlungsprozess zu finden. Eine externe Begleitung kann da unterstützend wirken. Dafür gibt es mittlerweile auch immer mehr Angebote.
Ein Ergebnis Ihrer Forschung ist, dass eine Gemeinschaft von unterschiedlichen Erfahrungen und Ansichten profitiert. Wie stark dürfen diese voneinander abweichen? Oder findet sich immer ein gemeinsamer Nenner?
Der gemeinsame Nenner ist am Ende die Offenheit für die Unterschiede und das grundsätzlich wertschätzende Umfeld, was jede Person selbst mitgestalten kann. Wenn es diese generelle Bereitschaft gibt, diese generelle Einstellung „Ich bin okay, du bist okay“ und es auch die Bereitschaft gibt, seine eigenen Ansichten kritisch zu hinterfragen, dann kann man unterschiedliche Ansichten konstruktiv diskutieren, egal wie weit diese auseinander liegen.
Auch das ist wieder leichter gesagt als getan. Aber das bedeutet letztendlich Diversität: aufeinander zuzugehen mit der generellen wertschätzenden Grundeinstellung, dass Unterschiede in Ordnung sind und dabei auch eine Neugier für den Standpunkt des Gegenübers zu entwickeln. Hier ist auch wieder die Führungsperson gefragt, die es schafft, diese Werte ins Team zu bringen und versichert, dass es völlig in Ordnung ist, auch mal Konflikte zu haben, auch mal unterschiedliche Ansichten zu haben, dass das nichts „Schlimmes“ ist, sondern dass Konflikte auf der Sachebene förderlich sein können. Die Führungsperson ist es, die das vorlebt; die die unterschiedlichen Blickwinkel, die vielleicht sehr weit auseinandergehen, an einen Tisch holt, wirklich hört, anerkennt und wertschätzt, um die bestmögliche Lösung zu finden.
Ein gutes Diversity Management lebt von Kompromissen. Sind Kompromisse immer die richtige Lösung für Erfolg oder braucht es manchmal das Durchsetzungsvermögen einer Führungsperson?
Diversity Management lebt vor allem von einem inklusiven Arbeitsumfeld, in dem die unterschiedlichen Ansichten wirklich gehört, wertschätzt und in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Die Führungsperson braucht, um genau dieses Arbeitsumfeld zu kreieren, sehr viel Durchhaltevermögen und da eben auch Durchsetzungsvermögen. Grundsätzlich geht es weniger um Kompromisse; es geht darum, die unterschiedlichen Perspektiven zu hören, voneinander zu lernen und die bestmögliche, eine oft innovative, Lösung zu finden. Wirklich alle an einen Tisch zu bringen - Mitarbeitende in unterrepräsentierten Gruppen genauso wie Mitarbeitende der Mehrheit – das führt zu differenzierteren Entscheidungen und ist Kern einer diversitätsorientierten Arbeitskultur.
Am Ende muss dennoch eine Entscheidung getroffen werden. Tragen diese dann alle mit, wenn das Diversity Management richtig funktioniert oder gibt es dennoch Mitarbeitende, die die Entscheidung nicht gut heißen?
Das gibt es immer, auch mit funktionierendem Diversity Management. Diversity Management beinhaltet die Reibung, beinhaltet die Konflikte; und das ist völlig in Ordnung, auch Konflikte zu haben, die auf einer Sachebene diskutiert werden. Diversity Management bedeutet, die Einzigartigkeit der Mitarbeitenden zu sehen, anzuerkennen und wertzuschätzen sowie die unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven an einen Tisch zu holen, um von den verschiedenen Perspektiven zu lernen und diese in die Entscheidung mit einzubeziehen. Auf dieser Basis wird eine Entscheidung getroffen, zu der wir ohne die unterschiedlichen Blickwinkel nicht gekommen wären. Es bedeutet nicht, dass diese Entscheidung jeder Person in der Organisation gefällt. Aber als Mitglied der Organisation hilft es mir, zu wissen, dass ich gehört wurde. Schlimmer ist es, wenn man das Gefühl hat, dass die eigenen Ansichten gar nicht gehört werden oder die eigene Perspektive gar nicht anerkannt wird und die Entscheidungen einfach unabhängig davon getroffen werden. Es geht nicht darum, dass wirklich immer ein Kompromiss gefunden wird. Es geht um die bestmögliche Entscheidung, die eben durch unterschiedliche Blickwinkel viel differenzierter ausfallen kann, als wenn nur ein oder zwei Blickwinkel in die Entscheidung einfließen.
Viele Unternehmen haben die Charta der Vielfalt unterschrieben; in die Tat wird davon aber selten etwas umgesetzt. Ist die Charta zu wenig praxisnah, wollen sich die Unternehmen nur mit fremden Federn schmücken oder woran liegt es?
Das Unterschreiben der Charta der Vielfalt ist schon ein sehr großer Schritt für Organisationen; es zeigt, dass sich diese zu Diversität bekennen, zur Förderung von Vielfalt und einem inklusiven Arbeitsumfeld. Das ist ein starkes Signal nach innen, an die Mitarbeitenden, aber auch nach außen, an die externen Interessensgruppen. Dieses Signal sagt: Wir machen uns auf den Weg von der Bekenntnis zur gelebten Wirklichkeit. Dieser Weg ist aber ein sehr langer und bedarf sehr viel Arbeit, weil die gelebte Wirklichkeit eine komplette Organisationsentwicklung bedeutet und das kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Ich bin sehr froh, dass so viele Organisationen bereits die Charta der Vielfalt unterschrieben haben; aktuell sind es über 4.500. Auch wir als Uni haben die Charta unterschrieben; das heißt, wir haben uns committed, wir haben uns bekannt zu Diversität und wir machen uns auf den Weg. Aber auch bei uns wird es Jahre dauern, bis wir die Strukturen so gestaltet haben, dass wir ein inklusives Arbeitsumfeld in allen Bereichen umsetzen können.
Wenn es gelingt, Diversität in der Organisation herzustellen, also nicht nur Menschen mit diversen Merkmalen in der Organisation zu haben, sondern eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der die Mitarbeitenden ihre Fähigkeiten komplett entfalten können, dann profitiert das gesamte Team davon; also nicht nur Mitarbeitende in unterrepräsentierten Gruppen, sondern eben auch die Beschäftigte der „Mehrheit“. Das zeigen die Studien in dem Bereich sehr stark. Die Motivation, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsqualität verbessern sich deutlich – und das im gesamten Team. Wenn Mitarbeitende auf ein wertschätzendes Umfeld treffen und die Unterschiedlichkeit wirklich anerkannt und genutzt wird, können innovative Lösungswege gefunden werden, ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit.